Wenn betäubte Lämmer schweigen – Der Untertanen weihnachtliche Speisung
Heute Abend lädt Oberbürgermeister Uli Burchardt Verwaltung und Gemeinderat zum traditionellen Weihnachtsessen ins Konzil. Und (fast) alle werden kommen, um sich am reichhaltigen Buffet zu laben, inhaltslose Reden über sich ergehen zu lassen und sich wichtig zu fühlen. Dass sie, und da vor allem die gewählten VolksvertreterInnen, vom Gastgeber nicht wirklich ernst genommen werden, nehmen sie ergeben hin. Ein Kommentar zur Lage.
Noch nicht lange ist es her, da zogen rund 1500 Menschen durch die Stadt und protestierten unter dem Slogan „Wir sind mehr“ gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. An der Spitze Oberbürgermeister Burchardt, flankiert auch von StadträtInnen aus allen Fraktionen. In mehreren Reden wurde deutlich die Bereitschaft signalisiert, sich mit Nachdruck von jenen abzugrenzen, die mit ihren braunen Hetzparolen durchs Land ziehen. Das war gut so und wichtig für die Stadt. Aber sind wir wirklich mehr?
Diese Frage stellt sich, denn nun, wenige Monate später, zieht Uli Burchardt, der Konstanz gerne als „Konzern“ bezeichnet und dessen Herz angeblich überlaut für Konstanz pocht, eine andere Saite auf. Die Ende Oktober vom Gemeinderat auf Antrag der Linken Liste mehrheitlich verabschiedete Entscheidung, die Stadt zum „Sicheren Hafen“ zu erklären, juckt den selbsternannten Stadtkönig nicht die Bohne. Das ließ er zuallererst Ministerpräsident Winfried Kretschmann im fernen Stuttgart wissen. Das mit dem sicheren Hafen, schrieb er sinngemäß, könne man zwar irgendwie nachvollziehen, aber aufgrund der Konstanzer Wohnungsnot sei eine Aufnahme von geretteten Bootsflüchtlingen vor Ort nicht möglich. Außerdem, so Burchardt weiter, fehle Konstanz „für eine solche Aufnahme schlichtweg auch die Zuständigkeit.“ Im konkreten Fall ging es um 12 aus Seenot gerettete Menschen. Mit seinem Vorstoß in Gutsherrenart setzt sich der Konstanzer Oberbürgermeister eigenmächtig über einen verbindlichen Gemeinderatsbeschluss hinweg.
Wer spätestens jetzt vermutet hätte, aufgrund dessen bräche bei den GemeinderätInnen Entrüstung aus, sah sich getäuscht. Kein Sterbenswörtchen, kein Protest von einem Gremium, das eigentlich auch gewählt wurde, um die Verwaltung zu kontrollieren und ihr nicht alles durchgehen zu lassen. Widerstandslos lässt sich dieser Tage ein weitgehend zahnloser Rat demütigen und gibt ein erbärmliches Bild von sich ab. Die Linke Liste hat aufgrund des Vorgangs ihre Beteiligung am Weihnachtsessen abgesagt, eine dementsprechende Pressemitteilung verschickt und andere Fraktionen darum gebeten, sich diesem Boykott anzuschließen. Denn das würde den Rathauschef wirklich treffen: Ein festlich gedeckter Saal inklusive Fressmeile, der vergeblich auf Gäste wartet.
Doch nichts davon, die überwiegende Mehrheit der Ratsmitglieder will sich den Festschmaus nicht entgehen lassen. Man wolle sich am Jahresende, so diverse Aussagen, nach einem arbeitsreichen Jahr gerne in gemütlicher Atmosphäre zusammensetzen. Dabei, auch das war zu hören, könne man am besten und auch direkt kritisch zum Thema nachfragen. Untertanenseelen lassen herzlich grüßen. Derlei Duckmäusertum wird dem Oberbürgermeister gefallen. Gern gelesen hat er sicher auch den Kommentar von Südkurier-Redakteur Benjamin Brumm, der über den Beschluss, Konstanz zum „sicheren Hafen“ zu erklären, urteilte: „Die Entscheidung (…) war ein Symbolakt. Und jetzt zeigt sich, dass sie falsch war.“ Herrn Brumms Ernennung zum Lokalchef war leider nicht nur symbolisch.
H. Reile
@Geladene Gäste
Zu jedem Projekt muss es auch eine Erfolgskontrolle, in diesem Fall eine Einschätzung des Misserfolges geben. Also:
Hat man nach dem Mahl gerülpst und gefurzt, oder hat es nicht geschmecket?
Gab es schön kontroverse Gespräche mit dem Hegemon, oder nutzte ein Freigeist gar die Gelegenheit, selbigen mit Soße zu bekleckern?
@Christel Thorbecke
…“kann aber für andere Denkerinnen und Denker im Gemeinderat etwas sehr Schönes und Angenehmes sein…“
„Hättest Du geschwiegen, wärest Du ein(e) PhilosophIn geblieben“. Boethius
PS: Manche Äußerungen deuten darauf hin, dass es offensichtlich nicht nur eine Banalität des Bösen, sondern – mit Verlaub – auch eine Banalität des Blöden gibt.
@Peter Stribl
Mit „Weihnachtsbotschaft“ meine ich natürlich die Abstimmung im Gemeinderat, einen sicheren Hafen für Flüchtlinge zu bieten!
Diese Botschaft sollte nicht in Frage gestellt werden durch einen meiner Ansicht nach unpassenden Vorschlag der LLK, durch Ihnen Boykott einer offensichtlich beliebten Veranstaltung, den OB abzustrafen. Damit dient man glaube ich der Sache nicht. Man sollte für diesen unverständlichen und undemokratischen Vorstoß des OB eine öffentliche Erklärung fordern und die Konsequenzen daraus dann gemeinsam besprechen. Das war – in nüchternen Worten – die Intention meines Kommentars!
@Christel Thorbecke
Sie schreiben „Das Weihnachtsessen mag für Herrn Reile dumpfes Spießbürgertum a la Degenhart im 68-er Schmäh widerspiegeln…“, obwohl Holger Reile sich mittlerweile so geäußert hat: „Ich empfehle die Gänsekeule, die war letztes Jahr wirklich lecker.“
Wer auch nur einen Funken Lebenslust empfindet, hat nichts gegen ein gutes Essen. Bloß stimmt im konkreten Fall die Begleitmusik ganz und gar nicht dazu. Sie benennen diese Dissonanzen wie folgt: „Schade, dass die frohe Weihnachtsbotschaft jetzt so zerredet, aufs Spiel gesetzt und ins Negative verkehrt wird.“ – Darf man daraus schließen, daß Sie die Haltung unseres Oberförsters als frohe Botschaft interpretieren? Na dann Mahlzeit…
Sie kritisieren eine „spontane kindliche Trotzhaltung“. Spannt man dagegen einen etwas weiteren Bogen und bezieht die diskriminierten Flüchtlingskinder der italienischen Partnerstadt mit ein, erkennt mensch, daß für die Reaktion der Linken Liste weder kindlicher noch gar kindischer Trotz ausschlaggebend ist. Hat Burchardt auch seine Worte Richtung Lodi lediglich symbolisch gemeint? – Erinnert fatal an Orwells „Farm der Tiere“ und „1984“.
Dieser OB ist jederzeit gut für einen Ganzkörperausschlag. Aber ganz schlecht für ein menschliches, fortschrittliches Konstanz.
Eine satte Mehrheit der Rätinnen und Räte ist dem Antrag der LLK gefolgt und hat ein tolles Zeichen für die Menschlichkeir gesetzt!
Das ist doch das Wichtige an der Sache. SIE waren es nicht, die ihre Versprechungen nicht eingehalten haben. Sie sind von dem Rückzug des OB kalt erwischt worden. Der Streit mit dem OB darüber kann doch nicht heißen, dass die Räte jetzt gleich springen, wenn Herr Reile sich ganz spontane und kurzfristige Strafmaßnahmen für die offenbare Ignoranz des OB, was den Willen des Gemeinderates angeht, ausdenkt. Das Weihnachtsessen mag für Herrn Reile dumpfes Spießbürgertum a la Degenhart im 68-er Schmäh widerspiegeln, kann aber für andere Denkerinnen und Denker im Gemeinderat etwas sehr Schönes und Angenehmes sein, egal wie wenig tiefsinnig die Reden dort ausfallen mögen. Wieso sollten sie sich das nicht gönnen und was hat das mit dem falschen OB Brief zu tun?
Ein Protest dagegen muss man sich reiflicher überlegen und darf nicht in eine spontane kindliche Trotzhaltung ausufern, die der Mehrheit der den Flüchtlingen wohl gesinnten Rätinnen offenbar nicht einleuchtet. Mir auch nicht. Schade, dass die frohe Weihnachtsbotschaft jetzt so zerredet, aufs Spiel gesetzt und ins Negative verkehrt wird.
@Matthias Schäfer
Da Sie mich direkt ansprechen, will ich Ihnen hier gerne antworten.
1. Sie glauben also, bei einem Weihnachtsessen könne man kritisch und kontrovers zum Thema diskutieren? Das glauben Sie wohl selber nicht. Sehen Sie mir zudem nach: Junges Forum und „kritisch nachfragen?“ Ich erlebe Ihre Fraktion seit rund vier Jahren und in dieser Zeit haben Sie meiner Erinnerung nach fast alle Verwaltungsvorlagen klaglos über sich ergehen lassen. Ihr Kollege Buck nennt das gerne „evidenzbasiert“. Wofür Sie und die JFK stehen, erschließt sich nicht.
2. Das ist kein „Spiel“. Es geht darum, dass Herrn Burchardt klargemacht werden muss, dass mehrheitlich geschlossene Entscheidungen auch zu akzeptieren sind. Mit seiner Aktion, zuerst MP Kretschmann zu informieren, dass er sich an eben diesen Beschluss nicht halten will, zeigt er, was er vom Rat hält, und das ist wenig. Frei nach dem Motto: Der ganze Rat ein Depp.
Aber wenn Sie sich, Herr Schäfer, gerne am Nasenring durch die Manege ziehen lassen, sei Ihnen das vergönnt. Ansonsten wünsche ich einen geselligen Abend und guten Appetit. Ich empfehle die Gänsekeule, die war letztes Jahr wirklich lecker.
Lieber Holger Reile und ich dachte, Sie stimmen „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ an, wobei ich mich frage, wer hier nicht mit wem spielen will…?
Ich bleibe dabei, es ist sinnvoller hinzugehen, damit kritische Stimmen nicht weg bleiben. Den Gefallen, den Sie dem OB durch Fernbleiben tun, ist jedenfalls größer als der Ärger über einen festlich gedeckten Saal ohne (Schmuddelkinder?-)Gäste.
Viele Grüße
Matthias Schäfer
@Peter Teichmann
Da passt doch das alte Lied „Deutscher Sonntag“ von Franz-Josef Degenhardt:
„Da hockt die ganze Stadt und mampft,
dass Bratenschweiß aus Fenstern dampf,
Durch die fette Stille dringen
Gaumenschnalzen, Schlüsselklingen,
Messer, die auf Knochen stoßen,
und das Blubbern dicker Soßen.
Hat nicht irgendwas geschrien?
Jetzt nicht aus dem Fenster sehen,
wo auf Hausvorgärtenmauern
ausgefranste Krähen lauern.
Was nur da geschrien hat?
Ich werd so entsetzlich satt.
Wenn Zigarrenwolken schweben,
aufgeblähte Nüstern beben,
aus Musiktruhn Donauwellen
plätschern, über Mägen quellen,
hat die Luft sich angestaut,
die ganze Stadt hockt und verdaut.
Woher kam der laute Knall?
Brach ein Flugzeug durch den Schall?
Oder ob mit´m Mal die Stadt
ihr Bäuerchen gelassen hat?
Die Luft riecht süß und säuerlich,
ich glaube, ich erbreche mich.“
Allerseits gesegnete Mahlzeit!
Meine Rede seit ’53:
Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral.
Total in der Tradition von Ochs und Esel.
Heilige Nacht, allerseits!