Die Affäre Boldt: „Das muss doch Konsequenzen haben“
Die Empörung unter den Zuhörern, viel zahlreicher als sonst, war riesig: Sie schimpften und spotteten über die windelweichen Rechtfertigungsversuche der Verwaltungsspitze in der Gemeinderatssitzung letzten Donnerstag in Konstanz. „Das muss doch Konsequenzen haben“, rief eine wütende Zuschauerin. Doch das ging unter im Geraune der nur noch grummelnden Gemeinderäte: Einmal mehr hatten die Bürgermeister eine peinliche Diskussion unbeschadet überstanden. Aber wie lange geht das für sie noch gut?
Es ging um die Causa Müller-Esch, die längst zu einem Fall Boldt geworden ist. Und es ging um den Rüffel des Freiburger Regierungspräsidiums, in dem Bürgermeister Boldt kritisiert wurde, weil er die Anhörung des Beschuldigten in der Gemeinderatssitzung, in der die Kündigung von Müller-Esch übers Knie gebrochen wurde, verweigert hatte.
April 2011: In einem Offenen Brief kritisieren 25 Mediziner des Zentrums für Innere Medizin, unter ihnen auch ihr Chefarzt Prof. Müller-Esch, die Leitung des Klinikums Konstanz. 28.4.: Der Gemeinderat stimmt in seiner Eigenschaft als Stiftungsrat dem Kündigungsbegehren der Klinikleitung gegen Prof. Müller-Esch zu; Beschäftigte demonstrieren vor dem Rathaus. Mai 2011: Patienten, Politiker und Kollegen solidarisieren sich öffentlich mit Müller-Esch. 5..Mai: seemoz veröffentlicht den Offenen Brief der Mediziner. Gleichzeitig tritt der Personalrat des Klinikums aus Protest zurück. 6. Mai: Rainer Ott und Niko Zantl, Klinikum-Geschäftsführer und Ärztlicher Direktor, antworten erstmals schriftlich auf die Vorwürfe aus der Ärzteschaft. 26. Mai: In wieder einmal nicht öffentlicher Sitzung stimmt der Gemeinderat zwei neuerlichen Kündigungen von Müller-Esch zu. 29. Mai: Ein Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Radolfzell endet ergebnislos. Juni 2011: Die Stadträte Wiedemann und Roth fragen beim Regierungspräsidium Freiburg nach, ob die Rechtsauskunft von Bürgermeister Boldt, der beschuldigte Prof. Müller-Esch könne vom Gemeinderat nicht angehört werden, rechtens sei. 5. September: Das Regierungspräsidium widerspricht schriftlich Bürgermeister Boldt: Eine Anhörung sei sehr wohl möglich gewesen. September 2011: Der Konstanzer CDU-Chef Heider nimmt Bürgermeister Boldt öffentlich in Schutz. Zwischenzeitlich haben mindestens neun Ärzte aus Protest gekündigt. Oktober 2011: Auch Sabine Müller-Esch, Ärztin am Klinikum Konstanz und Ehefrau von Gert Müller-Esch, wird in den Skandal um ihren Mann hinein gezogen. Gegen eine Abmahnung erhebt sie Klage vor dem Arbeitsgericht.
Prof. Roth, der erst kürzlich der Affäre Boldt wegen aus der CDU-Fraktion ausgetreten war und die Anfrage an das Regierungspräsidium mit eingefädelt hatte, eröffnete die Diskussion mit einem brillanten Beitrag, in dem er die Interpretation der Baden-Württembergischen Gemeindeordung durch Bürgermeister Boldt in der fraglichen Sitzung geißelte und eine Entschuldigung des Bürgermeisters forderte.
Claus Boldt, Bürgermeister auf Abruf, entgegnete lauthals, er habe die einschlägigen Kommentare zur Gemeindeordnung studiert und sei so schlicht zu einer anderen Einschätzung als das Regierungspräsidium gelangt. So sei das eben unter Juristen – es gebe stets Probleme mit der Auslegung von Paragrafen. Von einer Entschuldigung für seine Fehleinschätzung, für seine Fehlinformation, war er weit entfernt.
Dem widersprach später Werner Allweis von den Grünen. Der hatte ebenfalls Kommentare zur Gemeindeordnung studiert und fand durchaus Gründe für eine abweichende Rechtsmeinung, die auch der Verwaltungsspitze hätten auffallen können. Er forderte größtmögliche Sorgfalt bei weiteren Rechtsberatungen durch die Verwaltungsspitze.
Holger Reile von der Linken Liste Konstanz ging noch weiter: Er verlangte den Rücktritt von Bürgermeister Boldt wegen erwiesener Unfähigkeit. Schon im Maultaschen-Fall habe der seine soziale Inkompetenz gezeigt. „Sie sind der falsche Mann an diesem Platz und Ihrer Verantwortung nicht gewachsen“, schimpfte Reile und bezog Oberbürgermeister Frank in die Kritik mit ein. Er warf Frank vor, als Sitzungsleiter damals nicht eingeschritten zu sein.
Horst Frank machte wie Boldt eine schlechte Figur. Zunächst entzog der Oberbürgermeister oberlehrerhaft Roland Wallisch (FGL) das Wort, weil der mit einer Bemerkung über die Zukunft des Klinikums nicht zur Tagesordnung gesprochen habe. Dann, von Eberhard Roth darauf hingewiesen, dass doch er, der OB, es war, der Prof. Müller-Esch vor der zweiten Sitzung aufgefordert hatte, sich für eine Anhörung bereit zu halten, die er dann in der Sitzung selber aber als „juristisch nicht möglich“ bezeichnete, verweigerte eine Antwort: „Da muss ich erst nachschauen“, war Franks einziger Kommentar.
Alleine die CDU-Fraktion hielt zu ihrem Parteifreund Boldt. Fraktionsvorsitzender Roger Tscheulin wies in einer langen, zu großen Teilen unverständlichen Rede „die Rücktrittsforderung an Herrn Boldt mit aller Entschiedenheit zurück“. Seltsamerweise wurde der CDU-Mann vom Sitzungsleiter nicht zurecht gewiesen, obwohl er mehr als ein Mal zu sachfremden Themen sprach.
Jürgen Leipold (SPD) brachte seine Kritik auf einen kurzen Nenner: „Es würde die Debatte sehr verkürzen, wenn Sie nur gesagt hätten: Es tut mir leid, dass ich eine falsche Auskunft gegeben habe“ rief er Boldt zu. Jürgen Wiedemann (NLK) gab zu, „sich zu schämen – nicht für die Entscheidung, die zur Kündigung führte, sondern für die Art, wie diese Entscheidung zustande kam“. Und Klaus Frank (FUF) wünschte sich für die Zukunft „mehr Demokratie vonseiten der Verwaltung“, womit er auch deren Hang zu „nicht öffentlichen Sitzungen“ meinte.
Als handelte es sich bei dieser Kritik um einen ganz normalen Tagesordnungspunkt, ging Oberbürgermeister Frank sodann kommentarlos zur Tagesordnung über. Der quer durch den ganzen Gemeinderat vorgetragene Unmut gegen Bürgermeister Boldt müsse ein Nachspiel haben, forderten zahlreiche Zuhörer. Und Gert Müller-Esch in der letzten Zuschauerreihe nickte dazu.
Autor: hpk
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Sippenhaftung der Familie Müller-Esch
Das ist spaßig: Ein Bürgermeister und Jurist hat Probleme mit der Auslegung von Paragrafen der Gemeindeordnung! Wenn jemand guten Willens ist, kann er beispielsweise einen zweiten Juristen bitten, ihm diesen ach so auslegungsbedürftigen Paragrafen zu erläutern!
Ich verstehe überhaupt nicht, warum man überhaupt eine Gemeindeordnung heranziehen muss, um eine Selbstverständlichkeit zwischen Erwachsenen zu ermöglichen. Es wäre schlicht guter Stil gewesen, den Chefarzt eines städtischen Krankenhauses einzuladen, damit er dem Gemeinderat die Dinge aus seiner Sicht darlegen kann. Claus Boldt hätte dieses Gespräch aus ethischen und moralischen Gesichtspunkten und um der Klarheit willen sogar einfordern müssen, anstatt sich hinter einem Paragrafen zu verschanzen.
Schon im Kindergarten werden die Streithähne angehört!