Rechte werben für „ethnokulturelle“ Volksgemeinschaft

Gerangel und Tumult auf der Konstanzer Marktstätte, „Nazis-raus“-Sprechchöre schrecken Café-BesucherInnen und Pas­santInnen auf. Einige AntifaschistInnen empörten sich am vergangenen Samstag lautstark über Angehörige der sogenannten Identitären Bewegung (IB), die rund um den Kaiserbrunnen Propagandamaterial ver­teil­ten. Nicht zum ersten Mal warben die Rechts­extremen in der Universitätsstadt für ihre völkisch-nationalistischen Ziele, diesmal hatten sie dazu sogar den Segen der Stadt­ver­waltung, wie von IB-Akteuren mehrfach betont und auf Anfrage auch von der Polizei bestätigt wurde.

Um die 15 AktivistInnen waren es, die am 30.6. ihr Propagandamaterial unter die Leute brachten und dabei gezielt vor allem jüngere Menschen um Unterstützung angingen. In den Flyern wird das sattsam bekannte Lamento über eine angebliche Bedrohung „unser aller Zukunft“ durch „Masseneinwanderung“ und „Islamisierung“ angestimmt und von einem „große(n) Bevölkerungsaustausch“ halluziniert. Offenkundig hat die zu Beginn des Jahrtausends in Frankreich entstandene und heute in mehreren europäischen Ländern aktive Strömung der Neuen Rechten inzwischen auch in Konstanz Fuß gefasst. So bekannte sich die IB etwa zur spektakulären Verhüllung der Imperia im Oktober 2017, auch beim diesjährigen Konstanzer Fasnachtsumzug traten die rechten AktivistInnen in Erscheinung. Am vergangenen Samstag waren nicht nur mehrere aus der Region bekannte IBler vor Ort, darunter der „Ortsgruppenleiter“ Dominik Böhler aus Wollmatingen, an der offenbar länger vorbereiteten Aktion nahmen auch bekannte IB-Funktionäre aus dem süddeutschen Raum teil, etwa Jonathan Rudolph aus Tübingen, der als eine der Führungsfiguren der süddeutschen Szene gilt.

„Ortsgruppenleiter“ Böhler (links), Konstanz.

Die stets adrett gekleideten, überwiegend jüngeren Rechtsextremen versuchen, die tumbe faschistische Blut-und-Boden-Ideologie in zeitgemäßer Verpackung an das biodeutsche Zielpublikum zu bringen. So auch am 30. Juni in Konstanz: Die auf Typ Schwiegermuttertraum gestylten Akteure verteilten etwa einen Flyer, in dem man sich als „Jugend ohne Migrationshintergrund“ bezeichnet, „die von den politischen Eliten zwar vergessen wurde, aber nicht wehrlos ist“. Als „patriotische Jugendbewegung“ will man dem herbeiphantasierten „Niedergang eines ganzen Kontinents“ nicht tatenlos zusehen, sondern, anknüpfend an „die geschichtliche Kette unserer Vorfahren“ (Gaulands Mückenschiss lässt grüßen), das „Fundament für künftige Generationen deutscher und europäischer Kultur“ legen. Das will die IB im Kampf für die „ethnokulturelle Identität“ schaffen – eine auf unverfänglich getrimmte Umschreibung der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, reingehalten von allem kulturfremd Ausländischem.

„Ortsgruppenleiter“ Rudolph, Tübingen.

Die Stadtverwaltung muss sich schon fragen lassen, warum sie solchen Leuten erlaubt, ihre rassistische Hetze öffentlich zu verbreiten. Selbst Facebook sah sich immerhin jüngst gezwungen, den Jungrechten wegen ihrer menschenverachtenden Ausfälle die Seite zu sperren. Waltete da Unkenntnis oder Gleichgültigkeit bei den Verantwortlichen im Rathaus? Oder müssen wir diese Entscheidung als Indiz werten, dass die politische Koordinaten­verschiebung nach rechts inzwischen auch Verwaltungskreise erreicht hat? Gut jedenfalls, dass die völkische-nationalistische Propaganda der Hipster-Rechten am Samstag auf der Marktstätte nicht unwidersprochen blieb und nicht wenige der hetzerischen Flyer im Müll landeten.

jüg (Text und Foto)

Linke Liste will Auskunft über IB-Aktivitäten

LLK-Stadtrat Holger Reile verlangt wegen der samstäglichen Aktivitäten von Mitgliedern der „Identitären Bewegung“ auf der Marktstätte Auskunft vom zuständigen Konstanzer Bürgeramt. Seine Anfrage an die stellvertretende Amtsleiterin Christine Barth, zuständig für solche Genehmigungen, im Wortlaut.

Mehrere Konstanzer BürgerInnen meldeten sich am Samstag bei uns und berichteten von einer Aktion der rechtsradikalen Gruppierung „Identitäre Bewegung“(IB) auf und rund um die Marktstätte. Ca. 10 bis 15 Mitglieder der IB verteilten Flugblätter mit eindeutig rassistischen und rechtsextremen Parolen. Zudem versuchten sie vor allem Jüngere zu einer Mitgliedschaft bei der IB zu überzeugen und baten auch um finanzielle Unterstützung für ihre Aktionen. Aufgebrachte Passanten berichteten davon, dass einer der Wortführer, der sich als „IB-Ortsgruppenleiter“ ausgab, vermutlich handelte es sich dabei um D. Böhler aus Wollmatingen, behauptete, für diese Aktion habe das Bürgeramt eine Genehmigung erteilt. Laut Auskunft der hiesigen Polizei sollen Sie, Frau Barth, diese Aktion genehmigt haben. Da stellen sich Fragen, um deren rasche Beantwortung wir Sie bitten:

1. Wer hat bei Ihnen und wofür genau eine Genehmigung erbeten?

2. Ging es „nur“ um Verteilung von Flyern?

3. Wenn ja, haben Sie sich den Inhalt dieser Flyer vorab vorlegen lassen? Bei den verteilten Flyern mit dem Titel „Eine Generation – Ein Schicksal – Eine letzte Chance“ handelt es sich eindeutig um menschenverachtende Propaganda, wie sie aus dem rechtsextremen Lager sattsam bekannt ist. Von „Bevölkerungsaustausch“ ist die Rede, vom „Niedergang eines ganzen Kontinents“, für den die IB die „Masseneinwanderung“ verantwortlich macht und auch davon, dass Frauen sich nicht mehr auf die Straße trauen könnten, da „täglich“ mit „sexuellen Übergriffen von Migranten“ gerechnet werden müsse.

4. Haben Sie, Frau Barth, die Genehmigung dieser Aktion mit Ihrer Amtsleitung oder auch dem Justiziariat besprochen?

Aufgrund der Aktualität erwarten wir Ihre Antwort umgehend.

Mit freundlichen Grüßen
Holger Reile
Stadtrat Linke Liste Konstanz (LLK)