Was sagen die Konstanzer Fraktionen?
seemoz fragte – und fast alle Konstanzer Gemeinderats-Fraktionen antworteten: Wie sich verhalten zu Sara Casanova, Bürgermeisterin der Konstanzer Partnerstadt Lodi und Mitglied der rechtsextremen und rassistischen Partei Lega, die sich vor wenigen Tagen in das Goldene Buch der Stadt Konstanz eintragen durfte?
Für die Freie Grüne Liste (FGL) antwortet deren Stadtrat Normen Küttner:
Die Freie Grüne Liste (FGL) Konstanz ist über die Kaltherzigkeit und das menschenverachtende Verhalten des neuen Innenministers in Italien gegenüber schutzbedürftigen Menschen auf hoher See zutiefst entsetzt. Das ist eine üble Instrumentalisierung von wehrlosen Opfern!
Wir sind jedoch der Meinung, dass ein Abbruch der Beziehungen zu unserer Partnerstadt Lodi nicht die richtige Antwort auf das Erstarken von Rechtspopulisten in Europa sein darf.
Die Bewegung „Puls of Europe“ konnte auch in Konstanz deutlich machen, dass die Idee von einem friedlichen und geeinten Europa als ein langfristiges Projekt zu verstehen ist. Europa ist z.Z. alles andere als in einem perfekten Zustand. Und wir in Konstanz? Was können wir tun?
Ein wesentlicher Baustein zur besseren Verständigung zwischen den Völkern sind die nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen Städtepartnerschaften. Diese Partnerschaften werden auch von Konstanzer Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen und Institutionen intensiv gepflegt.
Der Versöhnungsgedanke, die Erinnerungskultur nach dem schrecklichen Krieg oder auch die Überwindung des eisernen Vorhangs waren bei vielen der ersten Städtepartnerschaften in Deutschland und auch in Konstanz die treibende Motivation. Weitere Partnerschaften kamen im Laufe der Jahre hinzu und bereichern seitdem die Beziehungen unter den Nachbarn im europäischen Haus. Diese gilt es weiterhin zu pflegen und zu festigen.
Im Herbst 2017 wurden von jungen Menschen aus unseren Partnerstädten im Rahmen des Europakonzils viele spannende neue Ideen zu diesem Thema entwickelt. Alles für die Katz? Nein! Was wir jetzt betreiben müssen, ist nicht weniger als kommunale Außenpolitik, wie es Claus Dieter Hirt einmal genannt hat.
Fahren wir hin! Am 6.und 7. Oktober 2018 ist dazu wieder Gelegenheit. Das alljährliche Palio in Lodi ist ein wichtiges Datum für Konstanzer Vereine und Institutionen, um die Partnerstadt und Ihre Bürgerinnen und Bürger zu besuchen. Die FGL möchte bei dieser Gelegenheit mit Vertretern der Stadtverwaltung und des Kommunalparlaments ins Gespräch kommen. Und dabei müssen auch europäische Themen klar und unmissverständlich angesprochen werden, die sich bis in die Kommunen auswirken, z.B. die Integration von geflüchteten Menschen. Konstanz macht das nicht perfekt, aber wir sind auf einem guten Weg und sollten darüber und über andere Themen in Lodi berichten. Wir stellen uns dieser Aufgabe.
Ob dieses Treffen unter der neuen Bürgermeisterin Frau Casanova stattfinden wird, werden wir abwarten müssen. In einem informellen Gespräch am 12.6.2018 machte sie jedenfalls eine Zusage und möchte den politischen Austausch ermöglichen.
Die Haltung der FDP-Fraktion formuliert ihr Vorsitzender Heinrich Everke:
Wir sollten das Votum der Wähler in unserer Partnerstadt respektieren, auch wenn uns eine bestimmte politische Richtung nicht passt. Die Bürgermeisterin ist demokratisch gewählt worden, also müssen wir mit ihr korrekt umgehen.
Wie jeder frühere Bürgermeister der Stadt Lodi kann auch sie sich in das Goldene Buch unserer Stadt eintragen.
Stadtrat Jan Welsch antwortet für die SPD-Fraktion:
Die Weigerung des Vorsitzenden der rechtsextremen Lega, Matteo Salvini, das Flüchtlingsschiff „Aquarius“ in einen italienischen Hafen einlaufen zu lassen, ist nicht nur inhuman. Sie widerspricht den europäischen Werten, die die neuen Rechtsradikalen in ganz Europa vorgeben schützen zu wollen.
Nichtsdestotrotz wäre es falsch gewesen, der neuen Bürgermeisterin von Lodi und Parteifreundin von Salvini, Sara Casanova, den Antrittsbesuch in Konstanz zu verweigern. Konstanz und Lodi verbindet seit 31 Jahren eine enge Städtepartnerschaft. Diese hat zahlreiche Menschen aus beiden Partnerstädten zusammen gebracht, sie ist Ausdruck der Europäischen Einigung. Die Wahl der Bürgermeisterin von der Lega Nord ist ein herber Rückschlag für die Beziehungen beider Städte.
Aber gerade jetzt gilt es, noch mehr für die Städtepartnerschaft zu tun und diese noch stärker zu vertiefen, um noch mehr Menschen aus beiden Städten zusammen zu bringen. Der Erfolg der Rechtsradikalen in Rom hat zwar viele innenpolitische Ursachen. Doch als streng empfundene Vorgaben aus Brüssel und nicht zuletzt eine deutsche Arroganz gegenüber Italien haben ebenfalls gewissen Einfluss ausgeübt. Wer jetzt fordert, die neue Bürgermeisterin von Lodi nicht in Konstanz willkommen zu heißen oder wer gar die Städtepartnerschaft einfrieren will, der spielt den Rechtsradikalen, die gegenwärtig in Rom und in Lodi (mit-)regieren, in die Karten.
Der Kommentar der JFK-Gemeinderäte wurde kollektiv verfasst:
Das Junge Forum steht klar gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Insofern sind wir der Ansicht, dass es keine besonders feinfühlige Aktion von OB Burchardt war, Frau Casanova mit einem Eintrag ins Goldene Buch zu ehren. Dennoch sind wir gleichzeitig der Ansicht, dass Städtepartnerschaften gerade auch in schwierigen politischen Zeiten ein wichtiges Instrument zum Dialog zwischen Ländern und Kulturen darstellen. Diese Verbindungen auf kommunaler Ebene sind von unschätzbarem Wert, da sie die Menschen ungeachtet aller politischen Agenden verbinden, weswegen wir sie pflegen und erhalten müssen. Auch, wenn es manchmal unbequem ist.
Die Stellungnahme der Linken Liste Konstanz von Stadträtin Anke Schwede:
2017 kam in Lodi, Partnerstadt von Konstanz seit über 30 Jahren, eine neue Bürgermeisterin ins Amt: Sara Casanova von der rechtsextremen Lega. Wir meinen – wie bereits in einer Stellungnahme der LLK zu ihrem Amtsantritt formuliert -, dass beim ersten offiziellen Besuch der Lega-Politikerin kritische Worte des Oberbürgermeisters angebracht gewesen wären. Angesichts des wachsenden Einflusses von fremdenfeindlichen und islamophoben Parteien können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und die Lega wie eine „normale“ demokratische Partei behandeln.
In ganz Europa sind politische Kräfte auf dem Vormarsch, die auf soziale Probleme, die konzern- und bankenhörige Regierungen in globalem Maßstab zu verantworten haben, mit der Mobilisierung von menschenfeindlichen Ressentiments reagieren. Statt die eigentlich Verantwortlichen für diese Ungerechtigkeiten zu benennen, von denen zunehmend auch die reichen kapitalistischen Kernländer betroffen sind, suchen die Höckes, Le Pens, Orbans & Co nach Sündenböcken. In Italien besorgt dieses Geschäft die Lega – leider so erfolgreich, dass sie nun in der Regierung sitzt. Kaum an den Schalthebeln der Macht, lässt sie ihrer Hetze rassistische Taten folgen und verwehrt beispielsweise einem Schiff mit rund 600 erschöpften MigrantInnen an Bord die Einfahrt in einen italienischen Hafen; Innenminister und Lega-Chef Salvini will sogar alle privaten Seenotretter vertreiben. Ein Akt beispielloser Unmenschlichkeit angesichts tausender ertrunkener Flüchtlinge im Mittelmeer.
Für diese Politik steht auch Casanova – sie ehrenvoll zu empfangen, ist das falsche Signal. In der Konstanzer Erklärung „FÜR eine Kultur der Anerkennung und GEGEN Rassismus“ haben sich Oberbürgermeister und Gemeinderat verpflichtet, „Nein zu sagen, wenn Andersdenkende, Andersgläubige oder Menschen mit Migrationsgeschichte angefeindet werden“. Am 11. Juni wurde diese Chance verpasst.
Beide Stadtoberen könnten sich ein Beispiel am Handeln eines ihrer Amtskollegen nehmen. Leoluca Orlando, der Bürgermeister der sizilianischen Hafenstadt Palermo, wandte sich am 10. Juni gegen die Absicht der italienischen Rechtsregierung, die Häfen für alle Schiffe zu sperren, die Geflüchtete im Mittelmeer aufnehmen. Er kündigte an, dass Palermo alle diese Rettungsschiffe aufnehmen wird. Orlando initiierte auch eine „Charta von Palermo“, in der es heißt: „Von der Migration als Problem zur Freizügigkeit als unveräußerlichem Menschenrecht“. Bravo, das ist ein Politiker, dessen Eintrag das Goldene Buch der Stadt schmücken würde.
Anstelle der Freien-Wähler-Fraktion meldet sich deren Stadtrat Anselm Venedey zu Wort:
Ob man die neu gewählte Bürgermeisterin der Partnerstadt Lodi in Konstanz empfängt? Natürlich, denn man könnte ihr klipp und klar sagen, was man von Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus, Chauvinismus hält und wozu sich die Partnerstadt Konstanz z. B. in ihrer einstimmig verabschiedeten Erklärung gegen Rassismus bekennt. Ein Eintrag ins Goldene Buch der Stadt ist geschmacklos – aber wenn schon, dann bitte neben Otto Raggenbass.
hpk
Als Architektin bzw. Hochschulabsolventin in Architektur (laureata in architettura al Politecnico di Milano) hätte Frau Casanova vielleicht auch eine Idee zum Gebäude Bodenseeforum; was man tun könnte, um es attraktiver für (ausländische) Besucher zu machen.
Und was sagt Frau Casanova?
Wurde die Gelegenheit des Besuchs nicht genutzt, Sara Casanova direkt auf diese Fragen anzusprechen? Dann wüsste man, ob sie bei diesen Themen tatsächlich angreifbar ist.
@ Peter Cuenot:
Da trifft es sich ja ausgezeichnet, dass ich mit meiner Einlassung zur gerade angekündigten Zählung der Roma eben kein Beispiel aus der „Flüchtlingsproblematik“ nahm – sondern die offen rassistische Behandlung italienischer Staatsbürger/innen durch die Lega aufgezeigt habe, von denen Salvini sagte: “I Rom italiani purtroppo ce li dobbiamo tenere” (Italienische Roma müssen wir leider hier bei uns behalten).
@ Sabine Bade
Was dagegen spricht, den Bogen zur großen Politik zu spannen, ist, dass vornehmlich das problematische Thema „Flüchtlinge“ von betroffenen Kommunen und Landkreisen ganz anders gesehen und bewertet wird, als von den in Stuttgart oder Berlin sitzenden Landes- und Bundespolitikern.
Um ein Beispiel unter vielen anzusprechen, sollte man nochmals lesen, was sich aus den Aussagen des Konstanzer CDU-Landrat Frank Hämmerle im Südkurier-Interview vom 18.08.2016 zum Thema Flüchtlingsproblematik ergibt. Zu lesen unter dem Titel „Die Kanzlerin sieht das leider anders“. (https://www.suedkurier.de/nachrichten/baden-wuerttemberg/Die-Kanzlerin-sieht-das-leider-anders-Der-Konstanzer-Landrat-Frank-Haemmerle-im-Interview;art417930,8860626 )
Meiner Meinung nach liegt der Landrat in seiner (damaligen) Analyse vollkommen richtig, genauso wie Sarah Wagenknecht von der Linke mit dem, was man in letzter Zeit dazu so liest.
Die kommunalen Anforderungen und Ansprüche an ein Gemeinde- oder Stadtoberhaupt sind im übrigen auf vielen Feldern ganz andere als die Anforderungen an Landes- oder Bundespolitiker. Oft sind die Interessenlagen geradezu konträr.
Was spricht dagegen, den „Bogen zur großen Politk zu spannen“?
Genau 80 Jahre nach der Zählung der Juden (Censimento Nazionale degli Ebrei), auf die kurz darauf die italienischen „Rassengesetze“ folgten, plant Salvinis Lega – wie heute verkündet – gerade eine Zählung der in Italien lebenden Roma …
Und was sagen die Damen und Herren Gemeinderäte zu dem Umstand, dass Frau Casanova deshalb zur Bürgermeisterin gewählt wurde, weil ihr Bürgermeister-Vorgänger, Simone Uggetti, von der Partito Democratico (Bürgermeister von Juni 2013 – August 2016) wegen Korruption ins Gefängnis musste und deshalb sein Amt verlor?
Und zu dem Umstand, dass Frau Casanova nicht nur von der LN sondern von anderen Parteien bzw. einer „Lista civica“ (Liste von Kandidaten, die keiner Partei angehören) unterstützt wurde?
Wahrscheinlich wissen nicht wenige derjenigen Gemeinderäte, die sich dazu äußerten, das gar nicht und möchten lieber den Bogen zur großen Politik spannen.