„Ich war in einem rosa Polohemd in Chemnitz“
Montagabend in Rielasingen, Kulturpunkt Arlen. Die AfD, genauer der Singener Landtagsabgeordnete Dr. Wolfgang Gedeon, hat zum „Politabend“ geladen. Thema: Was geschah in Chemnitz?
Um dieser Frage, die anscheinend noch nicht ausreichend durch die Medien dokumentiert wurde, auf den Grund zu gehen, sind zwei Gäste geladen, von denen später nur einer die Veranstaltung beehren wird: Stefan Räpple, MdL, und Hans-Peter Stauch ,MdL, die beide der Stuttgarter AfD Fraktion angehören. Unseren Einschätzungen zufolge waren ca. 50-60 Gäste anwesend, darunter auch einige politische Gegner*innen.
Es gab, natürlich, keinen Mob
Mit leichter Verspätung beginnt die Veranstaltung. Das Publikum ist dabei vorwiegend männlich und jenseits der sechzig. Gedeon, der die Moderation des Abends übernimmt, stellt Räpple, der als „Demonstrationstourist“, wie er süffisant anmerkt, in Chemnitz und Köthen demonstriert hat, vor. Räpple trug bei seinem Demobesuch in Chemnitz im Übrigen ein rosa Polohemd, wie er betonte.
Folgt man den Schilderungen Räpples, ergibt sich folgendes Bild: Es gab, natürlich, keinen Mob und keine Hetzjagden. Stattdessen hätten die Menschen dort „ganz normale“ Sprechchöre angestimmt, wie zum Beispiel „Merkel muss weg“ oder „Lügenpresse“. Die Menschen, die Hitlergrüße gezeigt hatten? „Das waren vielleicht zwei oder drei Einzelpersonen, aber natürlich haben sich die Systemmedien direkt darauf gestürzt!“, wettert Räpple. Und überhaupt könne man ja nicht wissen, wer diese Leute geschickt habe – von der AfD kämen die jedenfalls nicht, das seien alles zivilisierte Leistungsträger der Gesellschaft. Was die korrumpierten Medien berichteten, habe selten etwas mit der Wahrheit zu tun. Gedeon währenddessen blieb auch an diesem Abend seiner antisemitischen Linie treu und verleugnete, dass es einen Angriff auf ein jüdisches Restaurant gegeben hatte.
Eigentlich hätte der Abend an dieser Stelle enden können. Der Erlebnisbericht des Abgeordneten beinhaltet nicht viel mehr als diese Zitate. Doch schnell wird klar: Das, was als Hauptthema des Abends proklamiert wurde, diente nur als Aufhänger, um die eigenen Verschwörungstheorien zu verbreiten und das alternative Weltbild zu festigen. Als es in die Fragerunde geht, beglückwünscht Räpple die Anwesenden dazu, dass sie es geschafft hätten, das „System der Altparteien“ zu durchschauen. Er könne den Menschen an der Nase ansehen, dass sie anständig seien.
Die „Propaganda der Tagesschau“
Wie schlimm es um das geliebte Vaterland tatsächlich bestellt ist, darüber sind sich Gedeon und Räpple jedoch nicht ganz einig. Während letzterer proklamiert, Deutschland sei keine Demokratie mehr, sondern ein „Neofeudalismus“, wie in der Adelszeit würde hier die „Politikerkaste“ über die Menschen herrschen, geht Gedeon noch einen Schritt weiter. Die Köpfe der Menschen würden durch die „Systemmedien“ kontrolliert (die Tagesschau wird dabei zur „Propagandastelle der Antifa“) – ein klares Zeichen, dass Deutschland eine Diktatur sei. Neben der Tagesschau gibt es laut Gedeon aber noch eine weitere öffentlich-rechtliche Sendung, die die „Systemparteien“ nutzen, um ihre Ideologien in die Köpfe der Menschen einzupflanzen: Den sonntäglichen „Tatort“. Denn dort sei natürlich niemals der Ausländer der Mörder, sondern Personen wie der „deutsche Rechtsanwalt“.
Räpple erzählt weiter, er habe Klage gegen die Diätenerhöhung für die Landtagsabgeordneten eingereicht, welche jedoch von den „parteiischen Richtern mit ihrem CDU-Parteibuch“ abgelehnt worden sei. Dies hindert ihn jedoch nicht daran, seine vollen Bezüge in Anspruch zu nehmen und sich davon, nach eigenen Aussagen, einen teuren Südseeurlaub zu leisten.
Während Räpple und Gedeon die Wahrheit für sich gepachtet zu haben scheinen, und der gemeine Zuhörer langsam, aber sicher den Eindruck bekommt, sich hier in einem Kreis weniger Auserkorener zu befinden, werden die präsentierten „alternativen Fakten“ immer abenteuerlicher. Insbesondere der Gast aus Stuttgart betätigt sich dabei voller Wonne als Hellseher, der allerdings sehr düstere Zukunftsszenarien zeichnet. So prophezeit er, dass die Morde, die momentan noch wöchentlich stattfänden, bald an der Tagesordnung stünden. Eine Teilnehmerin, die sich selbst als besorgte Bürgerin bezeichnet, zischt darauf: „Schön wär’s, wenn die sich alle gegenseitig abstechen würden, dann wär‘ Ruh“ Ursprung dieser untragbaren Zustände ist, folgt man Gedeons Logik, natürlich die „kulturimperialistische Invasion“ der „IS-Armee“.
Polizeibericht – Fake News?
Auf die Frage von Tobias Volz, ob sich Herr Gedeon mit dem Polizeipräsidenten ausgetauscht habe, da die aktuelle Polizeistatistik zeige, dass die Kriminalität im Landkreis Konstanz zurückgegangen sei, antwortete Gedeon lediglich, dass der Polizeibericht zu den „Fake News“ gehöre und „die Flucht in die Statistik ein Argument der Hilflosigkeit“ sei. Bekräftigt wurde dies durch einige weibliche Gäste, die bekundeten, sich seit Ankunft der Flüchtlinge nicht mehr sicher fühlen zu können. Außerdem müsse man ja nun auch damit rechnen, dass weitere Köpfe abgeschlagen würden.
Zum Glück für die AfD hat sich, wie sich heute herausstellte, eine weitere Prophezeiung des Abends nicht erfüllt. Dieser zufolge hätte Maaßen im Amt bleiben müssen. Die Logik dahinter: Da Maaßen in der öffentlichen Meinung als rechts wahrgenommen werde, aber durch einen Verbleib im Amt immer noch auf dem Boden der Verfassung stände, rechtfertige dies umso mehr ein durch ihn initiiertes Parteiverbotsverfahren gegen die AfD. Aufgrund dieser Wahrnehmung begründet Gedeon, dass eine „Säuberung des Apparates“ notwendig sei. Was genau dieser „Apparat“ jedoch bezeichnet, darauf geht er nicht ein. Wie Maaßens Beförderung zum Staatssekretär sich nun in dieses Bild einfügt, überlassen wir an dieser Stelle den Berufsverschwörungstheoretikern.
„Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“
Die Veranstaltung wurde auch durch drei Störaktionen unterbrochen. Zuerst stimmten drei junge Erwachsene den bekannten Sprechchor „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“ an, dann unterbrachen zwei junge Männer Stefan Räpple während eines Redebeitrags mit Trillerpfeifen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei bereits eingegriffen und die Störer*innen hinaus befördert. Eine Weile später, und unter Anwesenheit von zusätzlichen Polizeikräften, hielten dann ein junger Mann und eine junge Frau ein Transparent mit einem Zitat aus der WELT hoch, auf dem zu lesen war „GEDEON darf HOLOCAUSTLEUGNER genannt werden“. Dieses wurde recht schnell von einem der Anwesenden heruntergerissen, wobei einer der beiden Protestierenden ebenfalls zu Boden ging. Mehrere Polizeikräfte mussten einen Besucher, der gerade dabei war, einen Stuhl gegen diese zu erheben, von diesen trennen und die Störer*innen unter Gegenwehr aus dem Saal führen. Die Aktivist*innen setzten ihren Protest weiterhin gut hörbar vor dem Veranstaltungsgebäude fort.
Durch eine Pressemeldung und einen Blogbeitrag stellte sich gestern heraus, dass die Störer*innen dem Offenen Antifaschistischen Treffen (OAT) angehörten. Diese beschreiben in ihrer Mitteilung, dass sie stark körperlich angegriffen wurden und auch Verletzungen davontrugen. Außerdem sei einer der „AfD-Prügelknaben“ ebenfalls von der Polizei festgenommen worden. Sie fordern außerdem, dass nach diesen gewalttätigen Auseinandersetzungen die Polizei diese Veranstaltung hätte beenden müssen.
Dass auch wir in dieser Mitteilung persönlich angesprochen und als stillschweigende Zuschauer ohne Zivilcourage bezeichnet werden, empfinden wir als sehr schade. Aus unserer Perspektive ging das Ganze so schnell vonstatten, dass ein Eingreifen quasi unmöglich war, da die Polizei, zum Glück, sehr schnell reagierte. Nichtsdestotrotz sind wir froh, uns mit eigenem Protest bis zur Fragerunde zurückgehalten zu haben, da wir nur so die Möglichkeit zu kritischen Auseinandersetzung hatten. Sonst wären uns viele der rassistischen, antisemitischen und schlicht falschen Aussagen der Veranstalter wohl entgangen.
Die Stimmung wurde, je später der Abend war, immer aufgeheizter und feindseliger. Wir hatten leider das Gefühl, dass die Menschen dort durch die gezielte Agitation und Manipulation der beiden Abgeordneten sachlichen Argumenten, die ihrem Weltbild widersprachen, nicht mehr zugänglich waren. Gleichzeitig nahmen sie offensichtliche Widersprüche in der Argumentation Gedeons und Räpples nicht wahr oder blendeten diese bewusst aus.
Über die Autorinnen:
Antje Behler, 22, Mitglied des Kreisvorstandes der Partei Die Linke
Kathrin Morasch, 22, Vorsitzende der Jusos Konstanz
Liebe Autorinnen,
dieser Artikel ist irritierend. Der AFD wird eine immense Deutungsmacht einräumt. Und wie sie Dinge deuten, das wissen auch die berühmten Spatzen auf den Dächern: menschenverachtend, rassistisch, antisemitisch, undemokratisch ectpp. Wie viel Raum soll eine „demokratische“ Gesellschaft ihnen noch einräumen? Die Illusion einer Möglichkeit zur „kritischen Auseinandersetzung“ mit dieser Partei ist biedermännisch und hat ihnen rückblickend, ihre faschistischen Brandstiftereien und diese Macht, die sie heute haben eingeräumt. Liebe „Störer_innen“, danke für eure klare Haltung: Faschismus ist keine demokratische Meinung, die es auszuhalten / zu tolerieren gilt.
Solidarische Grüße
@Nicole Niedermüller: Was ist denn nun daran verwerflich, die Polizei ihre Arbeit tun zu lassen? Bisher dachte ich, für Demokrat*innen sei das Gewaltmonopol des Staates unverzichtbar. Wenn also die Polizei ihrem Auftrag nachgekommen ist, Übergriffe zu verhindern und/oder zu stoppen, dann gibt es doch keinen Grund mehr, warum sich andere Anwesende schlagen oder dazwischen werfen oder was auch immer sollten. Eine Kneipenschlägerei ist ja kein Wert an sich.
Ansonsten schliesse ich mich @Lukas Barwitzki an, der sich wundert, dass es hier vor allem um die Abgrenzung zwischen „richtigen“ und „weniger richtigen“ Linken/Demokraten/Antifaschisten geht, als um die Veranstaltung an sich .
@ Frau Niedermüller
„Wegzuschauen, die eigene Verantwortung an die Polizei zu delegieren und nichts zu tun, sind dabei ganz schlechte Vorschläge.“
Alternative Konzepte zum staatlichen Gewaltmonopol haben bisher in einer Demokratie nie gut funktioniert. Das Problem daran ist auch, dass die „anderen“ dann mit dem selben Recht nach dem Stuhl greifen, um es so zu sagen.
Mittel der Deeskalation durch ausgebildetes, neutrales Personal sind jeder Einmischung durch Unbeteiligte vorzuziehen.
„Auch damit gilt es sich auseinanderzusetzen und um Handlungskonzepte zu ringen“
Hier Stimme ich ihnen ja vollkommen zu. Die Frage ist nur, ob die gewählten Methoden im Rahmen der demokratischen Kultur sind oder nicht. Gedeon wurde an diesem Abend durch die kritischen Fragen von SPD und Linken erneut demaskiert, über seine Planlosigkeit wurde medial berichtet. Das ist ein Gewinn.
So schwer es mir fällt (und missfällt) das zu sagen, aber demokratisch gewählte Vertreter jeder Parteien haben ein Recht öffentlich aufzutreten, auch wenn ich mich bei einem Holocaustleugner wie Gedeon jeden Tag aufs neue für meine eigene Haltung schämen muss. Ich will ihn nicht öffentlich auftreten sehen, aber um Himmels Willen, lieber sollen die guten Genossen ihn öffentlich verbal fertig machen, als dass irgendjemand überstürzt reagiert und es dann nur noch mehr mediales Wasser auf die Mühlen der AfD gibt.
@Herr Barwitzki:
ich bin eigentlich raus aus der Debatte, da Sie mich aber direkt ansprechen, schreibe ich doch kurz zurück:
Ich weiss ja nicht, wie es in Ihrer Welt zu und her geht, aber wenn ich sehe, dass es in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung wiederholt zu körperlicher Gewalt gegenüber kritischen Stimmen kommt und Menschen u. a. mit einem erhobenen Stuhl gedroht wird, dann lege ich nicht meine Hände in den Schoss und schaue weg. Ich stelle die Verantwortlichen zu Rede und fordere sie auf, dieses Verhalten an ihrer Veranstaltung unverzüglich einzustellen, auch wenn es mir zu heiss ist, in der unmittelbaren Gewaltsituation einzugreifen und der bedrohten Person zur Hilfe zu kommen.
Und Sie irren sich, wenn Sie meinen, eine Diskussion um die Situation am Vortragsabend in Arlen hätte nix mit dem zu tun, wofür die AfD steht. Mit dem Erstarken der AfD haben die Methoden der Nazischlägerbanden von der Strasse den Weg in die Parlamente und offensichtlich auch in die Vortragsräume (die im Fall vom Kulturpunkt Arlen von einem städtischen Träger betrieben werden) öffentlicher Veranstaltungen gefunden.
Auch damit gilt es sich auseinanderzusetzen und um Handlungskonzepte zu ringen. Wegzuschauen, die eigene Verantwortung an die Polizei zu delegieren und nichts zu tun, sind dabei ganz schlechte Vorschläge.
Darf ich mal so ganz unter uns fragen, warum es bei dieser Diskussion NICHT darum geht, was Gedeon und Räpple alles behauptet haben, welche Theorien sie vertreten oder zu welchen Dingen von Seite der AfD aufgerufen wurde. Die Grünen, die alles schon „grünifiziert“ ( 😉 ) haben, die Linken und SPDler als „sozialistische Faschisten“, die eigene Partei solle auch noch „gereinigt“ und von Gegenmeinungen befreit werden.
Wir haben es hier mit hartem Nazische*ß zu tun (mea culpa für die Ausdrucksweise), der ein ernstes Problem für unsere Gesellschaft ist und der jetzt auch wieder ganz frei und öffentlich vertreten werden kann.
Und als Diskussion landen wir dabei, dass die Darstellung der Antifa in diesem Artikel nicht wohlwollend genug für die Ansprüche der Antifa war? Das finde ich nicht wenig absurd.
Was ist denn bitte für irgendwen der hier liest oder schreibt der Mehrwert dieser Diskussion und der Kritik am Artikel? Wieso kreist das linke Weltbild erneut nur um die Feinheiten des linken Spektrums?
Gut. In einem hypothetischen Artikel hätte man noch die Vertreter der OAT zu Wort kommen lassen können, von mir aus. Aber der Artikel ist auch ohne dies präzise und gut formuliert. (Es ist auch völlig verständlich, wenn man der Antifa eben genau kein Forum bieten möchte, aber das ist eine andere Diskussion.)
Wie hilft uns das alles jetzt gegen Rechts, mhm?
Vorneweg: Ich war unter den „Störenden“ (ist ein stilles Hochhalten eines Banners eine Störung?) und benutze hier deshalb nicht meinen Namen.
Ich stimme Frau Niedermüller zu. Ich habe weder von den Autor*innen des Artikels noch anderen „linken“ erwartet, dass sie direkt ins Handgemenge angreifen.
Aber zuerst: Die Polizei hat nicht „schnell“ reagiert und das haben beide Autor*innen beobachten können. Es fielen mehrere Schläge auf unsere Aktivist*innen bevor die Polizei *UNS* herauszerrte, festnahm und teilweise anzeigte.
Der Herr der sich mit dem Stuhl bewaffnete? Soweit ich weiß konnte er ohne Probleme die Veranstaltung weiterhin besuchen und hatte keine polizeilichen Folgen zu befürchten.
Nach jeder „Störung“ wurde einfach zurück zur Tagesordnung gegangen. Als Jounalist*in hätte ich hier erwartet, dass gefragt wird, wie es sein kann, dass hier gerade AfDler Andersdenkende angegriffen haben und niemand ein Wort darüber verliert und die Polizei ebenfalls nicht eingreift?
Ebenfalls hätte ein*e Journalist*in die Opfer der Angriffe, die großteils noch vor der Veranstaltung protestierten, zu Wort kommen lassen.
Aber die Autor*innen waren für mich mehr als Journalist*innen, wir kannten uns vom sehen her, ich nehme mal an das gleiche gilt für die Gegenseite.
Lassen wir Politik mal vorneweg, wenn jemand den ich kenne zusammengeschlagen wird, greife ich ein, hole ich Hilfe und schildere zumindest der Polizei was vor sich ging.
Zu aller letzt möchte ich hier den Bericht des OAT Konstanz verlinken, da er ja auch erwähnt wird:
http://oatkn.blogsport.de/2018/09/18/bericht-zur-afd-veranstaltung-von-gedeon-in-rielasingen/
Anmerkung d. Red.: Diese Erklärung des OAT veröffentlichen wir ausnahmsweise und einmalig ohne Namensnennung, weil der/die Unterzeichnende wohl damit rechnen müsste, sonst ins Visier rechtsradikaler Kreise zu geraten.
@ Nicole Niedermüller
Ihre Aussage:
“ dass Menschen mit linkem Selbstverständnis körperliche Übergriffe gegen Antifaschist*innen unwidersprochen geschehen lassen.“
Der Artikel:
„Dass auch wir in dieser Mitteilung persönlich angesprochen und als stillschweigende Zuschauer ohne Zivilcourage bezeichnet werden, empfinden wir als sehr schade. Aus unserer Perspektive ging das Ganze so schnell vonstatten, dass ein Eingreifen quasi unmöglich war, da die Polizei, zum Glück, sehr schnell reagierte.“
Ich sehe im Artikel sowohl eine plausible Antwort (es ging schnell) als auch eine völlig legitime Reaktion: Die Polizei hat sich darum gekümmert. Was ist denn der demokratische Mehrwert einer Rangelei zwischen allen Beteiligten, wenn genau für so etwas die Polizei mit im Raum ist? Ich kann ihre Kritik hier nicht nachvollziehen.
Ihre Aussage:
„Ich frage mich, wie die anwesenden Menschen, sie sich selbst eine linke Geundhaltung zuschreiben, (…) Ich mag es nicht hoffen, dass Sie es dann auch bei Nichtreagieren und Stillschweigen belassen hätten.“
Der Artikel berichtet darüber (das ist kein Stillschweigen, oder?) und die Begründung des Nichteinschreitens ist oben doch schon deutlich gegeben.
Was mich etwas besorgt, ist dass Sie, Frau Niedermüller, die linke Gesinnung hier direkt in den Zusammenhang mit einem physischen Eingriff in eine eskalierte Situation bringen. Diesen Begriff linker Gesinnung kann ich nun wirklich nicht teilen.
Ihre Aussage:
„Ich finde es im übrigen sehr stossend, dass der Text von „Störer*innen“ spricht und damit den AfD-Duktus unreflektiert übernimmt, wenn er dringend notwendige antifaschistische Intervention meint.“
Der Artikel spricht zweimal von Störer*innen, und ich gebe Ihnen Recht, hier hätte das Partizip „Störende“ stilistisch besser angebracht werden können.
Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass die morphologische Komposition mit dem Asterix jede Annäherung an die Sprache der AfD unterbindet. Hier eine positionelle Nähe der Autorinnen (ohne *) erschließt sich mir nicht, da im gesamten Artikel keine abwertende Beschreibung des Vorganges zu finden ist. Im Gegenteil, der wichtigste Schriftzug des gehobenen Plakates wurde sogar zitiert. Und sofort im Anschluss findet sich noch folgendes Zitat:
„Die Aktivist*innen setzten ihren Protest weiterhin gut hörbar vor dem Veranstaltungsgebäude fort“
Nach der Beschreibung der Situation halte ich sowohl „Störer*innen“ als auch „Aktivist*innen“ für semantisch wie pragmatisch sehr gut gewählte Begriffe, die nichts mit dem Duktus der AfD zu tun haben. Ich erlaube mir auch im „weiterhin gut hörbar“ eine gewisse Affinität der Autorinnen am Protest, pardon, der notwendigen antifaschistischen Intervention, heraus zu hören.
Ihre Aussage:
„„Jung“ meint halt auch oft unreif, unerfahren und uninformiert“
Der Artikel:
„Antje Behler, 22, (…)
Kathrin Morasch, 22, (…)“
Sie erlauben mir sicher, dass ich dies unkommentiert lasse.
Ihre Aussage:
„(…) und statt dessen sätzelang Gedeon und Co. schwadronieren lassen.“
Der Artikel:
„Gedeon währenddessen blieb auch an diesem Abend seiner antisemitischen Linie treu und verleugnete (…) um die eigenen Verschwörungstheorien zu verbreiten und das alternative Weltbild zu festigen (…) sich hier in einem Kreis weniger Auserkorener zu befinden, werden die präsentierten „alternativen Fakten“ immer abenteuerlicher (…) Wie Maaßens Beförderung zum Staatssekretär sich nun in dieses Bild einfügt, überlassen wir an dieser Stelle den Berufsverschwörungstheoretikern (…)“
Also ich sehe nun wirklich nicht, warum diese Darstellung in irgendeiner Weise ein „zu Wort kommen lassen“ sein soll. Jede Aussage der rechten Herren wird klar als solche gekennzeichnet, kritisch kommentiert und im für seemoz üblichen beißenden Tonfall zusammen gefasst. Ich lese hier keine „sätzelangen“ Schwadronen, sondern die klage Gegenüberstellung von AfD-Scheinwelt und Realität, besonders schön an der Trias der Aussagen zur Inneren Sicherheit – Gedeon- besorgte Bürgerin – Tobias Volz zu erkennen.
Sind Sie sicher, dass wir über den selben Artikel sprechen?
Ihre Aussage:
„Das sind übrigens auch die Leute, bei denen fundiertes Wissen um W. Gedeon, die AfD am Bodensee und im Hegau und ihre Netzwerke zusammenkommt. Schade, dass Sie dieses Wissen nicht nutzbar machen (…)“
Ach was. Ich bin mir sicher, es hat sich noch nie irgendjemand in irgendeiner Form über irgendeinen Aspekt der AfD/Gedeon/Netzwerke nachgedacht, sich informiert oder gar Wissen gesammelt.
Gleich zu Anfang vorweg: Ich kann sehr gut verstehen, dass Menschen eine direkte Intervention in einem Saal voller latent aggressiver AfD-Anhänger für sich selbst ausschliessen, weil sie schlicht Angst um Leib und Leben haben. Diese Angst ist (leider) berechtigt und es ist absolut legitim, sich dem nicht aussetzen zu wollen.
Schwierig wird es für mich allerdings, wenn ich mir vorstelle, dass Menschen mit linkem Selbstverständnis körperliche Übergriffe gegen Antifaschist*innen unwidersprochen geschehen lassen. Es will mir nicht in den Kopf, dass niemand die wiederholten Übergriffe in der Versammlung zum Thema gemacht hat und Gedeon und Co. ihre Veranstaltung einfach so weiter machen konnten, als wenn nichts passiert wäre. Ich etwarte von niemandem, dass er oder sie im akuten Übergriff mit Hand anlegt, um Antifas vor körperlicher Gewalt zu schützen. Ich erwarte aber hingegen sehr wohl, dass die Veranstalter, die alle immerhin Mitglieder des Landtags sind, nach solchen teils recht massiven Szenen zur Rede gestellt werden und aufgefordert werden, körperliche Gewalt gegenüber Protest unmittelbar einzustellen. Solches Verhalten ist nicht akzeptabel und darüber darf nicht hinweggesehen werden!
Ich frage mich, wie die anwesenden Menschen, sie sich selbst eine linke Geundhaltung zuschreiben, reagiert hätten, wenn die Stühle nicht gegenüber Antifas, sondern gegenüber ihren eigenen Genoss*innen gezückt worden wären. Ich mag es nicht hoffen, dass Sie es dann auch bei Nichtreagieren und Stillschweigen belassen hätten.
Ich finde es im übrigen sehr stossend, dass der Text von „Störer*innen“ spricht und damit den AfD-Duktus unreflektiert übernimmt, wenn er dringend notwendige antifaschistische Intervention meint.
Ich frage mich auch, warum es Ihnen so wichtig erscheint, permanent zu betonen, dass der Protest von „jungen Erwachsenen“ getragen wurde. Was wollen Sie damit aussagen? Ist Protest weniger wichtig/wertvoll/berechtigt, wenn er einer Altersgruppe zugewiesen wird? Ich selber mit weit über 40 finde es ja mitterweile sehr schmeichelhaft, weil die Gelegenheiten, wo ich als „jung“ bezeichnet werde, nicht gerade häufig sind, aber es hat auch immer etwas Despektierliches. „Jung“ meint halt auch oft unreif, unerfahren und uninformiert und das sind Attribute, die ich für die antifaschistischen Aktivist*innen, die sich in Arlen mutig und entschlossen eingesetzt haben, entschieden zurückweise. Das sind übrigens auch die Leute, bei denen fundiertes Wissen um W. Gedeon, die AfD am Bodensee und im Hegau und ihre Netzwerke zusammenkommt.
Schade, dass Sie dieses Wissen nicht nutzbar machen und statt dessen sätzelang Gedeon und Co. schwadronieren lassen.
Dieser ganz vorzügliche Bericht gewährt leider erneut Einblick in Abgründe, die man im 21. Jhd. nicht mehr anzutreffen hoffte. Der Herr im rosa Polohemd und der Herr Holocaustleugner dürfen ja gerne weiterhin in ihrer eigenen Parallelwelt darüber diskutieren ob man denn jetzt in einer fiktiven Diktatur (hat er sich mal die Definition dazu angeschaut?) oder einem Neofeudalismus (hat man auch hier mal die Definition nachgeschlagen?) lebe…