Die Magie der weichen Dinge
Regisseur Didi Danquart ist mit seiner Verfilmung von „Goster“ gerade am Grimme-Preis vorbei geschlittert. Er inszeniert nun am Theater. In Konstanz bringt er das Stück „Von Mäusen und Menschen“ auf die Bühne und bringt damit eine amerikanische Geschichte in seine Heimatstadt Singen. Es ist ein Stück über Außenseiter, Träume und das Scheitern.
In Zeitlupe beginnt die Inszenierung. Zwei Gestalten schleichen des Nachts über eine mulchige Bühne, suchen einen Lagerplatz. Zwei Arbeiter auf der Walz, die zu einer neuen Anstellung ziehen. Sie sitzen am Feuer, essen Bohnen aus der Dose und träumen von einem besseren Leben. Es sind Georg, ein guter Kerl, der strategisch plant und Acht gibt auf den anderen: Lennie. Der ist groß und stark, aber auch ein bißchen anders. Sobald klar ist, dass Lennie alleine nicht zurechtkommen würde und er auf die Hilfe von Georg angewiesen ist, öffnet sich die Bühne und die Inszenierung von Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ nimmt Fahrt auf.
Georg (Ingo Biermann) und Lennie (Sebastian Haase) erreichen die Fabrik, in der sie ein paar Wochen Geld verdienen wollen, um sich dann den Traum vom autarken Leben zu ermöglichen: ein kleiner Hof mit Hühnern, Tauben, einem Schwein und ganz, ganz vielen Kaninchen. Nie wieder den Chef fragen müssen, ob man zu einem Fußballspiel gehen kann oder in den Zirkus. Gemüse anpflanzen, Eier verkaufen und die Sahne wäre so dick, dass man sie mit dem Messer schneiden könnte. Die Kaninchen würden Klee bekommen, säckeweise Klee, das sagt Lennie immer wieder. Der Gedanken an die Tierchen scheint ihn in den Bann gezogen zu haben wie nichts anderes, er vergisst die Welt um sich herum, nur das Kaninchen zählt. Denn Lennie mag weiche Dinge. Gerne hat er auch mal eine tote Maus als Handschmeichler in der Hosentasche oder er fasst das Kleid eines Mädchens an und lässt es nicht mehr los. Und damit beginnen die Probleme, die Georg immer irgendwie lösen muss. Und sie lassen nicht lange auf sich warten …
Adaption an den Bodensee der Sechziger Jahre
John Steinbeck schrieb die Novelle 1937 und sie erzählt somit von einem Kalifornien, das von Rassismus und Ausgrenzung geprägt ist, gleichzeitig aber auch vom American Dream – vom Tellerwäscher zum Millionär, jeder ist seines Glückes Schmied. Diese Erzählung interpretiert Regisseur Didi Danquart in einem anderen Kontext: er verortet die Figuren regional. In dem Industriestädtchen Singen, in dem Danquart selbst aufwuchs, ist die Migration seit Jahrzehnten präsent. Man erkennt die Umgebung am großartigen Bühnenbild: Der Singener Bahnhof und der Hohentwiel zeichnen sich im Hintergrund ab, der wie von Zauberhand seine Farblichkeit wechselt und somit malerische Stimmungen schafft (Bühnenentwurf: Theresia Anna Ficus und Umsetzung: Anita Könning). Steinbecks Moral ist also auch hier gültig, denn es ist eine Geschichte von Außenseitern, die in der Gesellschaft keinen Platz finden.
In der Inszenierung ist dies zunächst der alte Schäferhund von Kandic‘, dem Jugoslawen (Vladimir Pavic), der in der Fabrik den Hof fegt, nachdem seine Hand in einer Maschine zerquetscht wurde. Der Hund, der auf der Bühne ein echter ist, lenkt leider extrem vom Inhalt der Inszenierung ab und der flauschige Australian Sheperd passt auch nicht recht ins Bild dessen, was erzählt wird. Nämlich, dass er alt, zahnlos und stinkend zu nichts mehr nütze sei, und besser erschossen gehöre. Was dann auch passiert. Der Hund wird „erlöst“. Glücklicherweise hat auch die Hündin des Vorarbeiters Fritz (Raphael Westermeier) gerade geworfen, ein neuer, funktionierender Hund ist also in Aussicht.
Auf die Welpen hat es auch Lennie abgesehen, klar, sie sind klein und weich, und so verbringt er jede freie Minute in der Wurfkiste, wo er sein neugeborenes Lieblingshündchen zu Tode kuschelt. So geschieht es dann auch mit der Frau des yuppiehaften Fabrikanten Cornel, die auch sehr weiches Haar hat und leider fürchterlich zu schreien beginnt, als Lennie sie berührt, so lange, bis sie es eben nicht mehr tut. Und Lennie weiß: er hat etwas Dummes gemacht und muss weg.
So flieht er ins nahegelegene Gebüsch, wo sich der Schluss des Stückes wenig progressiv gestaltet. Was soll man nun mit diesem Lennie machen, der ja nicht tragbar ist und ständig wieder in Schwierigkeiten gerät? Die Männerwelt ist sich einig: Wie dem alten Hund, so ergeht es auch Lennie. Ein Ende, das schon die Schullektüre von „Of Mice and Men“ nicht gerade sympathisch gemacht hat.
Das wiederum kann man von Danquarts Inszenierung nicht behaupten. Obwohl der vorgegebene Stoff düster und schwer ist, gelingt es dem Regisseur, die Geschichte mit einer gewissen Leichtigkeit und viel Witz zu erzählen. Hinzu kommt die Leistung der Schauspieler, die das Stück zu dem machen, was es ist: ein Männerstück.
Archaische Männlichkeitstypen
Da gibt es den gnadenlosen Stammtischredner Karl. Mit Seitenscheitel und Feinrippshirt ist er der sensationsgeile Hundemörder – und Thomas Fritz Jung gibt mit dieser Figur einen mannsechten Kerl ab. Dann ist da Cornel (Florian Rummel), der seiner Frau keinen Meter über den Weg traut und vor lauter Eifersucht Gespenster sieht. Zu ihnen gesellt sich Crooks, der von Robert Magasa aus Malawi gespielt wird und das Stück wundervoll bereichert. Sein Gesang erwärmt die Herzen, zumindest im Publikum, denn auf der Bühne sind und bleiben sie einsam und isoliert – Männerherzen eben.
Mit dieser geballten Bilderbuchmännlichkeit bricht nicht die einzige Frau im Stück, Jana Alexia Rödiger spielt die adrette Erika, denn diese Rolle fügt sich in das System. Hier zeigt sich, dass Steinbecks Stück nicht mehr zeitgemäß ist. Die Darstellung der Frau in dieser Männerwelt, sie ist so nicht mehr tragbar. Dass der Mord am Ende so stehen gelassen wird, als wäre sie quasi selbst daran schuld, sie hätte sich ja schließlich besser von den Männern fernzuhalten, erinnert schon sehr an die Rock-zu-kurz-Ausrede. Dies wird nicht reflektiert oder entschuldigt und so bleibt sie bestehen, diese Männerwelt mit Prügeleien und Puffbesuchen – Männer wie lausige Spaghetti, nennt Erika sie und will nur noch eines: weg.
Als einzige Alternative steht die Figur Lennies im Raum. Er bricht mit allen Klischees. Obwohl er die Statur eines Bären hat, ist er weich, kindlich, träumerisch und naiv. Sebastian Haase bringt diese Figur mit unheimlich viel Empathie und Einfühlungsvermögen auf die Bühne und zeigt dabei die Kunst, einen Schwachen darzustellen ohne ihn schwach wirken zu lassen – wunderbar!
Und dieser Gegenpol ist es, den all die harten Kerle brauchen, um einen Ausweg aus ihrer Existenz zu finden. Georg braucht ihn, um sein Geld zusammenzuhalten und es nicht bei Schnaps und leichten Mädchen zu verprassen. Kandic‘ springt auf die verträumten Erzählungen über die Kaninchenfarm an und will sich dort um „seine Jungs“ sorgen und für sie kochen. Crooks wird ebenfalls von den Erzählungen Lennies beeindruckt und sieht in der Utopie des Aussteigermodells eine Möglichkeit, nicht mehr allein zu sein.
Und doch sind sie alle tragische Gefangene in ihrer Welt: sie können Lennie nicht retten und werden somit selbst nicht erlöst. Sie alle bräuchten sie und können sie doch nicht erreichen: die weichen Dinge.
Veronika Fischer (Foto: Theater Konstanz/Ilja Mess)