Nicht witzig!!!!!!

Am Freitagabend wartete das Theater auf der Werkstattbühne mal wieder mit einem aktuellen gesellschaftspolitischen Thema auf: dem Reichsbürger. Wolfgang Hagemanns Inszenierung des Monologs „Der Reichsbürger“ aus der Feder von Annalena und Konstantin Küspert bot trotz der (nachgerade bedrohlichen) Brisanz dieser Bewegung eher seichte Abendunterhaltung denn eine kritische Auseinandersetzung. Kaum eine Spur von ernsthaftem Grübeln oder gar Schockiertheit im gut gefüllten Zuschauerraum.

Der Reichsbürger, um Kopf und Kragen gespielt von Ralf Beckord, gestaltete im Stück eine Art Informations- und Indoktrinationsveranstaltung für angehende ‚SelbstverwalterInnen‘ – das Publikum. Es wurde von Anfang an direkt angesprochen und so in das Geschehen einbezogen, wenn auch auf unpassende Weise unernst – eine Reaktion wurde nie wirklich abgewartet, sondern, um die peinliche Berührtheit der Zuschauerschaft nicht Überhand nehmen zu lassen, schnell wieder zur Bühnenhandlung übergegangen.

Aha, ein Reichsbürger

Diese bestand hauptsächlich aus der Wiedergabe all jener Denkstrukturen und Verhaltensweisen von Reichsbürgern, die dem ansatzweise mit dem Thema befassten Zuschauer inzwischen bekannt sein sollten: Die Bundesrepublik Deutschland existiere nicht; wir seien alle Personal der BRD GmbH und Deutschland unterläge immer noch der Besatzung durch die Alliierten. Gut, das ist bei einem Stück namens „Der Reichsbürger“ auch irgendwie zu erwarten, jedoch fehlte in der Darstellung gerade die Ernsthaftigkeit, mit die Reichsbürger an genau diese Theorien glauben. Die Ironie und Selbstreflexion des Reichsbürgers („Sie denken natürlich, ich bin ein Spinner“) war zu ausgeprägt, um Ralf Beckord das Reichsbürgertum seiner Rolle tatsächlich abzukaufen. Im Übrigen hätte man dem Autorenpaar auch ein wenig mehr Recherche zutrauen können – vielleicht mal eine etwas ausgefallenere Theorie wie zum Beispiel die zum „Gelber Schein“ (Reichsbürger benutzen ihn anstelle des Personalausweises).

Ich bau’ mir einen Staat

Um die kindische Kleingeistigkeit der Reichsbürger zu demonstrieren, baute des Theaters Reichsbürger im Zentrum der Bühne auf einer Platte mit einer Art Modelleisenbahnlandschaft sukzessive sein eigenes Staatsterritorium mit eigenen Ortsschildern, Maschendrahtzaun und bewaffneter Grenzpatrouille. Ein gelungenes Sinnbild Hagemanns für die geschlossene Logik des Reichsbürgerschen Denksystems, aber auch für die Sehnsucht nach Gemeinschaft solcher oft im Leben gescheiterten Menschen. Die Figürchen mit schwerem Geschütz auf der Platte wurden von manch ZuschauerIn belächelt – ignorierend oder unwissend, dass genau das an manchen Orten Deutschlands bereits bittere Realität ist.

Sind es wirklich nur die Reichsbürger, die sich ihre eigenen Staaten bauen oder sind es auch die DemokratInnen, die im Theater sitzen und sich – sicher auch aufgrund der ironisch überzogenen Darbietung – über Reichsbürger lustig machen, statt über die realen Konsequenzen eines solchen Handelns nachzudenken? Vielleicht ist das Theater selbst ein Anreiz, die tatsächlichen Folgen auszublenden: Allen im Saal war klar, der da auf der Bühne tut uns nix, der tut nur so. Kann das Theater als Schutzraum überhaupt geeignet sein, um die Faktizität der absurden Reichsbürgerbewegung realistisch darzustellen?

Und nun?

Bedauerlicherweise vermochte auch das hasserfüllte Rumbrüllen und Rumgefuchtel des Reichsbürgers mit einer Schusswaffe in der Schlussszene, die wohl genau diese realen Folgen anzudeuten versuchte, nicht, das Publikum aus seiner beobachterischen Wohlfühl-Atmosphäre zu reißen. Noch in der Szene zuvor, als sich der Reichsbürger über „Gender-Schwachmaten“ aufregt und sarkastisch feststellt, dass er politisch korrekt eigentlich von „Gender-SchwachmatInnen“ sprechen müsse, erntete er so einige Lacher im Publikum. Dazwischen streute er immer wieder – pikant am 9.11. – offensichtlich rassistisches und rechtsradikales Gedankengut ein.

Ich frage mich, was ist daran witzig? Was ist witzig daran, dass beispielsweise im Finanzamt die Namen der SachbearbeiterInnen nicht mehr auf die Bescheide gedruckt werden, weil sich diese vor Drohbriefen solcher Menschen in Acht nehmen müssen? Was ist witzig daran, dass Reichsbürger mit Papierstapeln wirren Geschwurbels die Gerichte in Deutschland lahmlegen, die weit Besseres zu tun hätten? Und was ist witzig daran, dass am Ende sogar Menschen mit dem Leben dafür bezahlen, weil sich einer einbildet, seinen Fünf-Quadratmeter-Garten mit einer Kalaschnikow „verteidigen“ zu müssen? All diese Fragen hat das Stück nicht gestellt, sondern hat die ZuschauerInnen in dem Glauben belassen, dass das mehr oder weniger harmlose Spinner sind, die ihre Lebenswelt nicht beeinträchtigen. Doch genau das ist es, was diese Menschen tun.

Franziska Spanner (Foto: Theater Konstanz/Bjørn Jansen)