„… weil Ihr uns die Zukunft klaut“

Am vergangenen Freitag zogen fast 600 SchülerInnen aus dem Landkreis (und darüber hinaus) durch die Konstanzer Innenstadt. Sie protestierten lautstark gegen die politisch Verantwortlichen, die viel zu zögerlich auf die Klimaerhitzung reagieren. Gegen die LobbystInnen, die sich zum Schaden aller in der Kohlekommission durchgesetzt haben. Und gegen einen verschwenderischen Lebenswandel, der den Planeten ruiniert.

Wenn die PolitikerInnen genauso schnell, genauso entschlossen, genauso zukunftsorientiert handeln würden wie die jungen DemonstrantInnen bei ihrer #FridaysForFuture-Aktion am früheren Nachmittag des vergangenen Freitags: Es wäre vieles anders. Und besser. In weniger als einer Stunde hatten die Jugendlichen ihren Protest hinter sich gebracht: Begrüßung auf der Markstätte, danach ein Zug auf dem direktesten Weg zum Münsterplatz, abschließend eine kurze Kundgebung mit klaren, eindeutigen Ansagen: So geht es nicht weiter!

Sie skandierten „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr unsre Zukunft klaut!“ und führten viele selbstgeschriebene Plakate mit. „Schluss mit dem Überfluss“, There is no planet B“, „Schulstreik für das Klima“ stand auf ihnen. Oder: „Wir haben nur eine Erde“, „Zukunft statt Braunkohle“, „Stoppt die Regenwaldabholzung“. Manche Poster wandten sich direkt an die Verkehrspolitiker („Gas geben beim Klimaschutz, Tempo runter auf 130“, „Scheuer: Tempolimit ist kein Ungeheuer“), andere richteten sich an die Mächtigen in Industrie und Politik: „Wir lassen nicht zu, dass Ihr über unsere Zukunft entscheidet“. Und erinnerten sie an die eigene Vergänglichkeit: „2038 – lebt Ihr da noch?“

Und dann bejubelten die Jugendlichen die Reden, die vor dem Münsterportal gehalten wurden. Hier ist eine davon:


Wer verstößt hier gegen Regeln?

Mein Name ist Franziska Flegel, ich bin 28 Jahre alt, gerade in Elternzeit und ich möchte euch sagen, wie toll ich es finde, dass so viele von euch heute gekommen sind. Wow!

Soweit ich weiß, haben die meisten von euch heute nicht eine einzige Stunde Unterricht verpasst und damit habt ihr endgültig bewiesen, dass es hier nicht absolut gar nicht ums Schwänzen geht!

Trotzdem möchte ich hier gerne mal den forschungs- und bildungspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Albert Rupprecht (CSU) zitieren, der sagte, es sei vollkommen inakzeptabel, wenn Jugendliche die Schule schwänzen und gegen Gesetze und Regeln verstoßen, um eigene Vorstellungen durchzusetzen. Entschuldigen Sie bitte, Herr Rupprecht. Aber wie sieht das denn aus, mit dem gegen Gesetze verstoßen und Regeln einhalten, wenn es um internationale Abkommen wie Paris 2015 geht? Wer verstößt denn hier gegen die Regeln?

Wir demonstrieren hier nicht für unsere eigenen Vorstellungen, sondern dafür, dass ein rechtlich bindendes Abkommen eingehalten wird.

Dieses Abkommen besagt, dass wir unser Möglichstes tun werden, um die globale Erwärmung auf weit unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, am besten aber auf 1,5 Grad Celsius. Das ist ein Maß, bei dem wir noch halbwegs abschätzen können, was auf uns zukommt. Jedes Zehntel Grad mehr bedeutet mehr hungernde Menschen, mehr Flüchtlinge, mehr soziale Ungerechtigkeit und mehr aussterbende Arten auf unserem Planeten!

Dank vieler Experten wissen wir in Deutschland, was wir für dieses Ziel tun müssen: Möglichst sofort sechs Gigawatt (GW) Braunkohle stilllegen, zusätzlich zu den bereits beschlossenen Stilllegungen; bis nächstes Jahr alle verbleibenden Braunkohlekraftwerke, die älter als zwanzig Jahre sind, auf 6000 Volllaststunden drosseln und schließlich alle Kohlekraftwerke bis 2030 schließen!

Das ist ein verdammt enger Zeitplan, der uns zu sofortigem Handeln zwingt!

Um mit den verschiedenen Interessenverbänden einen Kompromiss auszuhandeln, hatte die Regierung dafür extra die „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ eingesetzt. Aber was hat diese Kommission letzten Samstag in ihrem Abschlussbericht für Empfehlungen an die Bundesregierung vorgelegt?

Sieben GW sollen nicht sofort, sondern erst bis 2022 stillgelegt werden, bis dahin bräuchten wir aber mehr als Doppelte!

Nach 2022 gibt es gar keinen genauen Plan mehr, wie der Ausstieg vonstatten gehen soll, außer, dass der Ausstieg bis 2038, frühestens aber bis 2035 vollzogen sein soll. Das ist ganze acht Jahre zu spät!

Wenn die Politik das so umsetzt, dann werden wir die Begrenzung auf weit unter 2 Grad nicht schaffen und damit als eine der wohlhabendsten Industrienationen der Welt gegen das Pariser Klimaabkommen verstoßen. Wenn wir es nicht schaffen unsere Emissionen zu reduzieren, wer denn dann?

Was bedeutet das eigentlich, wenn wir das 1,5 Grad-Ziel oder sogar das 2 Grad-Ziel verfehlen? Es bedeutet, dass Männer, Frauen und Kinder verhungern werden, dass Familien all ihr Hab und Gut durch extreme Wetterereignisse verlieren werden. Das Welternährungsprogramm geht davon aus, dass die Zahl der Hungernden bis 2050 um 20 Prozent zusätzlich steigen wird. Liebe Politiker, soviel könnt ihr gar nicht zu Weihnachten spenden, um das wieder gut zu machen.

Wir werden ein großes Artensterben sehen, vergleichbar mit dem des Meteor-Einschlags vor 65 Millionen Jahren – wie steht es da um die Verantwortung für die Schöpfung, liebe christlich-demokratische und -soziale Parteien?

Wir werden sehen, wie ganze Regionen unbewohnbar werden! Experten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen gehen jetzt schon davon aus, dass der Klimawandel bis 2025 große Teile der momentan verfügbaren Ackerbauflächen unbrauchbar macht.

Liebe Politiker, habt ihr nicht letztens noch über Fluchtursachenbekämpfung gesprochen? Und versteht ihr es nicht: Der Klimawandel ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Wir stecken da in einer tiefen Krise und uns bleibt extrem wenig Zeit, um das Ruder noch rumzureißen!

Liebe Mitdemonstrierende, wärt ihr zufrieden, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass wir das 2-Grad-Ziel erreichen und all die schlimmen Konsequenzen begrenzt bleiben, zwei Drittel beträgt? Also wenn ihr eine 1 oder 2 würfelt, seid ihr raus, und sonst bleibt ihr im Spiel?

Schon allein um diese verdammt miese Wahrscheinlichkeit zu erreichen, dürfen wir bis 2050 noch höchstens 750 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen. Wenn man das runterrechnet, wie viel jede und jeder einzelne von uns jetzt noch jährlich ausstoßen darf, dann sind das noch 2,2 Tonnen. Wenn man davon abzieht, was es kostet, dass uns zum Beispiel regelmäßig der Müll weggefahren wird und dass Leute unser tägliches Zusammenleben regeln, dann bleibt noch circa eine lächerliche Tonne. Zum Vergleich: Ein Flug nach Mallorca hin und zurück kostet bereits die Hälfte davon.

Insgesamt verbrauchen wir in Deutschland gerade durchschnittlich zehn Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. Ich finde, das veranschaulicht sehr gut, wie dringend wir alle handeln müssen: Wir müssen unseren CO2-Ausstoß von zehn auf eine Tonne reduzieren. Das schaffen wir nur, wenn wir alle zusammen an einem Strang ziehen und wenn wir da als Gesellschaft zusammenhalten. Wir müssen ein WIR-Gefühl erzeugen, dass wir da alle mit drin hängen.

Und wir sollten uns mit all denen solidarisieren, deren Arbeitsplatz durch den kommenden Strukturwandel bedroht ist. Wenn ich persönlich Angst um meine Existenz habe, dann schaue ich nicht bis 2030 und erst recht nicht bis 2050. Es ist die Aufgabe der Politik, all denen, die davon betroffen sind, eine neue Perspektive zu geben. Wir müssen ganz klar machen: Es geht hier nicht um Klimaschützer gegen Kohlekumpel. Wir sitzen alle im gleichen Boot.

Ich habe gelesen, dass die Lausitz für den Wandel 60 Milliarden Euro von der Bundesregierung fordert. Zum Vergleich: Die Bankenrettung hat 68 Milliarden Euro gekostet. Mein erster Gedanke dazu war: Also wenn das das Preisschild ist, das an unserer Zukunft hängt, dann bitte nehmt mein Steuergeld dafür! Aber dann kam mir ein zweiter Gedanke: Moment mal, 60 Milliarden? Ich habe gelesen, dass von der Kohle zwischen 20.000 und 86.000 Arbeitsplätze abhängen. Sagen wir der Einfachheit halber mal 60.000. Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen: 60 Milliarden für 60.000 Arbeitsplätze – das sind eine Million pro Person! Und damit soll es nicht möglich sein, sofort aus der Kohle auszusteigen? Ja, wo geht denn das ganze Geld hin?

In den kommenden Jahren wird sich entscheiden, ob wir die 1,5 Grad schaffen oder nicht. Das ist verdammt wenig Zeit und wir können es uns nicht erlauben, mehr Zeit durch politischen Stillstand zu verschwenden.

Deswegen lasst uns den Druck auf die Politik aufrecht erhalten, lasst uns noch mehr Proteste organisieren! Und ganz wichtig: Lasst uns darüber reden, immer und überall. Ich möchte hier abschließen mit einem sinngemäßen Zitat von Greta aus Schweden: Wenn wir Menschen den Klimawandel verursachen und das so desaströse Auswirkungen auf unser aller Zukunft haben wird, dann würden wir doch über nichts anderes mehr reden, oder?

Redebeitrag: Franziska Flegel
Übriger Text und Fotos: Pit Wuhrer