Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig

Wolfgang Borcherts Heimkehrerdrama „Draußen vor der Tür“, zu sehen aktuell im Konstanzer Stadttheater, ist eine klassische Antikriegserzählung. Die Geschichte des heimgekehrten Soldaten, der – selbst verändert – mit seiner veränderten (?) Umgebung nicht mehr klarkommt. Man kennt das aus Filmen wie „The Messenger“, „Brothers“ oder „Die Welt sehen“, wo Soldaten ihre Traumata mit nach Hause bringen und sich mit dem stetigen Konflikt zwischen Erinnerung und Realität konfrontiert sehen.

Auch Beckmann, der Mann ohne Vornamen, hat seine Albträume aus Stalingrad mitgebracht und erfährt zuhause angekommen nur weitere Traumata: Die Frau hat einen neuen Mann, die Eltern leben nicht mehr und Arbeit gibt es für ihn auch keine. Seine Umgebung behandelt ihn wie eine Sache, nennt ihn „einfach nur Beckmann, wie Tisch Tisch heißt.“

Er steht verzweifelt mit seinem Hinkebein draußen vor der Tür – und zwar ständig; authentisch apathisch und ausdauernd verkörpert durch Nikolai Gemel. Vor der Tür zum Tod, vor der Tür zum echten Leben – niemand lässt ihn ein. Eigentlich will er seinem Leben in der Elbe ein Ende setzen, doch sogar die Elbe will ihn nicht. Der Andere (Chor: Katrin Huke, Johanna Link, Peter Cieslinski, Jonas Pätzold, Tomasz Robak, Harald Schröpfer) versucht Beckmann am Leben zu halten, ihm gut zuzureden. Er möchte ihn davon überzeugen, dass es sie noch gibt, die Menschen, die ein Herz haben. Doch Beckmanns Versuche, diese zu finden, scheitern kläglich.

Beckmann ist zwar die Hauptfigur des Stücks, aber kein Akteur. Er ist ein Getriebener, dessen Handeln von seinen Ängsten und seinem letzten Funken Lebenswillen gesteuert wird, und der – nach wie vor – tut, was man ihm sagt. Er geht zum Offizier, weil der Andere ihn davon überzeugt. Der Offizier, der durch die betroffene Darbietung des zynischen Textes durch Harald Schröpfer eine zweite empfindsamere Charakterebene erhält, rät ihm zum Zirkus zu gehen. Die Menschen schubsen ihn – das Überbleibsel des Krieges, von dem keiner mehr was wissen will – hin und her wie eine heiße Kartoffel. Dabei vermischen sich die Personen um den Protagonisten mit dem Chor; sie verlieren dadurch ihre Menschlichkeit. Mehr als einmal läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Gleichzeitig stellt die Inszenierung dadurch den messerscharfen Text in den Vordergrund.

Dazwischen

Beckmann befindet sich von Anfang an zwischen Krieg und Frieden, zwischen Leben und Tod. Unterstrichen wird dieser ‚Schwebezustand‘ durch das einfallsreiche Bühnenbild (Simone Manthey), eine mobile Plexiglas-Wand, die den Heimkehrer zunehmend an den Rand der Bühne, an den Rand des Wahnsinns drängt. Schwarze Kübel auf der Bühne dienen zugleich als Fundus für allerlei wandelbare Gegenstände und als schnell veränderte Kulisse – mal als Podest, mal als Mauer. Der Wahnsinn des Krieges ist Beckmanns ständiger Begleiter in Form seiner „Gasmaskenbrille“. Verschiedene Zivilisten fordern ihn auf, sie abzusetzen. Er tut es nicht (freiwillig). Seine Brille ist Sinnbild des Krieges, der Beckmann äußerlich wie innerlich von Kopf – zerzauste Haare – bis Fuß – verdreckte Stiefel – (Kostüm: Simone Manthey) anhaftet. Der Soldat, der sich selbst nicht als solchen bezeichnet, denn er war es „nur 6 Jahre“, ist der personalisierte Krieg, der bei der Masse, die bereits wieder in ihren alltäglichen Trott zurückfallen will, nach drei Jahren vor der Haustür steht. Alle Personen, denen er begegnet, finden ihn abstoßend und niemand möchte etwas mit ihm zu tun haben. Bis auf das Mädchen (sehnsuchtsvoll einfühlsam: Johanna Link), das ihn zwar auch für ein „Gespenst aus dem Krieg für den Frieden provisorisch repariert“ hält, aber seine „trostlos traurigen Augen“ liebt. Aber auch sie stopft mit Beckmann nur ein eigenes Loch: Auch ihr Mann ist im Krieg geblieben.

Die Verantwortung, die keiner haben will

Als Beckmann vor dem Offizier steht, der wie viele Nazigrößen bereits in sein Upperclass-Dasein zurückgekehrt ist, lacht dieser ihn aus. Beckmann möchte ihm doch nur „die Verantwortung zurückgeben“. Die Verantwortung für elf Menschen, die er auf Befehl des Obersts an der Front übernommen hat. Drei davon sind tot. Der Oberst will sie nicht mehr wiederhaben. Verantwortung sei ja nur eine hohle Phrase. Die Offiziersfamilie trägt reinweiße Kleidung – sie haben sich die Hände im Krieg nicht schmutzig gemacht, das Blut (rote Accessoires) haftet ihnen dennoch an. Der detaillierten Recherche des Dramaturgen Eivind Haugland ist zu entnehmen, dass es bei der Konstanzer Erstaufführung des Stücks im Jahr 1956 beim Anblick des Stücks einigen Zuschauern zu weit ging. Darunter dem ehemaligen Regiments-Kommandeur Gies, der den damaligen Oberbürgermeister und strammen Nazi Franz Knapp (noch heute ist in Konstanz eine Fußgängerpassage nach ihm benannt, heute noch wird Knapp als Ehrenbürger geführt) so weit brachte, dem Intendanten Kreibig nahezulegen, das Stück vom Spielplan zu nehmen. „Um die Stadt Konstanz nicht der Lächerlichkeit auszusetzen“, verwehrte sich Kreibig dessen jedoch erfolgreich. Sein Credo: „[…] einen Teil unseres Publikums einmal zum Nachdenken anzuregen und zu zwingen, und wenn nötig auch zu schockieren“. Ein Schelm, wer heute Parallelen ziehen möchte.

Großes Kino

Ob das Stück heute noch schockiert? Mag sein. Unter den ZuschauerInnen waren viele Angehörige der Nachkriegsgeneration. Was Mareike Mikats Inszenierung definitiv gelingt, ist, das Publikum zu berühren. Emotionen werden durch ein eindrucksvolles, ständig im Wandel befindliches Bühnenbild, Soundeffekte und Requisiten, mit denen die Darsteller eifrig arbeiten, sowie die schauspielerische Leistung des Ensembles gezielt hervorgerufen. Ich war selbst überrascht, was das Ausstreuen einiger schwarzer Federn über einer Person, in mir bewirken kann. Und das ist doch die Zielsetzung der Antikriegsgeschichten – ob im Buch, im Theater oder im Film – Empathie zu wecken und die Menschen daran zu erinnern, dass sie alle ein Herz haben. Im Kino wäre ich noch bis zum Ende des Abspanns sitzen geblieben.

F. Spanner (Foto: Ilja Mess, Stadttheater Konstanz)


Weitere Spielermine: 6.2., 8.2., 9.2., 10.2., 27.2., 1.3.