Ein Gutachten und seine Folgen

Showdown ist am kommenden Dienstag, 18. September, 16 Uhr, im Ratssaal. Da tritt der Konstanzer Kulturausschuss zu einer Sondersitzung zusammen. Es geht um ein Gutachten, das Bürgermeister Osner in Auftrag gegeben hatte, um den Schaden zu beziffern, den Konstanz durch die Aufführung des Theaterstückes „Mein Kampf“ erlitten habe. In Wirklichkeit aber geht es um den jahrelangen Zwist zwischen Andreas Osner und dem Intendanten Christoph Nix, die auch in der Endphase ihrer Zusammenarbeit kräftig austeilen.

Osner fühlt sich durch die Analyse der Agentur „Nebelung Kommunikation“ bestätigt (Originalton: „… kann festgestellt werden, dass für die Stadt Konstanz durch diesen Skandal und die umfassende negative Berichterstattung ein nennenswerter Reputationsschaden entstanden ist“), Nix hält in einer ausführlichen Stellungnahme dagegen (s. u. „Dokumentation“).

Was sagen die Ausschussmitglieder?

Wir fragten hingegen die GemeinderätInnen im Kulturausschuss nach ihrer Meinung. Längst nicht alle Parlamentarier reagierten auf unsere Fragen, doch die Antworten der Antwortenden sprechen eine eindeutige, Osner kritisierende Sprache. So meint Gisela Kusche (FGL): „Der Sinn des Gutachtens erschließt sich mir nicht – es ist eine reine Zählarbeit von Veröffentlichungen … Ich weiß auch nicht, wie die Ergebnisse dieses Gutachtens für zukünftige Ereignisse relevant sein sollten, denn es kann ja wohl nicht dazu führen, dass wir in Zukunft in Konstanz keine kontroversen Aktionen mehr dulden. Wenn eine rechtliche Überprüfung stattgefunden hat und die künstlerische Freiheit zu akzeptieren ist, darf man sich gerne persönlich gegen Geschmacklosigkeiten wehren (was ja auch heftig geschehen ist), aber man muss sie auch aushalten“.

Ihr Fraktionskollege Peter Müller-Neff widmet sich unserer Frage: „Hätten Sie eine vorherige Information und/oder Abstimmung in den GR-Gremien befürwortet?“ und antwortet: „Politisch halte ich daher die Vorgehensweise für fragwürdig und sie ist abzulehnen. Der Kulturausschuss wäre das richtige Gremium gewesen, um 13 000 Euro für ein solch zweifelhaftes Gutachten freizugeben. Es wäre aufschlussreich zu wissen, wer BM Dr. Osner in dieser Angelegenheit beraten hat“.

Für das Junge Forum antwortet Matthias Schäfer: „In meiner Fraktion sind wir uns einig, dass wir eine Information und Abstimmung in den Gremien gewünscht und dann in diesem Fall auch abgelehnt hätten. Wir halten diesen Auftrag für alles andere als nützlich, und Herr Osner ist nach unserem Empfinden verantwortungslos mit Steuergeldern umgegangen, auch wenn es in seinem Ermessensspielraum lag … Wir beantragen, dass dieses Gutachten nun wenigstens veröffentlicht wird. Durch Anwendung einfachster Mittel kommt man zu dem Schluss, dass eine Medien-Analyse der Berichte zu „Mein-Kampf“ überwiegend eine negative Grundstimmung widerspiegelt, was den ganzen Auftrag inhaltlich in Frage stellt. Die Rechtfertigung bleibt für uns daher leider nur der Kleinkrieg zwischen einem Kultur-BM und seinem Theaterintendanten“.

Zwei Gemeinderäte werden aktiv …

Holger Reile (LLK) kleidet seine Antwort in einen Fragenkatalog an Bürgermeister Osner:

1. Laut mehreren gleichlautenden Informationen hat die Firma „Nebelung Kommunikation“ für das Gutachten 13 000 Euro in Rechnung gestellt. Wurde die Summe bereits überwiesen?
2. Aus welchem Budget stammen diese Gelder?
3. Angeblich soll eine zweite Rechnung über mehrere tausend Euro auf die Stadt zukommen, denn an dem Gutachten hat auch die Firma „Landau Medien“ mitgewirkt. Welche zusätzlichen Kosten fallen noch an und aus welchem Budget kommen diese?
4. Haben Sie vor Ihrer Entscheidung mit Mitgliedern des AK Kultur darüber diskutiert. Wenn ja, mit wem und wenn nein, warum nicht?
5. Haben Sie vorab Oberbürgermeister Burchardt darüber informiert, dass Sie dieses Gutachten in Auftrag geben wollen?
6. Warum wehren Sie sich dagegen, dieses Thema, das seit Wochen die Stadtgesellschaft bewegt, öffentlich im Gemeinderat diskutieren zu lassen?
7. Warum machen Sie das Gutachten nicht öffentlich?

Auch Anselm Venedey von den Freien Wählern („13 000 €, um sich eine vorgefertigte Meinung bestätigen zu lassen? Geldverschwendung!“) belässt es nicht bei Antworten, sondern wird aktiv und schrieb gestern noch an den Oberbürgermeister: „Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Uli, nachdem heute offensichtlich der Südkurier über Inhalte des Gutachtens zur Causa „mein Kampf“ berichtet hat, halte ich es für gegeben, die Angelegenheit nicht im Kulturausschuss öffentlich unter Berücksichtigung der Nichtöffentlichkeit des Gutachtens zu debattieren, sondern im Gemeinderat öffentlich die gesamte Diskussion zu führen. Ohnehin erschließt sich mir nicht, wie im KA eine Diskussion über ein nichtöffentliches Gutachten öffentlich geführt werden sollte. Mit der freundlichen Bitte um Rückmeldung, Anselm Venedey, Stadtrat FWK“.

… und der OB antwortet

Der OB antwortete postwendend: „Sehr geehrter Herr Stadtrat, lieber Anselm, die Irritation kann ich nachvollziehen. Ich habe Frau Bossi und Herrn BM Osner gebeten, die Abstimmung der weiteren Vorgehensweise für die Sitzung des Ältestenrats morgen vorzubereiten. Ich möchte mich dann morgen mit den Fraktionsvertretern beraten, wie wir weiter verfahren. Viele Grüße, Ihr Uli Burchardt, Oberbürgermeister der Stadt Konstanz“.


Dokumentation: Über den Schaden und die Schädlinge

Von Rechtanwalt Professor Dr. Dr. Christoph Nix Theater Konstanz/Universität Bremen

I.

Ein Schaden ist eine unfreiwillige Einbuße an Rechten oder Rechtsgütern. Als moralische Kategorie existiert der Begriff des Schadens nicht. In der Bundesrepublik Deutschland ist das Schadensrecht in den §§ 249 bis 254 BGB geregelt, ohne dass es eine Legaldefinition gibt.

In den genannten Vorschriften werden Art, Inhalt und Umfang einer Schadensersatzleistung bestimmt. Sie bilden keine eigenständige Anspruchsgrundlage und sind deshalb nur anwendbar, wenn ein Schadensersatzanspruch aufgrund anderer Vorschriften entstanden ist.

Der Schaden, von dem in den §§ 249 ff. BGB ausgegangen wird, besteht in dem Unterschied zwischen der Vermögenslage des Geschädigten, wie sie sich infolge des schadensstiftenden Ereignisses ergeben hat, und seiner Vermögenslage, wie sie ohne dieses Ergebnis bestehen würde, wenn dabei der Ersatzanspruch selbst unberücksichtigt bleibt.

Schaden ist folglich kein reiner Rechtsbegriff, vielmehr ein Begriff, der im Kontext einer Rechtsordnung steht. In Deutschland ist diese Rechtsordnung eine demokratische.

Zur Demokratie aber gehören Werte und Freiheiten, und das Bundesverfassungsgericht hat zuallererst dazu die Meinungs- und Kunstfreiheit, die Versammlungsfreiheit und eine parlamentarische Ordnung gezählt. Das Theater z. B. ist der Inbegriff von Kunstfreiheit, Freiheit kann aber niemals Schaden zufügen, im Gegenteil vor Schaden bewahren.

Kein Schaden ohne konkrete Schadensberechnung ist ebenso ein alter Grundsatz.

Der Schaden bemisst sich grundsätzlich nach der tatsächlich eingetretenen Vermögensminderung und der tatsächlich ausgebliebenen Vermögensmehrung. Er ist also in der Regel konkret zu berechnen.

Teilweise ist aber auch eine abstrakte Berechnung möglich, die nicht auf die tatsächlich eingetretene Minderung abstellt, sondern auf den „gewöhnlichen Lauf der Dinge“ und den typischen Durchschnittsverlust.

Nehmen wir also einmal das „Osner Gutachten“ ernst – das ich bis heute nicht kenne – so müsste zumindest erläutert werden, welches Rechtsgut eigentlich verletzt oder geschädigt worden sein soll.

Typische Rechtsgüter sind das Leben, die Gesundheit, das Vermögen oder auch das Eigentum.

Ohne das Gutachten von Andreas Osner wäre das Vermögen der Stadt Konstanz um 13 000 Euro größer, insoweit ist ein Schaden entstanden. Nun müsste man noch eine Kausalität belegen können, nämlich, dass das Theater und sein Intendant bewirkt haben, dass dieses Gutachten zwingend erstellt werden musste. Da aber das Theater keinerlei Kenntnis hatte von einer solchen Gutachtenerstellung und auch nicht ernsthaft damit rechnen konnte, dass ein Kulturbürgermeister so etwas anstellt, kann es nicht verantwortlich sein.

Aber BM Osner hat eine Treupflicht gegenüber dem Vermögen der Stadt und es wäre Aufgabe einer funktionierenden Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob diese Pflicht verletzt wurde, dann läge Untreue und Vermögensschaden vor. Dafür spricht einiges.

II.

Man könnte aber auch noch auf die Idee kommen, dass eine Stadt, ein Staat eine eigene Ehre besitzt und dass diese Ehre verletzt werden könnte. Solche Ideen gab es in der Tat vor Entstehen der Demokratie im Kaiserreich und auch noch später (wieder). Gott sei Dank haben Gerichte, Rechtsgelehrte und auch alle vernünftigen Menschen einen solchen Ehrbegriff abgelehnt: er ist vordemokratisch.

Allerdings war der Begriff des Schädlings und des Volksschädlings ein ideologischer Begriff (vgl. Sarah Jansen: Schädlinge. Geschichte eines wissenschaftlichen und politischen Konstrukts 1840-1920 NY 2003). In diesem Kontext wurde auch der Begriff des Schadens wieder ideologisch eingesetzt und gebraucht. Von diesen Zeiten sind wir aber weit entfernt. Allerdings ist der Inhaber der Agentur, die BM Andreas Osner beauftragt hat, Biologe und könnte daher in seiner „ Studie“ von falschen Voraussetzungen ausgegangen sein. Vom Begriff des Schädlings: Wir kommen aber zu dem Zwischenergebnis, dass, da eine Stadt keine eigene Ehre, so wie eine natürliche Person hat, diese auch nicht verletzt werden kann.

Ein Vermögensschaden ist schon gar nicht eingetreten, auch dies hat Herr Osner am Intendanten vorbei über die Verwaltungsleiterin ermitteln lassen.

Er hoffte, es hätte Kündigungen der Abos gegeben, aber es gab wegen des Stückes „Mein Kampf“ nur eine einzige Kündigung. Stattdessen aber ausverkaufte Vorstellungen. Es gibt bis heute nur einen Schaden: 13 000 Euro für ein Gutachten, das von einem ungeklärten Schadensbegriff ausgeht.

III.

Die Hamburger Agentur Nebelung wird von Frank Nebelung betrieben. Die Veröffentlichungsliste von Frank Nebelung endet, sieht man von Pressemitteilungen ab, allem Anschein nach im Jahr 2008. Herr Nebelung ist biologischer Umwelt- und Naturschutzgutachter und hat ausweislich der Homepage noch nie für das Thema Theater gearbeitet. Er gibt aber auch an, Jura im Nebenfach studiert zu haben.

Herr Nebelung war irgendwann einmal für die SPD abgeordnet.

Nur wo, ist unbekannt, das ist peinlich für die SPD und es hat „Geschmäckle“, wenn ein SPD Kulturbürgermeister einem SPD Biologen ein Schadengutachten in Auftrag gibt, dass zu nichts führt.

IV.

Zusammenfassung:

Das Theater Konstanz ist seit dem Jahr 2006 überaus erfolgreich, die Zuschauerzahlen sind hoch, die Rücklagen liegen vor, in Canada, Cuba, dem Irak, Togo, Malawi und Grönland, ebenso auf der Biennale in Venedig, spielt dieses Haus und repräsentiert die Stadt. Dort weiß man, dass das Theater provoziert, aber nicht rechtsradikal oder naiv ist. Dies zu widerlegen, wird dem Kulturbürgermeister nicht gelingen. Ein Rechtsgut wurde nicht verletzt durch die Inszenierung „Mein Kampf“. Damit ist auch kein moralischer oder rechtlicher Schaden eingetreten. Allerdings ist ein Schaden eingetreten, wenn eine Agentur beauftragt wurde, die zunächst einmal keinerlei Qualifikation für ein „Theatergutachten“ aufweist, gegen alle wissenschaftlichen Ethiken handelt und zu einem falschen Ergebnis kommt. Denn ein Schaden kann gar nicht eingetreten sein und wird dennoch behauptet. Dies aber kann nur behauptet werden, wenn der Schadenbegriff ein ideologischer ist.

Allerdings ist der Stadt ein Schaden entstanden durch die Beauftragung des Gutachtens. Die Agentur hatte nämlich gar nicht die Fähigkeiten, so etwas zu ermitteln, was gar nicht zu ermitteln ist. Insoweit besteht ein Schadenersatzanspruch entweder aus §§ 823 oder gar aus Amtshaftung.


Der Clinch geht weiter

Soweit unser kleiner Bericht über den aktuellen Stand des Streits. Es sollte sich jedoch niemand wundern, wenn bis zum nächsten Dienstag, dem Tag der Sondersitzung, weitere Details ans Licht der Öffentlichkeit kommen – seemoz hält Sie auf dem Laufenden. Und nach der Sitzung ist der Clinch noch lange nicht vorbei. Wetten?

hpk

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