„Politisches Engagement geht auch ohne Mandat“
Stephan Kühnle (30) kandidiert im Mai 2019 nicht mehr für den Konstanzer Gemeinderat, in den er 2014 eingezogen war. Damit scheidet das jüngste Mitglied dieses Gremiums nach nur einer Legislaturperiode wieder aus. Viele wundern sich über diesen Schritt, den man eher von Senioren erwarten könnte. Wir sprachen mit Stephan über seine Motive, seine Erfolge und seine Zukunftspläne.
Du bist – mit beträchtlichem Stimmenvorsprung – als jugendlicher Hoffnungsträger bei der letzten Wahl für die FGL in den Gemeinderat eingezogen. Jetzt dieser plötzliche Rückzug. Warum?
Das Wahlergebnis 2014 hat mich riesig gefreut und motiviert. Die FGL hat mich mit einem großen Vertrauensvorschuss ins Rennen geschickt und darüber hinaus erhielt ich auch von langjährigen Stadträtinnen und Stadträten viel Unterstützung.
Seit Jahren versuche ich, mich an der einen oder anderen Stelle einzubringen, teilweise erfolgreich, teilweise weniger erfolgreich. So wurden beispielsweise die Grundlagen gelegt für den dringend notwendigen Ausbau der Fahrradinfrastruktur und den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung. Wir haben zusammen mit anderen Fraktionen eine Erhöhung der Kita-Gebühren verhindert und unternehmen immer wieder Vorstöße für ein beitragsfreies letztes Kindergartenjahr bzw. den sukzessiven Abbau der Gebühren. Wichtig ist mir aber auch die politische Bildungsarbeit, und so habe ich 2014 das Projekt „Schule im Gemeinderat“ initiiert und konzipiert. Ich freue mich, dass dieses Projekt von den Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern so gut angenommen wird und dass sich viele Stadträtinnen und –räte entschieden haben, an diesem Projekt mitzuwirken. Gerade in Zeiten wie diesen ist nichts wichtiger, als die politische Bildung zu stärken und junge Menschen zu befähigen, gegen Rassismus und Diskriminierung aufzustehen und für demokratische Werte, soziale Verantwortung und Zivilcourage einzustehen.
Und keine Misserfolge?
Ich will nicht verschweigen, dass ich mich mit einigen Forderungen nicht oder noch nicht durchsetzen konnte. Beispielsweise sollte aus meiner Sicht die Mobile Jugendarbeit und die bestehenden Konstanzer Jugendeinrichtungen personell gezielt gestärkt werden. Demgegenüber halte ich die Entscheidung, den Kommunalen Ordnungsdienstes einzuführen, nach wie vor für ein falsches Signal.
Ich habe die Stadt, die politischen Entscheidungsprozesse und Teile der Bürgerschaft ganz neu kennengelernt. Das sind tolle Erfahrungen, die ich nicht missen möchte. Neben viel Engagement und Leidenschaft erfordert ein solches Mandat jedoch auch ein hohes Maß an zeitlichem Einsatz. Darauf habe ich mich die letzten Jahre eingelassen, trotz familiärer Verpflichtungen und Studium. Mir ist in den Überlegungen zu einer Wiederkandidatur klar geworden, dass ich nicht gleichzeitig mehr Zeit für Familie und Beruf haben und mich in gleichem Maße politisch so einbringen kann, wie ich es in den vergangenen fünf Jahren gemacht habe. Darum habe ich mich gegen eine erneute Kandidatur entschieden.
Bei allem Verständnis für persönliche Gründe: Gibt es nicht auch eine demokratische Verantwortung, den Wählerwillen über mehr als nur eine Legislaturperiode zu erfüllen?
Das sehen viele ganz anders. Es gibt auch immer wieder Diskussionen, ob man – wie bei US- Präsidenten – die Anzahl der Legislaturperioden begrenzen könnte, um zu vermeiden, dass einzelne Mandatsträger ihr halbes Leben in solchen Gremien verbringen. Es gibt aber auch Beispiele wie das von Gisela Kusche, die von 1989 bis 1994 Mitglied des Gemeinderats war und sich, als ihre Kinder klein waren und sie in der Berufseinstiegsphase war, aus der Kommunalpolitik zurückgezogen hat. Seit vier Jahren ist sie wieder mit dabei.
Ich habe 2014 mit dem Ziel kandidiert, für fünf Jahre in den Konstanzer Gemeinderat gewählt zu werden. Mitten im Studium, nach einer Elternzeit und Auslandsstudium wollte ich mich in Konstanz einbringen und meine Stadt vor Ort mitgestalten. Diese Möglichkeit habe ich genutzt und durch den Wählerwillen sogar ein Mandat dafür bekommen. Politische Mandate sind jedoch zeitlich begrenzt, das ist gut so. Um die Legitimation muss man sich immer wieder neu bewerben. Es gibt aber Lebensphasen, in denen die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt schwerer zu realisieren ist und daher bitte ich um Verständnis für meine Entscheidung.
Es ist kein Geheimnis, dass in der FGL-Fraktion nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen herrscht. Häufig kriselt es, häufig gibt es divergierende Abstimmungen. Inwieweit hat Dich dieses Hick-Hack in Deiner Entscheidung beeinflusst?
Politische Aushandlungsprozesse leben von Auseinandersetzung, Reibung und auch Uneinigkeit. Natürlich ist das hin und wieder anstrengender als einem lieb ist, und ja, ich kenne das Gerede über die Vielstimmigkeit der FGL-Fraktion. Und auch wenn wir manchmal keine einheitliche Meinung in den Gemeinderatssitzungen vertreten, so ist mir das allemal lieber als eine politisch erzwungene gemeinsame Haltung.
Das Besondere an der FGL-Fraktion ist die Vielfältigkeit der Lebensrealitäten bei einer gleichzeitig gemeinsamen grünen Grundhaltung. Dass dies nicht immer einfach ist, wird jede und jeder nachvollziehen können, wenn man einmal an unseren öffentlichen Fraktionssitzungen teilnimmt.
Für meine Entscheidung spielt das keine Rolle. Ich bin gerne Teil der FGL-Fraktion.
Ist das nicht ein wenig zu einfach? Als Beobachter hat man häufig den Eindruck, manche FGL’ler könnten auch CDU-Mitglied sein. Zumindest stimmen sie häufig mit Konservativen ab, bei anderen Deiner KollegInnen mag man gar nicht glauben, dass sie Grüne sind …
Die Kommunalpolitik verläuft – zum Glück – nicht nur entlang parteipolitischer Linien. Damit würde man es sich bei fast allen Fraktionen zu einfach machen. Ja, der Gemeinderat ist ein politisches Gremium und daher ist es auch gut, dass wir uns in politischen Gruppierungen oder Parteien organisieren, die sich auf ein gemeinsames Wertegerüst stützen. Dennoch ist jeder Einzelne von uns natürlich durch seine Erfahrungen mitgeprägt und gewichtet das eine Thema möglicherweise stärker als das andere. Dass man in konkreten Fragen nicht immer zum gleichen Ergebnis kommt, wird offensichtlich stets als Schwäche ausgelegt. Das kann ich einerseits verstehen. Andererseits finde ich es auch wichtig anzuerkennen, dass die Konstanzer Grünen nun mal eine breite Wählerschaft zu vertreten haben. Dies zeigen die hervorragenden Wahlergebnisse bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen. Da ist es doch nur folgerichtig, dass sich diese Bandbreite auch in der Fraktion wiederspiegelt.
Gibt es Entscheidungen, die Du bereust? Würde Deine Entscheidung für das Bodenseeforum beispielsweise heute so wie vor fünf Jahren ausfallen?
Natürlich gibt es Entscheidungen, die ich bereue. Ein aktuelles Beispiel: Das ehemalige Siemens-Areal in der Bücklestraße nicht zu kaufen, war ein Fehler. Wir hätten als Stadt das Vorkaufsrecht ziehen sollen, um dieses Gebiet selbst zu entwickeln. Dann hätten wir heute ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten, unsere städtebaulichen Ziele umzusetzen. Nun ist die Entscheidung wie sie ist und daher müssen wir versuchen, als politische Akteure unsere Spielräume so zu nutzen, um den Eigentümer des Areals an der ein oder anderen Stelle von unseren Ideen überzeugen zu können.
Zum Bodenseeforum: Es steht mir nicht zu, an einer Entscheidung, die vor meiner Wahl in den Gemeinderat stattgefunden hat, herum zu mäkeln. Eines ist mir aber wichtig: Die Entscheidung für das Bodenseeforum wurde im Mai 2014 unter hohem politischen Druck, wenige Tage vor der Kommunalwahl, getroffen. Damals wie heute kritisiere ich das Verfahren zu einer solch weitreichenden Entscheidung. Ich bin der festen Überzeugung, dass gute Entscheidungen lieber mehr als weniger Zeit brauchen.
Was sind Deine nächsten Pläne?
Bis zum Sommer 2019 werde ich mich weiterhin mit vollem Einsatz im Gemeinderat einbringen und die FGL im Wahlkampf so unterstützen, dass sie hoffentlich wieder als stärkste Kraft in den Gemeinderat einzieht. Dabei machen wir uns auch gezielt auf die Suche nach interessierten Menschen, die sich vorstellen können, sich im Gemeinderat einzubringen. Jetzt ist die Zeit, auf die unterschiedlichen politischen Gruppierungen zuzugehen, sofern man sich eine Kandidatur vorstellen kann.
Bist Du also auf Dauer für die Konstanzer Kommunalpolitik verloren?
Die Lust auf Kommunalpolitik ist mir keineswegs vergangen. Natürlich werde ich mich weiterhin im Rahmen meiner Möglichkeiten einbringen, politisches Engagement geht auch ohne Mandat.
hpk (Foto: Privat)
Vielen Dank für Dein Engagement lieber Stephan und alles Gute für Deine mandatslose Arbeit!
Ich hoffe, daß mindestens Dein Platz im Gemeinderat (besser noch viele mehr) wieder von jemand aus der jungen Generation besetzt wird, gerne diesmal auch eine Frau!
Denn ohne einen jugendlichen, pardon, Arschtritt mit Anlauf, schaffen wir alten Säcke es offensichtlich nicht diese Stadt und dieses Land zukunftsfähig und enkeltauglich zu gestalten.
Ich habe zunächst einmal Respekt davor, wenn gerade auch ein junger Mensch nach reiflicher Überlegung für sich entscheidet, nicht erneut für ein kommunalpolitisches Mandat kandidieren zu wollen.
Immerhin bleibt jedem Stadtrat mit Ablauf der Wahlperiode die freie Entscheidung, sich aus eigenem Willen heraus für eine erneute Wahl aufstellen zu lassen. Eine Verantwortung gegenüber dem Wähler über eine Amtszeit hinaus erkenne ich nicht.
Wir müssen viel eher erkennen, wie umfangreich und anspruchsvoll ein Ehrenamt für die Gemeinschaft ist, das durch komplexe Entscheidungen und eine oftmals komplizierte Materie inhaltlich wie zeitlich eine Menge vom Gemeinderat abverlangt.
Viel eher ist es gerade in der heutigen Leistungsgesellschaft mutig, sich zu Familie und Privatleben zu bekennen – und für sich zu dem Entschluss zu kommen, Prioritäten zu setzen.
Gleichsam müssen die Worte von Stephan Kühnle auch nachdenklich machen: Überfordern wir unsere Kommunalpolitiker mit Erwartungen, Ansprüchen und Arbeit? Und wie kann es uns gelingen, eine neue Generation von Engagierten für die örtliche Politik zu begeistern?
Das Nachwuchsproblem trifft nicht nur die Kommunalpolitik, es ist auch in Vereinen allgegenwärtig. Deshalb befürworte ich eine breite Diskussion darüber, wie wir freiwilliges Engagement insgesamt attraktiver gestalten und wie wir denen, die sich zum Dienst für die Allgemeinheit bereit erklären, unseren Dank und unsere Anerkennung viel öfter zum Ausdruck bringen können.