Rassismus und Solidarität: Der Film „Möglichst freiwillig“ im Café Mondial

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Ausreisepflichtige Deutschland verlassen – und zwar am besten „möglichst freiwillig“. Das tat auch die Roma-Familie des 13-jährigen Zijush, die nach Mazedonien ausreiste. Doch die MitschülerInnen des Jungen wollten das nicht hinnehmen und holten ihn per Smartphone zurück in den Unterricht. Kurz danach besuchte ihn ein Filmteam in Skopje. seemoz sprach mit der Filmemacherin.

Mehrmals im Monat organisiert das Regierungspräsidium Karlsruhe vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden Sammelabschiebungen in die Länder des Balkans. Das berichtet der baden-württembergische Flüchtlingsrat, demzufolge im vergangenen Jahr insgesamt 3018 Menschen aus Baden-Württemberg abgeschoben wurden, davon über 1200 in die Nachfolgestaaten Jugoslawiens und in andere Balkanländer; viele von ihnen gehörten der Minderheit der Roma an, viele waren Kinder. Nach dem vom Flüchtlingsrat erfassten Daten mussten zwischen dem 8. Juli 2014 und dem 7. Mai 2018 etwa 2000 Kinder bis 14 Jahre den Südwesten der Republik verlassen. So wurde Ende September in Freiburg ein Mädchen abgeschoben, obwohl es bereits vier Jahre die Schule besuchte und Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis gehabt hätte. Und im Dezember holten die Behörden in Mannheim einen elfjährigen Junge direkt aus der Schule und seine kleine Schwester aus dem Kindergarten.

Dieses Schicksal wollte der Vater des damals 13-jährigen Zijush seinen Kindern ersparen; also reiste er mit seiner Familie freiwillig zurück in die mazedonische Hauptstadt Skopje. Wie die Lehrerin und die MitschülerInnen reagierten und welchen Anfeindungen Zijush in Mazedonien erlebte, schildert der Dokumentarfilm „Möglichst freiwillig“ von Allegra Schneider, die die Geschichte über eine erzwungene Migration aufzeichnete. Wir sprachen mit ihr.

Die „unbeliebtesten Flüchtlinge“

seemoz: Frau Schneider, wie kommt eine Fotojournalistin und Mitglied einer Gestaltungskooperative auf so ein Thema?
Ich recherchiere schon seit Jahren mit befreundeten Anwälten, Ärzten und Journalisten in den Staaten des ehemaligen Jugoslawien. Wir fahren regelmässig hin, treffen abgeschobene Roma, führen Interviews und haben mittlerweile drei Bücher zum Thema publiziert. Anfangs wollten wir eigentlich nur fotografieren, gleichzeitig haben wir aber auch Videos aufgenommen, weil uns das als geeignetes Mittel erschien, die Erzählungen zu transportieren.

Der Film ist also nicht aus einer spontanen Entscheidung heraus entstanden?
Nein, der Film ist im Rahmen unserer kontinuierlichen Arbeit entstanden. Uns war es wichtig, die Stimmen der Betroffenen hören zu lassen; deshalb haben wir viel mit Zitaten gearbeitet und auch immer wieder viele kleine Filme gezeigt – aber noch nie einen so großen.

In Ankündigungen steht, dass Sie den Film mit „Friends“ realisiert haben. Wer sind die Freunde?
Das waren Jean-Philippe Baeck, ein Redakteur der taz, Dörthe Boxberg, Fotografin aus Köln, Selamet Prizreni, der zu diesem Zeitpunkt selber abgeschoben war und mich bei den Aufnahmen in Mazedonien begleitet hat …

Waren MitschülerInnen von Zijush dabei?
Ich habe eine Veranstaltung in Bremerhaven gemacht und dabei die Lehrerin von Zijush kennengelernt. Sie erzählte mir, dass ein Junge aus ihrer Klasse abgeschoben worden sei und dass die Schüler auf die Idee gekommen waren, Zijush per Facebook in den Unterricht einzubinden, weil er in Skopje noch keine Schule hatte. Daraufhin wollte ich die Kinder kennenlernen, bin in die Klasse gegangen, habe mit ihnen gesprochen, und dann haben wir ein Telefoninterview mit Zijush geführt. Da war nichts geplant, das ist alles so entstanden. Später war ich ohnehin in Mazedonien und die Lehrerin sagte, sie würde gern die Familie besuchen; sie ist dann nach Mazedonien gereist. Dort kamen wir auf die Idee, dass es schön wäre, wenn auch der beste Freund von Zijush ihn besuchen käme und haben ihn als Überraschung in den Sommerferien mitgebracht. Währenddessen habe ich immer meine Kamera laufen lassen.

Und wer trug die Kosten?
Wir finanzieren unsere Arbeit immer komplett selber und haben keine Förderung beantragt.

Die Themen des Films – Freundschaft, Schule, Abschiebung, Migration, Roma, Rassismus, Hoffnung – sind vielfältig. Aber welche Kernbotschaft hat er?
Vordergründig geht es um die Freundschaft der Jugendlichen. Während des Drehens stellte sich jedoch heraus, dass die Familie die Geschichte nicht zum ersten Mal erlebte; der Vater von Zijush war als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland geflohen und dann abgeschoben worden. Im Hintergrund schwebt aber stets der Rassismus gegen die Roma mit – in den exjugoslawischen Staaten ebenso wie in Deutschland.

Es ging Ihnen um Aufklärung, um eine Sensibilisierung für die Themen Rassismus und Ausgrenzung?
Mir ging es vor allem darum, die Verhältnisse darzustellen, denn es gibt ja unglaublich viele Stereotypen und Vorurteile; die Roma sind die ungeliebtesten Flüchtlinge in Deutschland. Diese Ausgrenzung müsste in dieser Gesellschaft mehr wahrgenommen werden. Außerdem müsste es doch andere Wege geben, als dieses Familien-Ping-pong unter prekären Bedingungen: ausweisen, wieder einreisen, ausweisen …

Steckt in Ihrem Film auch ein impliziter Aufruf zum Handeln …
Auf jeden Fall!

… wie beispielsweise im Mai 2017 in Nürnberg, als sich junge Menschen massenhaft gegen die Abschiebung eines Mitschülers wehrten?
Es ist ein Aufruf: Schaut genau hin und fragt Euch, was los ist! Und setzt Euch dafür ein, dass sich was ändert! Das zeigt auch ja auch das Beispiel von Zijushs MitschülerInnen aus Bremerhaven-Lehe, einem abgehängten Stadtteil. Die dachten am Anfang, dass sich niemand für ihre Meinung interessiert, dass sowieso alles egal ist. Dem wollten wir etwas entgegensetzen.

Und wie endet der Film?
Mit einem vorläufige Happyend. Aber mehr will ich hier nicht verraten.

Preisverdächtig

Der Film „Möglichst freiwillig“, gedreht von Nicht-Roma und Roma, macht Mut und kam bisher bei jenen Roma, die ihn gesehen haben, überaus positiv an. „Ihre Reaktion war bisher: Genauso erleben wir das; wir sind froh, dass diese Perspektive mal gezeigt wird“, erzählt Schneider. Ihre 45-Minuten-Doku (der Trailer ist hier zu sehen) wurde für die Hauptjury des Deutschen Menschenrechts-Filmpreis 2018 nominiert, ist in der offiziellen Auswahl der Ouchy Film Awards und wurde für das Dokumentarfilmfestival DOCfeed 2019 in Eindhoven ausgewählt.

Allegra Schneider ist bei der Vorführung des Films im Café Mondial anwesend und beantwortet gern alle Fragen.

Interview: Pit Wuhrer


Termin: Freitag, 15. Februar, 19 Uhr. Ort: Café Mondial im Palmengarten, Zum Hussenstein 12, Konstanz