Stadtgeflüster: Bürgermeister billig abzugeben

Es geht drunter und drüber in der größten Stadt am Bodensee. Zuerst lässt der amtierende Oberbürgermeister wissen, dass er sich nicht wieder um das Amt bewerben will. Postwendend erklären hoch gehandelte Kandidaten, dass auch sie nicht zur Verfügung stehen. Und nun das Desaster um die Kündigung von Gert Müller-Esch. Bürgermeister Claus Boldt – und nicht nur er – ist fällig, klammert sich aber wie eine Klette an seinen Beamtensessel. Wieviel Steuergelder darf der Mann noch ungestraft verbraten?

Nach 16 Jahren hat Oberbürgermeister Horst Frank genug. Nun suchen die Fraktionen querbeet nach geeigneten KandidatInnen. Kaum anzunehmen, dass man vor Ort fündig wird, denn da drängt sich niemand auf. Mit Tobias Engelsing hat der letzte Einheimische abgesagt, der gute Chancen gehabt hätte, parteiübergreifend zu punkten. Für die Grünen wird es schwierig, denn ihr Spitzenpersonal ist fast durchweg in die Landesregierung eingebunden. Von der SPD ist bislang gar nichts zu hören und die örtliche CDU ist eher damit beschäftigt, ihren maroden Laden nicht ganz auseinander fallen zu lassen. Hartnäckig hält sich allerdings die Vermutung, dass der ehemalige CDU-Sozialminister und frühere Oberbürgermeister von Singen, Andreas Renner, die Manege betreten könnte. Eine aparte Vorstellung: Renner, zur Zeit AKW-Lobbyist bei EnBW, als OB-Kandidat im grün-liberalen Konstanz.

Etwas kleinlaut geworden ist dagegen FuF-Stadtrat Klaus Frank. Noch während der letzten Kommunalwahl tönte er vernehmlich, dass er bei der OB-Wahl 2012 zur Verfügung stehe. Doch der kaum zu bremsenden Plaudertasche ist wohl das unterstützende Personal ausgegangen, das ihn 2009 in den Gemeinderat gehievt hat. Die Gruppierung „Frank und Freie“ (FuF) existiert nur noch auf dem Papier. Die FuF-Webseite ist verwaist und bestenfalls dankbares Studienobjekt für Sprachforscher oder Kabarettisten auf Themensuche.

Der Fall Müller-Esch. Die Vorgeschichte ist bekannt und die aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Radolfzell beschert der Spitalstiftung einen formidablen Knockout. Was viele im Vorfeld befürchtet haben, könnte nun eintreten: Ein finanzieller Schaden von mindestens 400 000 Euro aufwärts. Dazu kommen zum Teil katastrophale Verhältnisse am Klinikum: Intrigante Personalpolitik, schlechte Stimmung bei der Belegschaft, Abwanderung qualifizierter MitarbeiterInnen. Der für den GAU mitverantwortliche Bürgermeister Claus Boldt (CDU) steht mit abgesägten Hosen da, aber ihn schützt sein Beamtenstatus. In einem normalen Betrieb hätte er spätestens nach dem Maultaschenfall seinen Hut nehmen müssen. Doch daran denkt er nicht, das will er aussitzen. Ebenso Rainer Ott, Verwaltungschef des Klinikums, und für viele der Strippenzieher vor allem bei Personalentscheidungen. Es ist höchst bedauerlich, dass hier nicht das Verursacherprinzip greift und das Duo fatale für den angerichteten Schaden persönlich verantwortlich gemacht werden kann.

Auch Oberbürgermeister Horst Frank hat sich dabei keine Lorbeeren verdient. Der gelernte Jurist hätte in seiner Eigenschaft als Stadtoberhaupt frühzeitig und moderierend eingreifen müssen, um das Schlimmste zu verhindern. Doch er hat es laufen lassen. Er geht, Boldt und Ott sollten es ihm gleich tun. Doch dieser Schritt setzt Charakter voraus. Zur Erinnerung, denn 2014 stehen die nächsten Kommunalwahlen an: Für die fristlose Kündigung von Müller-Esch stimmten im Gemeinderat mehrheitlich die Abgeordneten von CDU, SPD, FGL und FDP. CDU-Renegat Eberhard Roth stimmte dagegen, sowie die gesamte FWG-Fraktion und die Einzelkämpfer von NLK, LLK und FuF.

Wie überall im Lande regt sich auch in Konstanz Protest gegen die Bangster Ackermann & Co. Die Occupy-Bewegung schwappte auch an den Bodensee und führte dazu, dass sich unlängst rund 150 Menschen auf der Marktstätte versammelten, um ihrer Wut gegen die kriminellen Finanzzocker Ausdruck zu verleihen. Das ist gut so und es wäre wünschenswert, wenn diese Bewegung dazu beitragen könnte, Widerstand zu bündeln und weiter wachsen zu lassen. Aber die Konstanzer Organisatoren betonten mehrmals ausdrücklich und allzu vehement, dass man großen Abstand halten wolle zu Parteien und Gewerkschaften. Das wiederum mutet seltsam an, denn geht es nicht auch darum, organisierte Systemkritiker mit ins Boot zu nehmen und sich auch deren Infrastruktur zu bedienen? Ebenso sonderbar ist, wenn einer der Konstanzer Initiatoren, der sich massiv dagegen sträubt, einer zu sein, fast schon unangenehm aufdringlich damit kokettiert, dass er zum ersten Mal in seinem Leben gegen irgendetwas öffentlich protestiert. Der Mitvierziger sollte sich wohl eher die selbstkritische Frage stellen, in welcher Höhle er die vergangenen Jahrzehnte die Welt hat an sich vorüberziehen lassen. Es wäre schade, wenn dieses Aufstandspflänzchen vor Ort zu einer selbstverliebten Pantomime-Veranstaltung mutiert und zu Herbstlaub verkommt.

Noch nicht lange ist es her, da streikten die MitarbeiterInnen beim Südkurier. Doch der anfängliche Schwung ist vergessen, Agonie macht sich breit. Man wartet darauf, wann und vor allem an wen die Zeitung verhökert wird und welche Konsequenzen damit für die Belegschaft verbunden sind. Insider orakeln, der Verkauf könne nur noch eine Frage von Wochen sein. Doch Vermutungen in diese Richtung gab es schon viele. Längst eingestellt haben die Streikenden ihre kritische Webseite www.streikkurier.de. Die Seite ist nicht gepflegt und liegt brach. Auch die Möglichkeit, den Verantwortlichen im Verlag klar und deutlich zu sagen, was man von ihren Plänen hält, blieb ungenutzt. Diese Chance hätte es kürzlich gegeben, als der Zeitung der Adenauer-Preis verliehen wurde und auch Südkurier-Eigner Stefan von Holtzbrinck dazu an den Bodensee gekommen war. Die RedakteurInnen ließen sich aber lieber von Chefredakteur Stefan Lutz einlullen, der ihnen erklärte, der Preis gebühre auch ihnen für ihre aufopferungsvolle Arbeit.

Die Meldung Mitte März 2011 erschütterte viele. Zahide Sarikas, SPD-Landtagskandidatin, wurde in ihrem Konstanzer Wahlbüro überfallen und niedergeschlagen. Schwer traumatisiert stellte sie daraufhin ihren Wahlkampf ein. Das Landeskriminalamt ermittelte, und vier Tage nach dem Angriff wurde ein Phantombild des vermeintlichen Täters veröffentlicht. Angeblich, so Sarikas, habe sie der Täter sogar gezwungen, sich mit Filzstift eigenhändig Hakenkreuze ins Gesicht zu malen. Die Ermittlungen zogen sich hin, erhellende Auskünfte gab es keine, auch nicht vom Opfer. Bis heute nicht, mehr als ein halbes Jahr später. Es hatte fast den Anschein, als solle über die Angelegenheit der Mantel des Schweigens gelegt werden. Ein Anruf beim LKA wird schmallippig beschieden. Näheres erfahre man bei der Konstanzer Staatsanwaltschaft. Deren Erklärung: „Die Ermittlungen sind abgeschlossen, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte.“ Es bleibt ein sehr ungutes Gefühl und man würde sich wünschen, dass Zahide Sarikas nach so langer Zeit endlich dazu beiträgt, immer noch kursierenden Spekulationen einen Riegel vorzuschieben.

Autor: H.Reile