Ohne Bewegungs-Power wird das nichts

In einem inzwischen vieldiskutierten Beitrag hat unser Autor O. Pugliese Kritik an Konstanzer Initiativen geübt. Er wirft ihnen vor, häufig engstirnig nur Sonderinteressen im Auge zu haben, bemängelt fehlende Sachkenntnisse und vermisst den langen Atem, der nötig wäre, um dem Ziel einer lebenswerten Stadt näher zu kommen. Wir veröffentlichen hier eine Replik, in der Jürgen Geiger Widerspruch gegen diese Sichtweise anmeldet.

Das ist natürlich wie immer sehr elegant formuliert, was O. Pugliese in seinem Beitrag über Glanz und Elend des Wirkens Konstanzer Initiativen aufgeschrieben hat. Sein Befund krankt indes selbst an einem Syndrom, das schon seit dem Scheitern der 68er-Revolte auch Linke immer wieder auf den Holzweg führt: Die alleinige Orientierung auf den Marsch durch die Institutionen endet für emanzipatorische Ideen zuverlässig im Erstickungstod. Dafür ist gerade der als Aushängeschild angeführte BUND das beste Beispiel, den ein geschickter Verwaltungsapparat doch längst meist problemlos instrumentalisieren kann. Aus der vollkommen richtigen Kritik an der Gartenzwerg-Perspektive mancher Initiative und einer oft zu beklagenden Unkenntnis in deren Reihen, wie die normsetzende Maschinerie funktioniert, sollte jedenfalls nicht umgekehrt der Schluss gezogen werden, dass man das Heil nun darin zu suchen habe, sich bedingungslos in die Arme eines Systems zu werfen, dessen Wesenskern ein Recht auf Bereicherung ist, welch letztere im Zweifelsfall immer den Vortritt vor sozialen und ökologischen Notwendigkeiten erhält.

Die Perspektive von Menschen, die sich gesellschaftlicher Emanzipation verschrieben haben, müsste doch eher sein, sich schlau zu machen, um solche Spielregeln progressiv auszuhebeln. Ohne den Druck der Straße klappt das aber nicht. Das Beispiel Hambacher Forst etwa zeigt überzeugend, wie es gehen kann. Dort ist das hohe Gericht am Ende deshalb eingeknickt, weil durch Aktionen erzeugter gesellschaftlicher Druck (durch die Gralshüter von Recht und Ordnung als schwer illegal eingestuft) auch an den Garanten des staatlichen Wirschaftsgefüges nicht spurlos vorübergeht. Zu dem, was man unseren hiesigen Initiativen vorwerfen kann, gehört deshalb weniger ihre behauptete Naivität, sondern unbedingt vor allem eine gewisse Ängstlichkeit, die ihren Aktivitäten oft anhaftet – Erblast typisch deutscher Untertanenmentalität.

Konkret was Büdingen betrifft: Sehr wohl hätten fantasievolle Aktionen wie etwa eine Platzbesetzung die Aussicht, eine fruchtbare Debatte über die Frage anzustoßen, wem zum Teufel eigentlich die Stadt gehört. Wenn auf der Grünfläche am Ufer des Konstanzer Trichters die ortsansässigen „WutbürgerInnen“ Seite an Seite mit überzeugten KlimaaktivistInnen und kapitalismuskritischen Linken Flagge zeigten, würde sich möglicherweise vielen der Blick weiten für Überlegungen, die über den eigenen Vorgarten hinausreichen. Vielleicht könnte gerade ein solcher Akt des zivilen Ungehorsams Erkenntnisprozesse anstoßen, was inner- und außerhalb der Repräsentationsorgane getan werden müsste, um Verhältnisse ins Tanzen zu bringen, in denen es legal ist, einen Luxusschuppen für Superreiche hochzuziehen, während gleichzeitig das Sozialamt Alarm schlägt, dass immer mehr Leute auf die Straße gesetzt werden, weil sie die Miete nicht mehr zahlen können.

Und auch das noch, nebenbei: Wenn Initiativen von StadträtInnen einfordern, sich für ihr Anliegen einzusetzen, nehmen sie doch nur das System der Repräsentation ernst, das von (fast) allen Seiten als Krone der Demokratie angepriesen wird. Sie erinnern damit die im Ratssaal Repräsentierenden völlig zu recht an oft großspurig vorgetragene Behauptungen aus dem Wahlkampf, mit denen diese um ihre Stimmen warben. Der von manchen FunktionsträgerInnen vor sich her getragene Dünkel, als Bankdrücker im Ratssaal hätte man den Durchblick fürs Große und Ganze, muss selbst für kommunalpolitisch interessierte Laien grotesk wirken, die gelegentlich mal eine Gemeinderatssitzung besuchen.

Fazit: Das politische Leben krankt gewiss nicht daran, dass sich Menschen über die herrschenden Zustände empören, ohne den Paragrafendschungel zu kennen, der ihre Herbeiführung möglich (und Gegenwehr so schwer) macht. Ich wünsche mir jedenfalls noch viel mehr Druck von sozialen, ökologischen und demokratischen Bewegungen – der ist nämlich die notwendige Voraussetzung dafür, dass progressive VertreterInnen im Gemeinderat wie die von der Linken Liste überhaupt etwas zum Besseren durchsetzen können. Dass mensch auch Konsequenzen aus den dabei gemachten Erfahrungen mit den politischen RepräsentantInnen für sein Wahlverhalten zieht, schadet natürlich keineswegs. Die nächste Gelegenheit dafür gibt’s schon im Mai 2019.

Jürgen Geiger (Foto: privat)