Ein vergessener Demokrat
Josef Fickler war eine der mutigsten Stimmen der badischen Demokratiebewegung. In der öffentlichen Erinnerung an die süddeutsche Demokratiebewegung spielt er kaum mehr eine Rolle. Und doch ist der Journalist Josef Fickler eine der bedeutendsten radikaldemokratischen Stimmen der Dekade zwischen 1837 und der gescheiterten Revolution von 1848/49.
Er kommt 1808 als Kind Tiroler Emigranten in Konstanz auf die Welt. Seine Eltern hatten ihre bayerisch-französisch besetzte Heimat verlassen. Josef kennt die Armut von Kindesbeinen an. Früh entwickelt er ein Gespür für die ungerechte Verteilung der materiellen Güter und Chancen auf der Welt. Ohne besondere Ausbildung schlägt er sich in Konstanz als Lagerverwalter und Makler durch. Als Vertreter der niedersten Steuerklasse wird er in den Bürgerausschuss gewählt, wo er sich mit dem politischen Establishment anlegt und die Interessen der kleinen Markthändler vertritt.
Im Frühjahr 1837 findet er zu seiner eigentlichen Bestimmung: Er übernimmt die Redaktion der seit einem Jahr in Konstanz erscheinenden, von einigen liberalen Unternehmern finanziell geförderten Zeitung „Seeblätter“. Nun steht ihm ein Organ zur Verfügung, in dem er die Benachteiligung und Notlage der armen Bevölkerungsschichten darstellen und Missstände öffentlich anklagen kann. Das Blatt erscheint in seinen besten Tagen zwar nur in einer Auflage von 700 Exemplaren, wird aber in Süddeutschland viel gelesen.
Unter dem Einfluss von Johann Georg August Wirt und Georg Herwegh macht sich Fickler die verfassungsrechtlichen Forderungen der Zeit zu Eigen: Er plädiert für Pressefreiheit, eine Reform des Justizwesens, für das allgemeine Wahlrecht und immer wieder für die Republik. Sein journalistisches Meisterfach ist der Leitartikel: Anschaulich, oft derb bis zur Beleidigung, dabei humorvoll und klug in der Analyse sind seine Artikel Glanzstücke der politischen Publizistik dieser Dekade vor der Revolution. Als einer der ersten Publizisten Badens setzt er sich auch entschieden für die politische Gleichstellung der Juden ein.
Im April 1848 wird er auf dem Karlsruher Bahnhof von dem gemäßigten Abgeordneten Karl Mathy verhaftet. Fickler erschien der Regierung als einer der gefährlichsten Männer der demokratischen Bewegung. Man lässt ihn elf Monate in Untersuchungshaft schmoren. Im Mai 1849 wird er umgehend in die provisorische Regierung und in die Verfassunggebende Versammlung gewählt. Doch während einer diplomatischen Mission im Nachbarstaat Württemberg wird er in Stuttgart verhaftet und im berüchtigten Gefängnis auf der Festung Hohenasperg eingekerkert.
Nach dem Scheitern der Revolution verurteilt das Hofgericht Bruchsal Fickler zu neun Jahren Zuchthaus und Einzug seines Vermögens. Da hatten sich die Württemberger schon liberal und geschäftstüchtig gezeigt, den gefangenen Aufrührer nicht ausgeliefert, sondern gegen die enorme Summe von 1000 Gulden Kaution in die Schweiz abgeschoben.
Ruhelos reist der mittellos gewordene Fickler von der Schweiz nach Frankreich, wieder zurück und schließlich über London im Januar 1850 nach New York. Gemeinsam mit dem begabten Hauptorganisator der zweiten badischen Erhebung, Amand Goegg, sucht Fickler dort Anschluss an Gruppierungen anderer Achtundvierziger, die bereits früher emigriert waren. Haupttreffpunkte der deutschen Emigranten waren damals das Hotel „Constanz“ und das benachbarte Hotel und Gasthaus „Shakespeare“ an der Ecke Duanestreet/Williamstreet. Hier tagen deutsche Turn- und Sozialistenvereine, treffen sich die deutschen Intellektuellen zu Vorträgen, Diskussionen und Musik.
Ficklers Hoffnungen, im Kreis der alten Kampfgefährten weiter für die Veränderung der Verhältnisse in Deutschland agitieren zu können, erfüllt sich nicht. Zu zerstritten sind die verschiedenen Fraktionen der ehemaligen Achtundvierziger bereits.
In dieser Situation wird aus dem politischen Publizisten Josef Fickler ein Gastwirt: Zwei Jahre nach seiner Ankunft übernimmt er in Manhattan die Bierwirtschaft „Zum Rosengarten“, später das Emigrantenhotel „Shakespeare“. Nach einigen Jahren hinter dem Tresen hat er sich verändert: „Schwerlich wird Jemand in dieser behäbigen Persönlichkeit den ehemaligen Tribun des Seekreises wieder erkennen“, schreibt 1858 der Schriftsteller Arnold Ruge. Als Journalist tritt der früher so streitbare Publizist nicht mehr in Erscheinung. Allerdings engagiert er sich mit dem Achtundvierziger und späteren Verleger der „New Yorker Staatszeitung“, Oswald Ottendorfer, im Wahljahr 1856 für die Demokratische Partei.
Nach dem völligen Zerwürfnis mit seinen einstigen Mitstreitern gerät er während des amerikanischen Bürgerkriegs politisch in das Lager der Konföderierten und wird als angeblicher Freund der sklavenhaltenden Südstaaten diffamiert. Schwer magenkrank kehrt Josef Fickler im Zuge der gegen die „Hochverräter“ der Revolution gnädig erlassenen Amnestie im Jahr 1865 nach Konstanz zurück. Doch der alte Demokrat ist niemandem willkommen, das monarchisch und liberal gestimmte Bürgertum will nicht an die Jugendsünden der Revolution erinnert werden. Nach wenigen Wochen stirbt Fickler in seiner Heimatstadt arm und verbittert. An diese mutige publizistische Stimme der Demokratie erinnern in Konstanz bis heute kein Grabstein, keine Straße und kein Denkmal.
Tobias Engelsing (Bild: Rosgartenmuseum Konstanz)
Die von der gemeinderätlichen Straßenbenennungskommission erzielten „Ergebnisse zur Überprüfung der bestehenden Straßenbenennungen in Konstanz anhand der städtischen Richtlinien“ harren immer noch ihrer Veröffentlichung. So kann man es jedenfalls im Arbeitsprogramm der Konstanzer Stadtverwaltung für den Zeitraum September bis Dezember 2018 nachlesen. Auch die Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen sollten bald Thema im Gemeinderat sein, zumal die Sitzung der Straßenbenennungskommission im September nichtöffentlich stattfand.
Diese späte Würdigung des Mannes und seines unermüdlichen Engagement finde ich sehr schön. Warum nicht eine Straße nach ihm benennen? Die Themen von damals sind die von heute.