Rosa Luxemburg und die Bodenseeregion

Im Januar 2019 jährt sich zum hundertsten Mal die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg (1871 – 1919). Am 4. Januar berichtet der aus Lindenberg stammende Autor und Regisseur Klaus Gietinger, Träger des Kulturpreises seiner Heimatstadt, als ausgewiesener Kenner der Ereignisse in Lindau über diesen politischen Doppelmord während der deutschen Revolution 1918/19 und dessen Hintergründe. Durchaus ein Grund also, Lindau einen Besuch abzustatten.

Es gelang dem erstmals 1899 und erneut 1905 gegründeten Ortsverein Lindau der SPD zwar nie, seine bereits zu Lebzeiten prominente Parteilinke Rosa Luxemburg zu einem Vortrag nach Lindau zu verpflichten. Trotzdem kannte die Revolutionärin die Stadt Lindau und die Bodenseeregion aus eigenem Erleben und hatte dazu auch einige Geschichten zu erzählen.

Von 1890 bis 1897 hatte Rosa Luxemburg in Zürich studiert und ihren Doktortitel mit „magna cum laude“ erlangt. 1898 zog sie über München nach Berlin, um auf dem linken „Flügel“ der SPD politisch aktiv zu werden.

Nach der Ankunft in München schrieb sie ihrem langjährigen Lebenspartner Leo Jogiches, der mit dem Gepäck vorausgereist war, unter anderem über ihre Schifffahrt von Romanshorn nach Lindau. Auf dem Schiff hatte sie noch Schweizer Franken in deutsche Reichsmark gewechselt, war nach ihrer Ankunft in Lindau in den pünktlich bereit stehenden Zug nach München umgestiegen und freute sich, dafür nicht noch mal bezahlen zu müssen. „Aber nach Lindau gab es keine Nachzahlung. Ich reiste im Damencoupé. Jetzt lebe wohl … ich küsse Dich auf den Schnabel.“

Als im Sommer 1909 sieben Mitglieder der württembergischen SPD-Landtagsfraktion den innerparteilichen Tabubruch begingen, in Friedrichshafen nicht nur die Zeppelinwerke, sondern auch den dort im Schloss residierenden König zu einem „Gabelfrühstück“ zu besuchen und dabei auf diesen ein Hoch auszubringen, meldete sich Luxemburg am 29. Juli aus Quarten am Ostschweizer Walensee wie folgt zu Wort. „Die Sache mit der württembergischen Fraktion ist unerhört. Warum schreibt denn niemand in der ‚Schwäbischen Tagwacht’ (württembergische SPD-Zeitung) darüber?“

Seit 1907 war Dr. Rosa Luxemburg auch Dozentin an der Berliner SPD-Parteischule. In ihrem Vortragszyklus zu Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie zeigte sie immer wieder ein vertieftes Wissen auch von der Geschichte der Bodenseeregion, aus welcher sie häufig Beispiele zitierte. Bereits im 9. Jahrhundert habe beispielsweise das Kloster St. Gallen über rund 4.000 Hufen Grundbesitz verfügt. Städtische Siedlungsplätze aus der Römerzeit seien im Mittelalter nur Städte geblieben, wenn sie bereits von einer Mauer umgeben waren: „Viele römische Städte sind Dörfer geworden, z.B. Kempten … Aus ummauerten Klöstern entstanden St. Gallen, Schaffhausen …“. In den sich entwickelnden Städten waren im Unterschied zur abhängigen ländlichen bäuerlichen Bevölkerung spezifische persönliche Freiheiten ein wichtiges Merkmal gewesen: „Das Recht der freien Verehelichung [wurde] in Bregenz 1409 [errungen]“. Innerhalb dieser Städte aber „entspann sich ein Klassenkampf, der sich zwischen Gemeinde (Handwerker) und Geschlechtern (Patrizier) abspielte und während des 13., 14. und 15. Jahrhunderts dauerte, In der Regel war das Resultat eines solchen Kampfes ein Kompromiss … Ausschließliche Zunftherrschaft war in Schaffhausen und Konstanz…“.

Als Rosa Luxemburg 1905 als ordentliche Delegierte am SPD-Parteitag in Jena teilnahm, stellte das nationalliberale Lindauer Tagblatt am 27. September dem hiesigen Publikum die radikale Delegierte als Teil einer Pressezeichnung sowie mit einigen spöttischen Worten vor: „Unsere Bilder zeigen uns verschiedene Koryphäen der Sozialdemokratie … Dann kommen die Unversöhnlichen – die holde Weiblichkeit, die Führerinnen und Ruferinnen im Streit der sozialdemokratischen Frauenfrage. Rechts Frau Klara Zetkin, in der Mitte Rosa Luxemburg und links Frau Kähler: Sie sehen aus wie schlichte Bürgerfrauen; in der sozialdemokratischen Frauenbewegung spielen sie aber eine große Rolle“.

Bereits kurz vor Beginn des europäischen imperialistischen Mordbrennens im Sommer 1914 berichtete das Lindauer Tagblatt in seiner Ausgabe vom 24. Februar 1914 über den in Frankfurt angesetzten Prozess gegen die damalige Sozialistin in der SPD und spätere Co-Vorsitzende der KPD, Rosa Luxemburg (1871 – 1919), ihrer Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis und dem Grund hierzu wie folgt: „Frau Luxemburg äußerte in zwei Versammlungen am 25. und 26. Dezember in Fechenheim und in Bockenheim: Wenn uns zugemutet werden sollte, die Mordwaffe gegen unsere französischen Brüder, oder andere ausländische Brüder zu erheben, dann rufen wir: Wir tun das nicht!“

Als sozialistische Kriegsgegnerin kam Rosa Luxemburg 1915 ins Gefängnis. Aus diesem schrieb sie beispielsweise an Sophie Liebknecht, der Frau des am 1. Mai 1916 ebenfalls verhafteten grundsätzlichen Kriegsgegners Karl Liebknecht, wegen deren zerrütteter Nerven u.a.: „Sonitschka! Können Sie nicht zum Bodensee, damit Se ein bisschen den Süden spüren?“

Nach dem in Rücksprache mit dem kommenden Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) von Offizieren verübten Doppelmord an den führenden Mitgliedern der am 1. Januar 1919 gegründeten KPD-Spartakusbund, Luxemburg und Liebknecht, am 15. Januar 1919, verbreitete auch Lindaus Tagblatt vom 17. Januar zunächst die gezielt gestreuten Falschmeldungen über die Morde: „Bestimmt auftretende Gerüchte wollen wissen, dass der in letzter Nacht verhaftete Karl Liebknecht bei einem Fluchtversuch beim Tiergarten am Neuen Weg erschossen worden ist. Auch Rosa Luxemburg soll während des Abtransportes aus dem Edenhotel von der wütenden Menge aus dem Wagen gerissen und getötet worden sein. Eine amtliche Bestätigung liegt noch nicht vor.“

Karl Schweizer

Bild: Pressezeichnung der drei Delegierten Klara Zetkin, Dr. Rosa Luxemburg sowie Genossin Kähler auf dem Weg zum Jenaer SPD-Parteitag 1905 im Lindauer Tagblatt vom 27. September 1905. Repro: Stadtarchiv Lindau/Karl Schweizer.


Veranstaltung: „Die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg vor 100 Jahren“; Klaus Gietinger, Soziologe, Regisseur und Autor aus Lindenberg, liest auf Einladung der Bunten Liste Lindau sowie der Linken im Landkreis Lindau aus seinem Buch im Lindauer-Reutiner Landgasthof „Köchlin“ am 4. Januar 2019, 20.00 Uhr.