Heißer Herbst – Warnstreik bei Maggi
Dem Konzern Nestlé geht es wirtschaftlich blendend. Rund 7,2 Milliarden Schweizer Franken Gewinn erarbeiteten die Beschäftigten im vergangenen Jahr für den Lebensmittel-Multi. Für die Kapitalgeber ist das immer noch nicht genug, sie wollen die Umsatzrendite weiter steigern. Die Zeche dafür sollen die ArbeiterInnen und Angestellten zahlen, etwa bei Maggi in Singen. Nicht nur dort wehrt sich die Belegschaft gegen Arbeitsplatzabbau und Lohnraub. Am morgigen Dienstag werden die MaggianerInnen aus Protest die Arbeit niederlegen.
„Renditen für Aktionäre auf Kosten der Beschäftigten erhöhen? Das geht gar nicht“, empört sich Claus-Peter Wolf, der Singener Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Wütend machen den Gewerkschafter die Nestlé-Pläne, in den deutschen Niederlassungen Einsparungen in Millionenhöhe durchzusetzen. Als Grund gibt das Management um den 2017 neu berufenen Nestlé-Chef Mark Schneider nicht etwa Markteinbussen oder Gewinneinbrüche an. Im Gegenteil, die Umsatzrendite des weltgrößten Lebensmittelkonzerns mit Hauptsitz im schweizerischen Vevey liegt seit Jahren stabil im zweistelligen Prozentbereich, auch die deutschen Werke arbeiten produktiv und wirtschaftlich. Doch die üppigen Margen, aktuell liegt die Rendite bei 16 Prozent, reichen der Unternehmensspitze nicht mehr aus: 18,5 Prozent hat man zur Freude der Aktionäre als neue Zielmarke ausgegeben. Erreichen will der Konzern das durch eine „Beschleunigung der Restrukturierung und Verbesserung der operativen Effizienz“, wie es in einer Mitteilung von Management und Verwaltungsrat vom 2. Juli heißt.
Christian Trompeter von der NGG-Geschäftsstelle Singen übersetzt das in die betriebliche Wirklichkeit: „Da der Markt im Bereich der Lebensmittelherstellung nicht einem unbegrenztem Wachstum unterliegt, die Absatzzahlen eher rückläufig sind, kann solch eine Renditesteigerung nur mit Einsparungen einhergehen.“ Im Klartext: Die Firmenspitze will einen rabiaten Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen durchsetzen, damit die Aktionäre noch höhere Dividenden kassieren können.
Den rund 750 Beschäftigten beim Traditionsunternehmen Maggi in Singen etwa will das Nestlé-Management eine zweijährige Nullrunde beim Lohn verordnen, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld kürzen und zudem eine Stunde unbezahlter Arbeit pro Woche erzwingen. Erklärtes Ziel ist, die Lohnkosten am Standort Singen auf den Stand des Jahres 2012 zu drücken. Die KollegInnen an anderen Standorten trifft es teilweise noch härter. So planen die Konzernherren, die traditionsreiche Firma Unifranck in Ludwigsburg (Caro-Kaffee) zum Jahresende komplett dicht zu machen und 100 Beschäftigte auf die Straße zu setzen. Beim Nestlé-Werk in Biessenhofen im Allgäu will man 106 der 760 Stellen streichen, am nordrhein-westfälischen Standort Lüdinghausen sollen 95 von 360 Arbeitsplätzen dem Rotstift zum Opfer fallen.
Die betroffenen Belegschaften laufen Sturm gegen die Nestlé-Pläne. Mit öffentlichen Protestaktionen und Warnstreiks haben sie in den vergangen Wochen und Monaten, unterstützt von der NGG, mehrfach gegen den Angriff auf ihre Existenzgrundlagen protestiert. Besonders sauer stieß Gewerkschaft und Beschäftigten auf, dass die Konzernführung ihren Vorstoß ausgerechnet zu Beginn der Tarifrunde im Juni lanciert und prompt Verhandlungstermine abgesagt hatte. In einem Offenen Brief an die Geschäftsführung der Nestlé Deutschland AG schreiben die Belegschaften der Werke Singen und Ludwigsburg, die „zeitliche Überlagerung“ der Ankündigung von Werkschließung, Sparplänen und Verhandlungsabsagen „erweckt den Eindruck: Hier sollen die Menschen durch die Hintertüre um ihre verdiente Lohnerhöhung gebracht werden!“
Mittlerweile haben zwei Verhandlungsrunden stattgefunden – ergebnislos. Die Nestlé-Geschäftsführung mauert beharrlich und hofft offenkundig, durch ihren abgestuften Katalog des Schreckens Angst in den Belegschaften zu schüren und damit den Widerstand der Beschäftigten aufzuweichen. Erfolg scheint der Konzern damit bisher nicht zu haben. Vor der dritten Verhandlungsrunde am 19. September kündigte die NGG Nestlé einen „heißen Herbst“ an und stellte klar, dass an der Tarifforderung von sechs Prozent mehr Lohn nicht zu rütteln sei.
Unterdessen hat der Konflikt auch die Bundespolitik erreicht. So wird sich die parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) auf Einladung der NGG am Montag vor Ort über die Auswirkungen der Nestlé-Planungen für die Beschäftigten des Singener Werks informieren und „mögliche Gegenstrategien auf politischer Ebene diskutieren“, wie es in einer NGG-Pressemitteilung heißt. Derweil hat sich der Konstanzer Kreisverband der Linken solidarisch an die Seite der MaggianerInnen gestellt. In einer Solidaritätsadresse an die Belegschaft zeigt sich der Kreisvorstand empört über Nestlé-Pläne. Das Unternehmen betreibe weltweit einen „skrupellosen Raubtierkapitalismus für die Profitinteressen einzelner auf Kosten von Beschäftigten und Umwelt“. Die Lohnforderungen seien mehr als gerechtfertigt, „denn die Milliardengewinne des Unternehmens habt Ihr erarbeitet, eine angemessene Teilhabe daran steht Euch zu“.
Einen Vorgeschmack auf den „heißen Herbst“ dürfte es schon am kommenden Dienstag geben. Für den 18.9. ruft die Singener NGG unter dem Motto „Mensch statt Marge“ ab 11.55 zum Warnstreik vor dem Maggi-Werkstor auf. Die Gewerkschaft rechnet mit mehreren hundert TeilnehmerInnen, die gegen die Kahlschlag-Pläne des Nestlé-Konzerns protestieren und der Tarifforderung nach mehr Lohn Nachdruck verleihen. Die Beschäftigten verdienen kräftigen Rückenwind, stehen sie doch stellvertretend für den Kampf gegen eine Konzernwirtschaft, in deren Chefetagen menschliche Schicksale nur vernachlässigbare Kostenfaktoren im gierigen Streben nach immer neuen Renditerekorden darstellen.
J. Geiger (Foto: H. Reile)