Wochenzeitung Kontext: Berufung in Karlsruhe
An diesem Mittwoch steht die Wochenzeitung Kontext zum zweiten Mal vor Gericht gegen den Mitarbeiter zweier Landtagsabgeordneter der AfD. Nachdem das Landgericht Mannheim im vergangenen August der Argumentation der Gegenseite gefolgt war, hat die Kontext-Redaktion beim Oberlandesgericht in Karlsruhe Berufung eingelegt. Das Erfreuliche an der ansonsten bösen Geschichte: Die Redaktion bekommt viel Zuspruch.
In der letzten Ausgabe der Stuttgarter Wochenzeitung Kontext erschien ein Beitrag der KollegInnen, der sich an alle richtet, denen eine kritische Berichterstattung wichtig ist – und den wir daher auch auf seemoz veröffentlichen:
Im Mai 2018 haben wir einen Artikel über einen Mitarbeiter zweier AfD-Abgeordneter veröffentlicht und aus dessen menschenverachtenden und ekelerregenden Facebook-Chats zitiert. Um zu zeigen, was in den Köpfen mancher vor sich geht, die im Namen dieser Partei für Abgeordnete tätig sind, im Landtag, im Bundestag und in vielen Gemeinderäten.
Der Mann, über den wir geschrieben haben, ist nicht der einzige, der eine solche Weltsicht hat. In großen Recherchen haben auch die KollegInnen von „taz“ und „Zeit“ nachgewiesen, dass im Bundestag zahlreiche Mitarbeitende der AfD ein Gedankengut pflegen, das weit über einen Nationalkonservativismus hinausgeht. Die Presse, so meinen wir, hat die Aufgabe, darüber zu berichten.
Das haben wir getan. Wir sind der Meinung, dass es die ureigene Aufgabe der Medien ist, darüber zu informieren, dass in deutschen Parlamenten auch Faschisten sitzen. Wir haben den Namen des Mannes genannt, der Mitarbeiter zweier AfD-Abgeordneten im Stuttgarter Landtag ist. Denn wir sind überzeugt, dass die Öffentlichkeit das Recht hat zu erfahren, was und auch wer etwas gesagt hat. Gerade wenn die Beweislage – jedenfalls aus Kontext-Sicht – so erdrückend ist wie vorliegend. Nur so kann sich jeder eine Meinung bilden. Und das ist in einer Demokratie wichtiger denn je.
Im baden-württembergischen Landtag wurde auf unsere Berichterstattung hin eine neue und verschärfte Hausordnung erlassen. Wir von Kontext dagegen wurden von dem Mitarbeiter zweier AfD-Abgeordneter erst abgemahnt, dann verklagt, weil wir keine Unterlassungserklärung abgeben wollten, die uns untersagt, den Namen zu verwenden und über diesen Mann zu schreiben. Im August 2018 standen wir vor dem Landgericht in Mannheim.
Eine „lahme Geschichte“? Wir sind da anderer Meinung
Auch viele KollegInnen trieb unser Fall um. Und so waren die Besucherreihen im Mannheimer Gerichtssaal voll. Der Vorsitzende Richter Matthias Stojek war darüber erstaunt: Das sei doch eine „lahme Geschichte“, befand er. Wir sind da anderer Meinung. Was passiert hinter den Kulissen der AfD, wenn die Öffentlichkeit nicht hinschaut? Einer Partei, die mittlerweile Prüffall des Verfassungsschutzes ist? Das ist nicht lahm. Die Chatprotokolle, 10 Aktenordner ausgedruckte Seiten, seien von Dritten manipuliert worden, trug der Rechtsanwalt der Gegenseite vor. Die „rechtsradikalen Posts“ seien nicht von ihm, behauptete der Mann, den wir nicht mehr namentlich nennen dürfen, in einer Eidesstattlichen Erklärung nebulös. Das umfangreiche Material, das der Redaktion vorliegt, lässt nach mehrfacher intensiver Prüfung aus der Sicht von Kontext keinen Zweifel zu. Noch im Laufe der Verhandlung hat Kontext-Rechtsanwalt Markus Köhler daher Strafanzeige und Strafantrag gestellt, wegen falscher Eidesstattlicher Versicherung. Doch die Pressekammer gab der Argumentation der Gegenseite recht – mit der für ein Gericht bemerkenswerten Begründung, sie sei nicht in der Lage gewesen, das umfangreiche Beweismaterial von Kontext intensiv zu prüfen. Warum eigentlich nicht?
„Wegen sprachlosem Erstaunen nur so viel fürs Erste: Ich bin ganz auf der Seite der Redaktion“, schrieb uns der Beiratsvorsitzender des Kontext-Vereins Edzard Reuter. Und er war nicht der einzige, den das Mannheimer Urteil erstaunte. Viele KollegInnen haben über den Prozess und seinen Ausgang berichtet. Der SWR in mehreren Fernsehbeiträgen, die „taz“, der „Spiegel“, „neues deutschland“, die „Süddeutsche Zeitung“. Auch der „Deutschlandfunk“, der mittlerweile selbst einen Rechtsstreit ausficht, weil er besagten Mitarbeiter zweiter Landtagsabgeordneter der AfD verkürzt als „AfD-Mitarbeiter“ bezeichnet hat.
Auch deshalb ist dieser Streit von grundlegender Bedeutung: Weil die juristische Keule, die vor allem Rechtspopulisten immer häufiger schwingen, alle Medien betrifft. Abmahnungen und Klageandrohungen schüchtern ein, und das sollen sie auch. Damit Redaktionen heikle Themen nicht mehr aufgreifen, aus Angst vor teuren und zeitraubenden Auseinandersetzungen. Deshalb kämpfen wir diesen Kampf nicht nur für Kontext. Sondern für die Pressefreiheit in diesem Land und das Recht einer demokratischen Öffentlichkeit, informiert zu werden.
Und so wünscht uns Frank Werneke, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Ver.di, „Durchhaltevermögen, Kraft und Mut … für Ihre Auseinandersetzung“. Den Maulkorb für Kontext durch das Mannheimer Gericht nennt er „besorgniserregend, zumal das Gericht selber zugibt, diese Menge nicht ausreichend bewerten zu können. Dann darf es auch keine einstweilige Verfügung erlassen – und damit jene Kräfte stärken, die versuchen, die Presse mit Hilfe der Justiz einzuschüchtern und mundtot zu machen. Um Artikel 5 des Grundgesetzes in die für eine Demokratie so essentiell wichtige journalistische Arbeit umzusetzen, ist es unverzichtbar, diese Auseinandersetzung weiter zu führen.“
Unterstützung für Kontext aus Politik und Gesellschaft
Von Seiten der Politik haben wir ebenfalls Unterstützung bekommen: „Auch nach diesem Urteil ist für uns klar: Rassistische, nazistische und antisemitische Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten darf der Landtag nicht dulden. Wir werden die notwendigen Instrumente schaffen, solchen Leuten das Handwerk zu legen!“, schrieb uns Hans-Ulrich Rülke, der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion. Leni Breymaier, damals noch SPD-Landesvorsitzende, sagte: „Man muss erst mal auf die Idee kommen, die Zitierer der eigenen Texte anzuzeigen. Dass dem dann auch noch stattgegeben wird, überrascht.“ Gökay Sofuoğlu, Bundes- und Landesvorsitzender der Türkischen Gemeinde, schrieb uns: „Die Pressefreiheit ist eine der wichtigsten Pfeiler der Demokratie. Der Angriff auf investigativen Journalismus und auf die freie Berichterstattung ist gleichzeitig ein Angriff auf die Demokratie. Ich danke den Journalist*innen von Kontext, mutig über die rassistische Hetze eines Mitarbeiters von AfD-Landtagsabgeordneten berichtet zu haben. Für diese antirassistische Haltung haben sie meine uneingeschränkte Solidarität.“ Und die beiden Grünen-Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand äußerten sich zur Sache: „Demokratie braucht guten Journalismus, der genau hinschaut und sorgfältig recherchiert. Gerade in Zeiten, in denen Rechtspopulismus und menschenfeindliche Einstellungen zunehmen, dürfen wir in unserem Einsatz für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit nicht nachlassen.“
Auch unsere Leserinnen und Leser haben uns ermuntert, weiter zu machen, und das Gerichtsverfahren in die nächste Runde zu tragen. Dafür haben sie gespendet: Damit eine Berufung nicht am Geld scheitert. Viele UnterstützerInnen haben ihre Überweisungen mit guten Wünschen geschmückt: „Spende für aufrechten Gang“ war da zu lesen, auf einer anderen stand: „Nie wieder brauner Terror“, „Bitte weiter so!“ oder „Ihr macht gute und wichtige Arbeit und ihr habt meine volle Unterstützung in diesem Rechtsstreit.“ Vielen Dank an alle, die uns unterstützen und die diesen Rechtsstreit mit uns tragen.
Wir stehen ein für eine freie Presse, für Demokratie und gegen Hass und Hetze. Wir lassen nicht nach. Wir haben Berufung gegen den Mannheimer Richterspruch eingelegt. Am Mittwoch, 13. Februar, um 10 Uhr, werden wir in Karlsruhe am Oberlandesgericht unsere Argumente vorbringen.