Ein Gemälde, das zu den Handtüchern passt
Im zweiten Teil unseres Gespräches mit Beat Fehlmann, dem scheidenden Intendanten der Südwestdeutschen Philharmonie, geht es um den Unterschied zwischen zeitgenössischer Malerei und Neuer Musik, die geschmackvolle Einrichtung von Yuppie-Toiletten, Morddrohungen und gekonnte Erbschleicherei. Außerdem wird das Geheimnis gelüftet, woher all die schönen bunten Klassik-CDs mit den sexy Hüllen kommen – der Klapperstorch bringt sie jedenfalls nicht.
Den ersten Teil des Gespräches lesen Sie hier.
Ich habe als Musikkritiker in Konstanz früher wüste Morddrohungen vor allem von gesetzteren Damen bekommen, wenn ich mich kritisch über einen bekannteren Solisten äußerte. Du als Intendant hast davon vermutlich einen ganzen Schrank voll?
Nein, keine einzige. Mich lieben die alten Damen doch. Sie fragen mich ja eher, ob sie mir nicht etwas vermachen können (lacht).
Das ist ja Erbschleicherei!
Richtig!
Mir fiel damals zum ersten Mal auf, wie sehr manche Menschen an „ihrem“ Star hängen, das schien mir noch nicht so üblich in der Klassik. Ist es tatsächlich so, dass sich auf dem Klassikmarkt ein Starrummel entwickelt hat, wie man ihn früher nicht kannte? Es gab natürlich im 19. Jahrhundert Berühmtheiten wie Paganini oder Liszt und Gesangsstars wie Jenny Lind, auch die Callas war durchaus eine öffentliche Person, gerade mit ihren Ehen.
Ich bin skeptisch. Ich glaube eher, dass es heute eine Strategie der sterbenden Aufnahmebranche ist, die damit Verkaufszahlen zurückgewinnen will. In der hochgradig personalisierten Popmusik funktioniert das gut, und das soll jetzt auf den Klassikmarkt übertragen werden. Aber so viel anders als früher ist das nicht.
Sicher neu ist die starke Sexualisierung, mit der MusikerInnen präsentiert werden. So etwas hätte in den siebziger oder achtziger Jahren noch für Skandale gesorgt. Ich habe gelesen, ich weiß nicht, ob die Zahlen stimmen, dass in den USA einmal eine CD die Nummer eins der Klassik-Wochencharts wurde, die in diesem Zeitraum 400 Exemplare abgesetzt hatte. Weshalb kommen trotzdem derart viele Neuerscheinungen heraus?
Eine Aufnahme hat noch immer eine Visitenkartenfunktion. Wenn man in bestimmten Reihen und auf bestimmten Festivals mitspielen will, muss man Aufnahmen vorlegen können. Die Künstler, die Orchester und die Labels spielen dabei mit. Die Labels allerdings ziehen sich mittlerweile aber immer mehr aus der Finanzierung zurück.
Im Prinzip liefert man dort die fertige, selbst bezahlte Aufnahme ab?
Ja. Das Ziel ist letztlich, weitere Konzerte und Auftritte zu bekommen. Viele investieren einen Haufen Geld, teilweise auch öffentliches Geld, um Aufnahmen zu ermöglichen, die dann von den Labels verbreitet werden (oder auch nicht), die aber zumindest mal im Katalog stehen. Klar, bei Künstlern wie Lang Lang zum Beispiel sieht das anders aus. Aber das sind ganz wenige Ausnahmen. Trotzdem haben diese Labels immer noch eine Türöffnerfunktion. Deshalb entsteht immer wieder irgendwo die 125.000ste Beethoven-Produktion.
Auslöser ist also nicht ein künstlerisches Bedürfnis?
Nein. Brauchen wir wirklich die neue Beethoven-Gesamteinspielung von Philippe Jordan oder Andris Nelsons? Ist das ein wirklich neuer Beethoven? Selbst ich als Intendant der Südwestdeutschen Philharmonie, der ich eher ein Miniplayer bin, bekomme pro Tag zwei bis drei CDs von Künstlern zugeschickt. Teilweise kann man ja auch die großen Labels korrumpieren. Man kann etwa zur deutschen Grammophon, Ableger Südkorea, gehen oder zu Sublabels, die man sich kaufen kann, das merken dann die wenigsten. Auch die großen Namen sind ein bisschen käuflich.
Frau muss sich also nicht mal ausziehen, und bekommt trotzdem das goldgelbe Logo oben auf ihr CD-Cover.
Ja. Schauen wir uns einmal den Markt an, auf dem wirklich Geld umgesetzt wird, die Rock- und Popmusik. Hier ist derzeit die CD-Aufnahme nichts weiter als das Mittel zum Zweck, nämlich das große Live-Event zu verkaufen. In der Klassik ist es ähnlich.
Ich habe ein Argument gelesen, das mich beeindruckt hat. Wären die Klassikverkäufe tatsächlich gut, müsste es immer wieder einmal auch eine CD aus dem Klassikbereich unter die Top 100 der Gesamtverkaufsliste schaffen. Der einzigen CD, der dies aber seit Menschengedenken gelungen ist, so heißt es zumindest, war ein als Klassik verkaufter New-Age-Gesang.
Geld verdient damit niemand wirklich. Die Labels halten sich dennoch irgendwie über Wasser …
Wird die Klassik-CD demnächst durch geklaute kostenlose Versionen bei YouTube abgelöst oder wird sie bei bezahlten Streaming-Diensten landen? Durch die Digitalisierung sind die Aufnahmen viel leichter zu verbreiten und viel billiger geworden, es genügt, eine elektronische Version ins Internet zu stellen.
Ich glaube, dass sich Musik komplett auf Streaming-Dienste verlagern wird. Aber im Moment ist es noch nicht so weit. Es ist wie mit der Visitenkarte, die bräuchte man auch nicht mehr zu drucken, man könnte sich die Adressdaten per Handy zuschicken, trotzdem bleibt man bei der gedruckten Visitenkarte. Da sehe ich durchaus Parallelen, es ist ein Anachronismus. Die Entwicklung wird dahin führen, dass wir immer weniger bereit sind, Geld für Musik auszugeben. Wenn ich heute nur schaue, was ich alles bei Spotify bekommen kann. Das ist ja auch eine Fundgrube sogar für neue Musik von Lachenmann bis Xenakis. Ich bin früher in praktisch jeder Stadt, in der ich war, in die CD-Läden gerannt und habe mir dort Neue-Musik-CDs gekauft, weil ich dachte, bestimmte CDs finde ich nur hier. Als ich mir noch überlegt habe, Komponist zu werden …
… ich habe vergeblich nach Stücken von Dir gesucht …
… die findet man nicht wirklich. Ich habe mir damals jedenfalls überlegt, zu welchem Verlag ich vielleicht gehen könnte. Ich habe mich dagegen entschieden und eine Homepage eingerichtet mit einem Downloadbereich. Wenn es gut lief, hat sich meine Musik zehn- oder zwanzigmal im Lauf eines Jahres verkauft, und ich habe am Ende 4,95 Fr. dafür bekommen. Ich habe meine Musik dann kostenlos angeboten. Diese Verfügbarkeit ist für nicht so populäre Werke extrem wichtig.
Auf welchen Wegen erfahren Hörer denn von neuen KomponistInnen?
Das ist in der Tat schwierig. Im Klassikbereich gibt es die Plattform IDAGIO, eine kuratierte Reihe. Dort liefern Fachleute wöchentlich eine bestimmte Auswahl. Mit ihrer Musik Geld zu verdienen, das ist im Moment für Komponisten verdammt schwierig.
Sie haben sich immer auch anders finanziert. Im 18. Jahrhundert waren sie Angestellte bei Hof oder bei der Kirche, im 19. Jahrhundert gab es dann schon ein paar Freischaffende wie Beethoven, Mendelssohn, Brahms oder Wagner, wobei es Wagners Hauptbeschäftigung neben der Verbreitung antisemitischer Schriften war, bei irgendwelchen Fürsten die Hand aufzuhalten …
… und Frauen zu verführen und dann wieder zu gehen …
Im 20. Jahrhundert ging der Trend dann dahin, Professor zu werden und sich als Komponist so durch eine Lehrtätigkeit abzusichern. Selbst Wolfgang Rihm, der der in Deutschland vermutlich mit Abstand wirtschaftlich erfolgreichste Komponist ist,
… hat eine Professur.
Wirkt sich das auf die Produktion aus? Selbst ein Herr Bach hätte wohl wesentlich weniger Kirchenkantaten geschrieben, wenn er nicht den Job in Leipzig an der Thomaskirche bekommen hätte. Kriegen wir also als Neue Musik eigentlich nur Professorenmusik vorgesetzt?
Es ist eine Illusion, dass sich diese Bedingungen nicht auf die Produktion auswirken. Wenn die großen Stiftungen oder Fördertöpfe irgendein Schwerpunktthema setzen, gibt es dann plötzlich ganz viele Stücke, die sich da irgendwie subsumieren lassen. Das war aber schon immer so. Wenn jemand beim Fürsten angestellt war, wollte er auch nicht, dass der Fürst brüskiert war. Und wenn die Frau Fürstin starb, dann brauchte man ganz schnell eine Totenmesse – auf Teufel komm raus. Die Idee vom völlig unabhängigen Künstler war schon immer eine Illusion.
Wir beide haben das Buch „Klassikkampf“ von Berthold Seliger gelesen. Nachdem ich mit den 500 Seiten durch bin, drängt sich mir der Eindruck auf, dass der Ertrag der Lektüre relativ gering ist. Das Lektorat hätte dieses Buch auf ein Drittel kürzen können, weil sein Autor mit viel zu vielen Beispielen arbeitet. Richtig nervig ist auch der Beethoven-Teil am Ende, der nichts Originelles enthält. Aber dieses Buch verkauft sich ganz gut.
Ich hab‘s ja auch gekauft.
Eine These darin ist, dass der Klassikbetrieb in Deutschland komplett verknöchert ist und sich auf ein geringes Repertoire verengt hat. Da der Autor sich gern als Linker ausgibt, ist das für ihn das Ergebnis einer auf Verdummung der Menschen angelegten Unterhaltungsindustrie, die die Leute sedieren will.
Ich teile nicht alle Thesen dieses Autors. Aber seine pseudomusikwissenschaftlichen Ausflüge vor allem am Ende seines Buches führen zu überhaupt nichts. Da befriedigt er sein Ego, da merkt man, er will jemandem etwas beweisen. Abgesehen davon haben wir sicher das Problem, dass das aktuelle Komponieren – abgesehen von einem Expertenkreis – wenig Resonanz findet. Die letzten 100 Jahre spielen im heutigen Konzertbetrieb praktisch keine Rolle.
Warum ist das bei der Malerei so anders? Als die ersten Kandinskys gezeigt wurden, schrien die Leute noch, wir zünden die Galerie an, wir wollen diesen Scheiß nicht sehen. Wenn heute eine Kandinsky-Ausstellung stattfindet, musst du zwei Monate vorher eine Karte bestellen und kriegst dann gnädig einen Eintritt für 13:45 Uhr am Sonntag nach Trinitatis gewährt. Bei einem Konzert mit Werken von Schönberg, der ja mit Kandinsky befreundet war, hast du Riesenprobleme, die Hütte irgendwie halbwegs voll zu bekommen. Warum ist die Kunstgeschichte so komplett anders gelaufen als die Musikgeschichte der letzten 100 Jahre?
Das weiß ich auch nicht genau. Es gibt natürlich immer wieder Theorien, dass dies am Markt hängt, denn dort sind zeitgenössische Kunstwerke immer wieder auch lohnende Spekulationsobjekte, auch wenn sich Kunst langfristig nie mehr rentiert hat als Aktien.
Wenn du liest, dass ein van Gogh gerade 130 Millionen erzielt hat, dann möchtest du vielleicht auch mal einen echten van Gogh sehen. Im Louvre in Paris sprintet alles zielstrebig zur Mona Lisa, 500 Leute stehen davor, das Bild ist sooo klein, hinter einer dicken Panzerglasscheibe, und alles hält mit dem Handy samt Blitz drauf, dass Du schier Augenkrebs kriegst. Auf dem Weg dorthin sieht niemand einen sensationell restaurierten Ghirlandaio oder gar die umwerfende Nike von Samothrake. Die Mona Lisa dürfte halt Milliarden kosten.
Es mag sich ein wenig verrückt anhören, aber ich denke, dass die bildende Kunst im Moment die Möglichkeit bietet, verschiedene Dinge miteinander zu verbinden. Das Art-Publikum in Basel bietet eine tolle Gelegenheit zu sehen, wie dieser Markt funktioniert. Ich kann mich tatsächlich daran erinnern, wie dort ein typisches Yuppie-Pärchen diskutierte, ob dieser Rothko gut für die Gästetoilette wäre. „Das würde gut zu den Handtüchern passen“, das habe ich wirklich gehört, ich stand nur einen Schritt hinter ihnen. Das waren die Zeiten, als solche Yuppie-Pärchen noch wirklich gut betucht waren und als wertvolle Mitglieder der menschlichen Gesellschaft betrachtet wurden …
… inzwischen ist dieser Irrtum ja geklärt …
Die wissen einfach, da ist ein Maler, der funktioniert, damit gehen wir kein Risiko ein, den hängen wir uns jetzt einfach dahin. Sie können jedem sagen, das Bild bei uns auf der Toilette hat 25.000 gekostet und ist inzwischen 45.000 wert. Also zweimal geschissen, und der Preis hat sich verdoppelt. Das ist der einzige Ort, wo es beim Kacken nach oben geht. Ich denke, das spielt eine sehr große Rolle, und das hat Musik nun gar nicht zu bieten.
Gesprächspartner war Harald Borges (Fotos: H. Borges, hpk)
Leider ist das so, dass man mit Kunst angeben kann, man besitzt und zeigt einen Rothko, und kann damit ohne jede Kunstkenntnisse „Geschmack“ vortäuschen. Das Bild ist da und stört nicht weiter. Musik kann damit nicht mithalten, Gäste zu den Klängen von Blacher oder Schönberg zu begrüßen dagegen schon.
Anm.d.Red.: Mark Rothko (1903-1970) war ein amerikanischer Maler
Das ist allerdings ein zutiefst inspirierender Wein!
@Monika Riniker
Ein Morillon vom Opok 2008, Weingut Maria & Sepp Muster, Leutschach/Südsteiermark, erwies sich als die lauterste Inspiration.
Zu beiden Gesprächsteilen: bei der Lektüre dieser anregenden, geistreichen, kritischen und witzigen Unterhaltung über Musik, den Musikbetrieb und den Kunstbetrieb im allgemeinen stellt sich der geneigten Leserin die Frage, was die beiden Sprechenden denn Feines getrunken haben könnten. Darf ich fragen, um welche Weine es sich handelt? Ich möchte die unbedingt auch kosten!