Thurgauer Windenergiepläne: Grüne rügen Landrat
Insgesamt sechs Standorte für Windkraftanlagen hat der Kanton Thurgau in seinem im November 2018 offengelegten „Richtplan – Windenergie“ vorgeschlagen. Damit möchte der Kanton zur Umsetzung der Schweizer „Energiestrategie 2050“ mit dem Ziel des stärkeren Ausbaus der dezentralen Stromproduktion aus erneuerbaren Energien und des Ausstiegs aus Atomenergie beitragen. Zwei davon sind unterseenahe Standorte und erregen somit auch deutsche Gemüter.
Der eine ist der Höhenrücken „Salen-Reutenen“ (700 Meter ü. M.) oberhalb von Steckborn und ca. 5 Kilometer vom deutschen Unterseeufer gelegen, der zweite der „Ottenberg“ oberhalb von Kreuzlingen. Salen-Reutenen soll laut Richtplanänderung als „festgesetzt“ (d.h. projektspezifische Machbarkeitsstudien sind abgeschlossen) kategorisiert werden, der Standort Ottenberg ist als „Zwischenergebnis“ vorgeschlagen (sprich: Machbarkeitsstudien stehen noch aus). Ein drittes geplantes Windenergie-Gebiet namens „Cholfirst“ befindet sich südlich von Büsingen und ist nur zur „Vororientierung“ im Richtplan aufgeführt.
Die Windräder aller drei vorgeschlagenen Gebiete würden auch vom deutschen Bodensee- und Rheinufer aus sichtbar sein: Salen-Reutenen mit geplanten sieben Windrädern vom gesamten Unterseeufer, Ottenberg von Konstanz und Cholfirst von Gailingen aus. Stellungnahmen zu dem Prüf- und Genehmigungsverfahren, dessen Frist am 24. Januar endete, konnten beim Kanton Thurgau auch von deutscher Seite eingereicht werden (juristische Wirkung werden sie aber nicht haben).
Für Überraschung sorgte die am 17. Januar abgegebene Stellungnahme des Landratsamts Konstanz. Nicht nur ihr Inhalt – nämlich eine kompromisslose Ablehnung des Standortes Salen-Reutenen, begründet fast ausschließlich mit dem Argument der Sichtbarkeit der Windräder und somit der Beeinträchtigung des schönen Landschaftsbildes und einer befürchteten Gefährdung des Status „UNESCO-Weltkulturerbe“ der Insel Reichenau – lässt zumindest all jene, die Klimawandel und Erderwärmung nicht als Fake News betrachten, erstaunen. Hinzu kommt, dass diese Stellungnahme allein von den Fachbehörden des Landratsamtes erstellt wurde. Ein Meinungsbild des von den BürgerInnen gewählten Gremiums des Kreistages einzuholen oder diesen zumindest über die verfasste Stellungnahme zu informieren, schien dem bald aus dem Amt scheidenden Landrat Frank Hämmerle nicht wichtig zu sein. Sehr zur Missbilligung der Kreistagsfraktion der Grünen, die ihm umgehend mit einem offenen Brief antworteten.
Offener Brief der Grünen im Kreistag
Sehr geehrter Herr Landrat Hämmerle, sehr geehrter Herr Buser,
mit Missbilligung haben wir die Stellungnahme des Landkreises Konstanzes zur
Änderung des kantonalen Richtplans Thurgau – Windenergie / Anhörung vom 20.11.2018
im Rahmen der Verfahrensbeteiligung zur Kenntnis genommen. Eine Stellungnahme, von deren Existenz wir nur indirekt erfahren und die wir von Ihnen auch erst nach Aufforderung erhalten haben.
Vermutlich ist es formal korrekt, wenn eine Stellungnahme wie in diesem Fall aus Sicht der Fachbehörden erstellt wird. Wir hätten es aber seitens der GRÜNEN-Fraktion im Kreistag begrüßt, nein, für notwendig gehalten, wenn in einer solch wichtigen Angelegenheit auch das Meinungsbild des Kreisrats eingeholt und abgebildet worden wäre. Die vom Landratsamt / von den einzelnen Behörden entwickelte und leider schon abgegebene Stellungnahme kann keineswegs als objektive, sich an faktischen/empirischen und legal belegbaren Sachverhalten orientierende Äußerung bezeichnet werden. Es ist vielmehr eine politische Meinung, eine klare Ablehnung der Nutzung von Windenergie im Bodenseeraum.
Sehr geehrter Herr Landrat, mit der von Ihnen für das Landratsamt autorisierten Stellungnahme suggerieren Sie indirekt, dass dies die Stellungnahme des Landkreises insgesamt sei und damit auch seines politischen Organs, des Kreistags. Zumindest ist es kaum mehr möglich, dass sich das Gremium in Gänze oder auch zu einzelnen Aspekten anders positioniert.
Sehr geehrte Herren, Sie haben diese detailliert entwickelte Ablehnung für jegliche Windkraftnutzung bei unseren Schweizer Nachbarn an einem Tag mitgeteilt, an dem in ganz Europa, in Deutschland und auch in Konstanz Zehntausende von Schülern gegen die Untätigkeit der Politiker angesichts des Klimawandels protestieren. Die Schüler demonstrieren zu Recht und mit Grund. Die verantwortlichen Politiker tun wenig bis nichts – und manchmal noch weniger als das –, gerade auch in jenen Handlungsfeldern, die jeden Tag gestaltet werden könnten.
Unsere Gesellschaft hat überwiegend kein Verständnis mehr für ein derart unverantwortliches politisches Handeln.
Vergangene Woche hat das Weltwirtschaftsforum seinen aktuellen Risikobericht vorgestellt. Er zeichnet ein dramatisches Bild der Klimawandelfolgen für die Umwelt, für uns Menschen und auch für die Wirtschaft: „Nur ein sofortiges und radikales Umdenken bei unseren Ressourcennutzungen und hier vor allem bei der Energiebereitstellung könnte vielleicht noch das Schlimmste verhindern“, das ist die klare Aussage der Wirtschaftsfachleute.
Und wie sieht es hier im Landkreis Konstanz aus?
Wir GRÜNE mahnen seit vielen Jahren, dass auch ein Landkreis, seine politischen Gremien und seine politische Führung in diesen Themen Verantwortung und Gestaltungskräfte hat. Mit lediglich 6 Prozent Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch gehört der Landkreis Konstanz nicht nur in Baden-Württemberg, sondern bundesweit zu den Schlusslichtern bei der Gestaltung der Energiewende. Mit Neid schauen wir auf viele Landkreise, die hier beispielhafte Konzepte entwickelt haben. Solche innovativen Konzepte gibt es im Landkreis Konstanz weder bei Effizienz und Suffizienz noch bei einer strategischen Förderung der erneuerbaren Energiegewinnung. Bei letzterem besteht vielmehr eine weitgehende Ablehnungskultur, in die, wie es Ihre Stellungnahme zeigt, viel Arbeit investiert wird.
Auch für uns sind die Kulturlandschaften der Bodenseeregion ein hohes Gut, aber auf unseren nach wie vor ungebremsten Energiehunger müssen wir auch mit vorhandenen und nachhaltig nutzbaren regionalen Energiequellen antworten. Den sinnvollen Ausbau der Windenergie in der Schweiz allein mit der Begründung der negativen Auswirkungen auf das harmonische Landschaftsbild der Bodenseeregion zu begründen, halten wir fast schon für Zynismus, wenn wir beispielsweise an den kaum diskutierten Flächen- und Ressourcenverbrauch in anderen Sektoren denken. Windenergieanlagen können, wenn es zukünftig technisch noch bessere und noch um-weltverträglichere alternative Energiesysteme geben sollte, fast über Nacht wieder entfernt werden. Die dramatischen Folgen des Klimawandels hingegen werden unsere Region mit Sicherheit wesentlich gravierender und unumkehrbar verändern.
Sehr geehrte Herren, die Fraktion der GRÜNEN im Kreistag begrüßt ausdrücklich die Initiative des Kantons Thurgau, ein Prüf- und Genehmigungsverfahren für eine sinnvolle Nutzung der Windenergiepotentiale auf dem Thurgauer Seerücken einzuleiten. Für uns ist das verantwortungsvolle Regionalpolitik, die wir unterstützen und die wir uns auch für den Landkreis Konstanz wünschen würden.
Mit freundlichem Gruß, im Namen der Kreistagsfraktion der Grünen
Dr. Anne Overlack
Wie stellen sich Kommunen am Untersee zu den Plänen?
Ablehnung kommt auch von Reichenauer und Allensbacher Seite. Der Gemeinderat Moos fällte einstimmig den Beschluss, keine Stellungnahme gegen den Bau der Windräder abzugeben, auch Öhningen gab keine ab. In Gaienhofen werden die Thurgauer Pläne als unwirtschaftlich kritisiert. – Eine Stellungnahme ausdrücklich für die Thurgauer Windenergie haben dagegen die Radolfzeller Grünen eingereicht.
Die Stellungnahme des Landratsamt Konstanz zur Richtplanänderung ist inzwischen hier zu lesen. Zum zehn Kilometer von Konstanz entfernt liegenden Ottenberg moniert das Landratsamt zwar keine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes, weist aber auf eine Gefahr für Zugvögel und Fledermäuse hin. Und auch der eventuelle Standort Cholfirst wird mit der Begründung von erheblichen negativen Auswirkungen für Gailingen und Büsingen abgelehnt.
Gegenwind auch aus der Schweiz
Die Stiftung „Landschaftsschutz Schweiz“ sorgt sich ebenfalls um den schönen Anblick der Uferlandschaft längs des Bodensees und Rheins. Und im Gebiet Salen-Reutenen hat sich eine Bürgerinitiative gegen die Windräder formiert. Der Grosse Rat des Kantons Thurgau wird sich mit der vorgeschlagenen Änderung des Richtplans voraussichtlich Mitte dieses Jahres befassen und über die Einleitung der notwendigen Prüf- und Genehmigungsverfahren entscheiden. Ob die Windparks je gebaut werden, hängt danach letztlich von der Akzeptanz der Thurgauer Bürgerinnen und Bürger in den jeweiligen Standortgemeinden ab.
Und weiter so?
Die Diskussion um die Nutzung Windenergie wird auch hier weitergehen – in einem Landkreis, der bislang gerade mal sechs Prozent Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch hat und wo rein optisch-ästhetische Empfindlichkeiten zu den gewichtigsten Ausschlusskriterien zählen. In einem Land, das in Sachen Energiewende längst kein Vorbild mehr ist, mit einer Kohlekommission, die wochenlang herum eierte und nun das Jahr 2038 als endgültigen Ausstieg aus der Kohle empfiehlt – vielleicht aber schon 2035 und vielleicht werden die Reste des Hambacher Forstes nun doch nicht abgeholzt – vielleicht. Je nachdem, wann welche Politiker wie entscheiden … In einer Welt, in der die Gletscher weiter abschmelzen und in der in immer mehr Ländern viele Zehntausende Schülerinnen und Schüler freitags Unterrichtsstunden „schwänzen“, um für ihre Zukunft zu kämpfen.
Uta Preimesser