Kiss & Ride

Das C-Konzept, das den Autoverkehr in der Konstanzer Innenstadt dämpfen soll, nimmt mit dem Umbau des Rheinsteigs Gestalt an. Einer der nächsten Schritte wird die Neu­ge­stal­tung des Bahnhofsareals, mit dem man sich schon seit Jahrzehnten schwertut. Die Verwaltung stellte jetzt den aktuellen Planungsstand für Bahnhofplatz und Lago-Kreisel vor, wo es einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Nutzungformen geben soll. Sollte das nicht funktionieren, hat BM Langensteiner-Schönborn einen Plan B.

Bahnhofsplätze sind in vielen Städten Unörter, für die seit Jahrzehnten keine befriedigende städtebauliche Lösung gefunden wurde. Als die großen Bahnhöfe ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet wurden, mussten sie vielerorts – wie in Konstanz – irgendwie in die über viele Jahrhunderte gewachsene Struktur der Städte hineingepresst werden, die gerade erst ihre mittelalterlichen Stadtmauern abgerissen hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es dann, Bahnhöfe auch noch in das neue Konzept der autogerechten Stadt einzubinden. Für StadtplanerInnen stellen Bahnhöfe und ihr Umfeld bis heute eine echte Herausforderung dar, zumal die Zusammenarbeit mit der Bahn als Eigentümerin der oftmals heruntergekommenen Immobilien als ungewöhnlich nervenzehrend gilt.

Die Anforderungen sind enorm

In Konstanz soll durch das 2014 beschlossene C-Konzept die Innenstadt vom motorisierten Individualverkehr (MIV), also vor allem von Autos, entlastet werden, dazu soll auch der Bahnhofplatz umgestaltet werden. Die Verwaltung betont übrigens, dass es sich beim C-Konzept nicht um ein Verkehrs-Konzept handele, sondern um ein städtebauliches Konzept, das auch den Verkehr beeinflusst.

Stephan Fischer, bei der Stadt mit der strategischen Verkehrsplanung befasst, zählte einige der Anforderungen an die Neugestaltung des Platzes auf: Er soll ausreichend Fahrradabstellplätze bieten, den Umstieg zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln ermöglichen, er soll barrierefrei sein und Parkplätze für Menschen mit Behinderungen bieten, es braucht Raum für Bushaltestellen in beide Richtungen sowie einen Taxistand, der Platz soll Bäume beherbergen und die Möglichkeit zum Kiss & Ride bieten, also Menschen im Hol- und Bringverkehr mit dem Auto zum Bahnhof zu fahren und sich dort von ihnen zu verabschieden. Außerdem braucht es Querungen für Fußgänger und eine Ampel für Sehbehinderte (akustische Lichtsignalanlage) jeweils zur Bodanstraße und zur Marktstätte hin.

Kein Platz

Viel Raum hat man für das alles nicht: „Aufgrund seiner Länge von etwa 290 m und durchschnittlicher Breite von 25 m wird der Bahnhofplatz jedoch eher als Straße und nicht als Platz wahrgenommen. Er umfasst eine Fläche von ca. 7500 Quadratmetern, davon sind 1300 Qudratmeter im Eigentum der DB AG.“ Die Bahn will ihre Ladenzeile zwar irgendwann neu bauen, aber ihre Planungen sind noch nicht so weit gediehen, dass die Konstanzer PlanerInnen darauf Rücksicht nehmen könnten.

Die Grundidee der Neuplanung ist es, die Straße vor dem Bahnhof von der Bodanstraße bis zur Dammgasse für den MIV zu sperren. Im gesperrten Teil vor dem Bahnhof sollen nur noch Busse, FußgängerInnen und Fahrräder unterwegs sein. Die Dammgasse soll wegen des dortigen Parkhauses für Autos erreichbar bleiben, das setzt der Fußgängerzone eine nördliche Grenze, denn eigentlich läge es ja auf der Hand, die Fußgängerzone bereits am Fischmarkt oder an der alten Rheinbrücke beginnen zu lassen. Die Neuaufteilung des Areals wird zur Verlegung einiger Funktionsbereiche führen. Es sollen über das ganze Areal verteilt 31 Bänke, 26 Bäume sowie 320 Fahrradstellplätze errichtet werden.

So soll der Platz aussehen

Unternehmen wir einen Rundgang:

Vor der Sparkasse (die künftig ja auch ein Hotel mit 50 Zimmern beherbergen soll) stehen in Zukunft sieben Taxis. Vor McDonald’s und Hotel Halm ragen einige Bäume in den Konstanzer Himmel, und vor dem Hotel Halm soll es eine kleine „Vorfahrt“ für Hotelgäste geben. Im Bereich Deutsche Bank, Casino und Sporthaus Gruner ist eine Bushaltestelle geplant, an der werktäglich rund 218 Busse andocken. An der Kreuzung Bodanstraße/Bahnhofplatz findet sich der neue Kreisverkehr.

Auf der anderen Seite geht es am Bahnhof entlang zurück. Vor dem Schweizer Bahnhof gibt es ebenfalls eine Bushaltestelle und einige Bäumchen. Vor der Bahnhofsfront werden zwei Stationen zum Mieten von 16 normalen und vier Lastenfahrrädern eingerichtet. Mittig vor dem Bahnhof befindet sich auf der Straße die vertraute Verkehrsinsel, die das Überqueren des von werktäglich in beiden Richtungen zusammen rund 770 Bussen genutzten Bahnhofplatzes erleichtert.

Weiter in Richtung Ladenzeile: Die bisherige Bushaltestelle am Bahnhof bleibt, soll aber eine größere Wartehalle bekommen. Vor der Ladenzeile gibt es dann einen Behinderten-, drei Kiss & Ride- sowie vier Carsharing-Parkplätze. An der Marktstätte und an der Einmündung zu Bodanstraße wird jeweils eine mit einer Ampel bewehrte Querung über eine Mittelinsel eingerichtet und an der Einmündung zur Dammgasse wird eine Wendemöglichkeit geschaffen.

Das alles ist noch Zukunftsmusik, denn die Pläne sollen erst morgen vom Gemeinderat abgesegnet werden. Stimmt der zu, wird eine BürgerInnenbeteiligung durchgeführt. Die Presslufthämmer könnten dann ab Herbst 2019 ihr garstig Lied zu singen beginnen. Der Zeitplan ist nicht beliebig entstanden, sondern berücksichtigt bestimmte zeitliche Vorgaben für die Vergabe von Fördermitteln des Landes. Nach Angaben von Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn kommen so 30 bis 50 Prozent der noch unbestimmten Kosten wieder herein.

Diskussionsbedarf

Aus den Reihen des Technischen und Umweltausschusses gab es einige Bedenken und Anregungen. Sowohl Gisela Kusche (FGL) als auch Heinrich Fuchs (CDU) regten an, mit den Betreibern des Parkhauses Dammgasse zu verhandeln, um dort ein Stockwerk für das Fahrradparken zu bekommen (wäre dieses durchaus profitable Haus in städtischer Hand, könnte man das ja einfach mal ausprobieren …). Allerdings ist der Einwand der Verwaltung nicht ganz von der Hand zu weisen, dass Pendler, die eilig zum Bahnhof radeln, ihr Fahrrad direkt am Bahnhof oder der Marktstättenunterführung und nicht 100 Meter weiter im Parkhaus abstellen werden, komme was da wolle.

Angesichts der Tatsache, dass in absehbarer Zeit auch noch die Fahrradstellplätze auf Bahnsteig 1 im Bahnhof verschwinden werden, ist mit einem Gesamtbedarf von rund 600 Radstellplätzen im Bahnhofsbereich zu rechnen. Selbst der Schweizer Bahnhof, in dem ja noch der Zoll residiert, wäre dafür viel zu klein, und Stephan Kühnle (FGL) brachte es auf den Punkt: „Heute hat jede Stadt dieser Größenordnung eine Rad- und Servicestation am Bahnhof, wo man das Fahrrad abstellen und tagsüber reparieren lassen kann“.
Laut Karl Langensteiner-Schönborn ist ein Fahrradparkhaus auf dem Bahngelände oder unter der neuen Ladenzeile zumindest angedacht. Er kündigte an, die Bahn wolle ihre Pläne für die Ladenzeile nach der Sommerpause (2018?) präsentieren. Das klingt ziemlich ambitioniert, wenn man bedenkt, wie Verhandlungen mit der Bahn über den Konstanzer Bahnhof zu verlaufen pflegen. Jürgen Ruff (SPD) ist wohl nicht der einzige Lokalpolitiker, bei dem „alle Alarmglocken schrillen, wenn die Bahn etwas in Eigenregie machen will“.

Barrierefreiheit verbessern

Ein anderer Aspekt wurde vom Behindertenbeauftragten Stephan Grumbt eingebracht: Für ältere Menschen mit Gepäck ist der Weg zum Bahnhof zum neuen Taxistand vor der Sparkasse einfach zu weit. Außerdem wünscht er sich vom Konstanzer Taxigewerbe ein Behindertentaxi, das auf den Transport von Rollstühlen eingerichtet ist und Behinderte am Bahnhof abholen kann.

Klaus-Peter Kossmehl (FWK) dachte darüber nach, Buslinien zu verlegen, um das Bahnhofsareal zu entlasten und vertrat die Position, dass das Parkhaus Dammgasse komplett für Autos gebraucht wird, so dass dort kein Platz für Fahrräder sei. Eine andere Idee formulierte Matthias Heider (CDU), der vorschlug, das Umsteigen zwischen den Buslinien in Zukunft an den Sternenplatz zu verlegen und von dort aus die Innenstadt mit Shuttle-Bussen anzufahren. Angesichts des begrenzten Raumes am Sternenplatz eine Idee, die so manche VerkehrsplanerInnen ins Schwitzen bringen und gerade zu Hauptverkehrszeiten viele BusfahrerInnen in den Wahnsinn treiben dürfte.

Die grundsätzlichste Kritik wurde von der Linken Liste geübt, der das gesamte C-Konzept nicht weit genug geht. Holger Reile forderte, die Innenstadt müsse konsequent vom MIV befreit werden, und genau das tue dieses Konzept nicht. Ein Ende der Konstanzer Verkehrskatastrophe ist für ihn mit dieser Planung nicht in Sicht.

Es ist davon auszugehen, dass der Gemeinderat morgen den Planungsbeschluss fasst. Ob dann tatsächlich am Bahnhof eine Lösung entsteht, die so vielen Bedürfnissen gerecht wird und eine breite Akzeptanz findet, muss abgewartet werden. Karl Langensteiner-Schönborn hat jedenfalls schon mal augenzwinkernd seinen Plan B präsentiert. Sollte sich das C-Konzept als nicht praxistauglich erweisen, könne man den Bahnhofplatz ja einfach wieder für die Autos öffnen.

O. Pugliese (Foto: Harald Borges/seemoz)