FGL hat ihre KandidatInnen nominiert
Ganz ohne Überraschungen geht es bei der Freien Grünen Liste selten ab, und so war es auch am gestrigen Abend bei der Kür der KandidatInnen für die Gemeinderatswahlen im Mai. Am Ende landeten Nina Röckelein und Mohamed Badawi an der Spitze einer Liste, auf der sich 21 Frauen und 19 Männer für das Stadtparlament bewerben. Thematische Schwerpunkte an diesem Abend waren erzgrüne Themen wie der Klima- und Landschaftsschutz, die Verkehrspolitik und der Mangel an bezahlbaren Wohnungen.
Natürlich laufen die Vorbereitungen zur Kommunalwahl bei der FGL nicht anders als bei anderen Wählervereinigungen und Parteien auch. Bei den Nominierungsveranstaltungen stehen meist deutlich mehr als 50% der Anwesenden selbst als KandidatInnen auf der Liste, und so bestimmen letztlich vor allem Kandidierende über die KandidatInnenliste für die Wahl.
Die FGL hat sich ein strenges Regularium gegeben, das sicherstellen soll, dass mindestens die Hälfte der Plätze auf der ursprünglichen Vorschlagsliste von Frauen besetzt wird, und so stehen den Frauen die Plätze mit den ungeraden Nummern 1, 3, 5, … 39 zu, während die Plätze mit den geraden Nummern 2, 4, 6, … 40 ganz nach dem Willen der Abstimmenden an Männer oder Frauen gehen können. An der Spitze der Liste steht also automatisch eine Frau. Nicht ganz leicht zu begreifen, aber wirkungsvoll.
Knapp paritätisch
Das Ergebnis jedenfalls kann sich sehen lassen, denn die endgültige Liste der FGL ist immerhin knapp zur Hälfte mit Männern besetzt. Dies ist insofern bemerkenswert, als zum Beispiel die bürgerlichen Parteien gar nicht genug mögliche Kandidatinnen haben, um auch nur eine annähernd ausgeglichene Liste aufzustellen, selbst wenn sie das denn wollten.
Nachdem die Listenaufstellung der FGL im Jahr 2014 den Beteiligten als äußerst turbulente Nachtsitzung in Erinnerung geblieben ist, versuchte Peter Köhler bei der Eröffnung der Veranstaltung Dampf aus der Sache zu nehmen. Er betonte den demokratischen Charakter des etwas kniffligen Wahlverfahrens der FGL, das in der Tat erklärungsbedürftig ist. Gleichzeitig rief er dazu auf, die anstehenden Fragerunden nicht dazu zu nutzen, „dem Parteifeind einen mitzugeben“. Außerdem bat er darum, auf allzu radikale Wortbeiträge zu verzichten, denn schließlich sei die Presse im Saal. Schade eigentlich, dass sich die Anwesenden daran hielten, denn zumindest dem Unterzeichneten hätte es natürlich sehr gefallen, wenn eine jugendliche Hitzköpfin der alten Garde gehörig die Leviten gelesen hätte, weil sie sich weder gegen das Bofo gestemmt und auch beim Verkauf von Vincentius- und Siemens-Gelände an Immobilienspekulanten letztlich das asoziale Spiel der Verwaltung mitgespielt hat. So aber wurde es eine gänzlich gesittete Familienfeier – mit einigen Überraschungen.
Unverhofft
Die größte Überraschung war die bisher politisch noch nicht in Erscheinung getretene Nina Röckelein, die für einen aussichtslosen Platz in der zweiten Hälfte der Liste vorgesehen war. Sie erklärte, auf einen der vorderen Plätze zu wollen, die einen Einzug in den Gemeinderat wahrscheinlich(er) machen. Sie ist 1997 geboren, lebt in Wallhausen und studiert Politik und Informatik, deren enge Verbindung sie interessiert. Sie nannte als ein Beispiel für die Wechselwirkung beider Themenbereiche den Fahrradbeauftragten Gregor Gaffga: Der müsse sich zunehmend damit beschäftigen, per Mail Bürgeranfragen zu beantworten, so dass er immer weniger Zeit für seine eigentliche Arbeit, nämlich die Entwicklung des Konstanzer Fahrradnetzes, habe, und das sei ja nun anachronistisch. Außerdem zeigte sie sich von den Klimaveränderungen sehr betroffen. Bereits 1987, also zehn Jahre vor ihrer Geburt, habe der CO2-Ausstoß die insgesamt vom Klima noch zu verkraftende Menge erreicht, und es müsse im Interesse der jungen Menschen und der nachfolgenden Generationen sofort mit einer radikal neuen Klimapolitik begonnen werden.
Andere Schwerpunkte als sie setzte Mohamed Badawi. Er ist im Sudan aufgewachsen und lebt seit 1992 in Konstanz, hat hier promoviert und ist auch als Musiker und Dolmetscher tätig. Er will eine Brücke zwischen dem Orient und Deutschland schlagen und sich besonders den Problemen der Geflüchteten widmen.
Verkehr und Klima sind Herzensanliegen
Die Themen, die die weiteren BewerberInnen in ihren zweiminütigen Kurzvorstellungen am häufigsten nannten, waren Verkehrsprobleme und in diesem Zusammenhang vor allem der Ausbau der Fahrrad- und ÖPNV-Struktur sowie bessere Busverbindungen und -tarife. Auch die jüngsten SchülerInnenproteste in Sachen Klima haben bei vielen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, und es dürfte auch der Kürze der Zeit geschuldet sein, dass konkretere Stellungnahmen etwa zu Windrädern ausblieben. Eine bedenkenswerte Äußerung kam vom Physiker Markus Tittelbach, der auf eine kritische Anmerkung des nicht wieder kandidierenden Roland Wallisch zur E-Mobilität darauf verwies, dass aus seiner Sicht der Fehler darin liege, dass bei E-Mobilität alle nur an batteriegestützte Systeme dächten. Natürlich ist auch der Einsatz gegen Baumfällungen wie in der Pappelallee und auf dem Zoffingen-Gelände ein Kernthema grüner Politik, und Schulen und Vereine finden ihre UnterstützerInnen in den Reihen der Grünen, unter denen sich auffallend viele HandballerInnen tummeln.
Loyale Opposition
Eher am Rande hingegen wurden soziale Anliegen vertreten, so wurde die Situation der oft überlasteten Beschäftigten in der Verwaltung und in der Pflege kaum erwähnt, die Probleme der Obdachlosen und anderer ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen gehören ebenfalls nicht zu den Kernthemen der FGL, und Angriffe auf die zunehmend autokratische Herrschaft von Oberbürgermeister Uli Burchardt oder die Ereignisse im Amtsbereich von Bürgermeister Andreas Osner fehlten ganz.
Wer am Ende tatsächlich in den Gemeinderat einzieht, bestimmen die WählerInnen im Mai. Die FGL hofft angesichts des derzeitigen grünen Höhenfluges auf ein paar Ratssitze mehr (derzeit sind es zehn). Es ist damit zu rechnen, dass etwa Traditionsstadtrat Peter Müller-Neff, der auf Platz 26 landete, von den WählerInnen wieder auf einen der vorderen Plätze gehievt wird und erneut in den Gemeinderat einzieht.
Nach dem Eindruck dieses Abends jedenfalls bleibt die FGL, was sie auch in der letzten Wahlperiode war: Ihrer Majestät des Oberbürgermeisters höchst loyale Opposition.
O. Pugliese (Foto: Stephan Kühnle)
Das Bild zeigt von links nach rechts (in Klammern der Listenplatz, ein Stern kennzeichnet derzeitige Gemeinderatsmitglieder): Anne Mühlhäußer (5*), Normen Küttner (6*), Gisela Kusche (3*), Nina Röckelein (1), Till Seiler (10*), Dr. Christiane Kreitmeier (4*), Dr. Mohamed Badawi (2), Soteria Fuchs (9), Dr. Dorothee Jacobs-Krahnen (7*), Marvin Pfister (8).
Es sind eben ihre Kernanliegen. Die es bei Wahlen zu bekräftigen gilt.
Auch – oder gerade – wenn einem dabei eine charismatische Spitzenfigur wie Kretschmann in den Rücken fällt. Die eigenen Themen stark machen statt verschreckt der AfD hinterherzulaufen.
Die soziale Gerechtigkeit vertreten andere besser. Und der letzte Satz von O. Pugliese von „Seiner Majestät des Oberbürgermeisters höchst loyaler Opposition“ sitzt wie angegossen. Das war schon unter Horst Frank so, und da war es auch nicht besser. Woran liegt es? Am Habitus, an der gouvernementalen Seele des Bildungsbürgertums?
Wer sich nicht intensiv mit den einzelnen KandidatInnen der FGL auseinandersetzt (und welcher Wähler will und kann das leisten?), gibt bei dieser Gruppierung seine Stimme der Katze im Sack. Denn für gewöhnlich stimmen im Gemeinderat die einen FGLer dafür, die anderen dagegen. Damit ist diese Gruppierung politisch schwächer und einflussloser, als sie es rein von ihrer Sitzzahl im Gemeinderat sein könnte. Dass mit Charlotte Biskup eine ehemals langjährige FGL-Stadträtin nun als persönliche Referentin „ihrer Majestät des Oberbürgermeisters“ amtet, sagt viel über das opportunistische Verhältnis der FGL-Funktionsträger zur herrschenden Obrigkeit.
Kleine Anmerkung zum Thema Vincentius- & Siemensgelände. Ich hatte bereits in der Vorstellungsrunde zum Thema Stadtentwicklung das Siemensareal genannt. Und bei der anschließenden Frage „Wiese oder Wohnen“ gab ich als Antwort, dass dies in Konstanz nicht das akute Problem sei, sondern dass wir uns vielmehr auf bereits bebaute Areale konzentrieren müssen und erwähnte als Negativbeispiele das Siemensareal und das ehemalige Vincentius- / Laubenhofgelände.
Leider, und da muss ich ihnen Recht geben, fand ich damit wenig Anklang.
Frau Erikli war nicht anwesend, es ging ja um die Liste für die Gemeinderatswahlen, die für sie als Landespolitikerin kaum von Bedeutung sein dürfte.
Anne Mühlhäußer verwies ausdrücklich auf ihre Aktivitäten in Sachen Mieter, aber, und dies zuzugegeben gebietet die Fairness, in den zweiminütigen Kurzbewerbungen der rund 30 anwesenden KandidatInnen blieb kaum Zeit für allzu detaillierte Ausführungen zu einzelnen Themen, und ich habe auch nicht jede einzelne Bewerbungsrede mitgeschrieben bzw. in Erinnerung behalten, es mag mir also eine vereinzelte zaghafte Äußerung zu Vonovia entgangen sein.
Mir ging es in meinem Text darum, die in vielen Äußerungen wiederkehrenden Themenschwerpunkte der grünen KandidatInnen herauszuarbeiten, und da wurde die Sorge vor einer weiteren Bebauung von Grünflächen weitaus häufiger und emotionaler thematisiert als die Sorgen der Mieter. Es gab in der Fragerunde sogar die – in dieser Schärfe sicher unglücklich formulierte – Frage an die NeukandidatInnen, ob sie sich im Zweifelsfall für Wiese oder Wohnungsbau entscheiden würden. Einige wiesen diese Frage als nicht beantwortbar zurück, einige suchten nach einer Kompromissformel, andere entschieden sich aber auch klar für die Wiese.
Nach meinem Eindruck gibt es im grünen Lager eine starke Strömung, die 1. aus Landschafts- und Klimaschutzgründen weiterhin vor allem auf Innenverdichtung setzt und 2. zwar pauschal bezahlbaren Wohnraum fordert – aber 3. nicht bereit war, gegen den Willen der Stadtspitze Flächen wie Vincentius- oder Siemens-Gelände durch die Stadt/Wobak ankaufen zu lassen, obwohl diese Flächen sich zu einer wirksamen Innenverdichtung mit bezahlbarem Wohnraum geeignet hätten.
Es verwundert einigermaßen, daß die Vonovia nicht erwähnt wird. Ist das dem Zeitdruck des Berichterstatters geschuldet? In den Nominierungsversammlungen der SPD wie auch der LLK hat das Thema eine Rolle gespielt. War Eriklis Auftritt eine Parodie auf soziales Engagement oder sattsam gewohntes Strohfeuer, um Aufmerksamkeit zu erzeugen?
Daß das Thema auch ernsthafter angegangen werden kann, zeigt sich hier:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/wohnen-in-berlin-volksentscheid-will-immobilienkonzerne-enteignen/23244502.html
Zweifellos werden die Initiatoren des Begehrens von den bürgerlichen Medien verhackstückt und ihre Absichten mit dazu. Zudem werden die Gerichte der Marx’schen Analyse vermutlich mehr als gerecht werden. Schließlich darf Mensch gespannt sein, was an Kosten entsteht durch eine tatsächliche Enteignung. Siehe die Fragestellung „Wessen Recht ist das Recht?“.
Fakt aber ist und bleibt, daß ein solcher Versuch mehr wert ist als ein Blender-Frühstück mit zwielichtigen Gestalten.