„Pattex“ in der Schweizer Politik

Viele Deutsche halten die Schweiz nicht nur für einen Hort der Demokratie – sie halten sie auch für einen absolut seriösen Gegenentwurf zu korrupten Bananenrepubliken. Schließlich belegt die Schweiz im Korruptionsindex von Transparancy International Platz 3, während Deutschland auf Platz 12 steht. Wenig beeindruckt davon ist wohl der Genfer FDP-Regierungsrat Pierre Maudet.

Ja, Genf liegt nicht am Bodensee. Aber der Blick an den Genfer See könnte gerade für politikgebeutelte Seelen in der hiesigen Region beruhigend und erheiternd sein. Dort klebt derzeit der FDP-Politstar Pierre Maudet so an seinem Sitz, dass man vermuten könnte, er müsse „Pattex“ am Hosenboden haben. Wobei – in der Schweiz wäre das „Araldit“, „Pattex“ kennt hier kaum jemand.

Maudet, Jahrgang 1978, brauchte nur 18 Jahre vom ersten Sitz im Stadtparlament 1999 bis zum Fast-Mitglied der Bundesregierung 2017. Seit 2012 ist er Minister (Regierungsrat) für Wirtschaft und Sicherheit in der Genfer Kantonsregierung. 2017 – als er als Bundesrat kandidierte und unterlag – war aber noch nicht bekannt, was seit Herbst 2018 die ganze Schweiz weiß: Der Mann hat diverse Ermittlungsverfahren am Hals und gelogen, dass sich die Balken bogen. Hinsichtlich der laufenden Verfahren gilt natürlich bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung.

Die Reise nach Abu Dhabi

Unbestritten – und inzwischen auch durch seine eigenen Aussagen belegt – ist, dass sich der Herr Minister samt Familie und seinem Stabschef 2015 vom Kronprinzen von Abu Dhabi eine Luxusreise zum Formel 1-Rennen in der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate bezahlen ließ. Wert: 50.000 Franken. Unbestritten ist auch, dass sich Maudet in Abu Dhabi mit Vertretern der dortigen Regierung traf. Erst behauptete Maudet, die Reise sei völlig privat gewesen, ein Freund habe sie bezahlt. Dann wollte er zusammen mit allen BegleiterInnen in einem einzigen Doppelzimmer im Luxushotel übernachtet haben – den Emirats-Mächtigen sei er nur „zufällig“ begegnet. Dann kam heraus, dass der Kronprinz der zahlende „Freund“, die Übernachtungen weitaus kommoder und die Treffen geplant gewesen waren.

Ein Steuersparmodell

Die Staatsanwaltschaft begann Ermittlungen wegen „Vorteilsnahme im Amt“, Maudets Immunität wurde aufgehoben. Im Zuge der Recherchen kam zutage, dass auch noch eine in Genf ansässige Hotelkette Maudets Wahlkämpfe und kürzlich seine Feier zum 40. Geburtstag teilweise beziehungsweise ganz finanziert hatten. Sie zahlte mehrere zehntausend Franken in zwei parteinahe Kassen, die Maudet verwaltet. Daraus zahlte der dann auch seinen Parteibeitrag von jährlich rund 10.000 Franken. Weil er aber in seiner Steuererklärung so tat, als habe er die Beiträge selbst berappt, hat er nun auch noch ein Verfahren wegen des Verdachts auf Steuerbetrug am Hals.

Seine Regierungskollegen entzogen ihm einen Teil seiner Aufgaben. Als Sicherheitsdirektor ist er auch für Polizei und Staatsanwaltschaft zuständig. Eine vertrackte Situation angesichts der Tatsache, dass er die für sein Verfahren zuständigen Staatsanwälte wegen „Verrat von Amtsgeheimnissen“ anzeigen ließ, weil die angeblich seine Regierungskollegen über Vernehmungsdetails informiert hätten.

Kein Rücktritt und 90.000 Franken

Maudets Eskapaden bescherten seinen Parteikollegen im Rest der Schweiz so langsam Magengrimmen. 2019 wird das eidgenössische Parlament neu gewählt – da macht es sich schlecht, einen solchen Politiker in vorderster Front zu haben. So forderte die Schweizer FDP den Genfer Kollegen zum Rücktritt auf. Daraus wurde nichts. Seine Kantonalpartei sprach ihm das Vertrauen aus. Die Schweizer „Mutterpartei“ ist sauer und machtlos.

Maudet selbst vertritt die Meinung, dass nur er selbst darüber bestimme, ob und wenn Ja, wann er zurücktrete. Wenn er das erst nach Ende Juni tut, hat er Anrecht auf ein lebenslanges Ruhegehalt von jährlich gegen 90.000 Franken. Absetzen oder abwählen kann man ihn nach derzeitiger Rechtslage nicht.

Einer Schuld ist er sich sowieso nicht bewusst, folgt man seinen Ausführungen in den Medien. Deren Recherchen hatte er zwei Jahre lang wohl erfolgreich behindert. 2016 und 2017 hatten unterschiedliche Journalisten die Geschichte um Maudets Abu Dhabi-Reise druckfertig recherchiert, bevor er – nach seiner eigenen Stellungnahme dazu –, bei den Verlagen intervenierte. Beide Geschichten wurden nicht veröffentlicht.

Lieselotte Schiesser