„Es reicht nicht, Bioprodukte zu kaufen“
Der Umweltwissenschaftler Michael Kopatz stellt am 21. Februar sein Buch „Ökoroutine – damit wir tun, was wir für richtig halten“ im Konstanzer Konzil vor. Er plädiert dafür, dass die Politik mehr Verantwortung übernehmen und Strukturen schaffen muss für einen besseren Umgang mit der Natur. Denn nur wenn sich die Verhältnisse verändern, ändert sich auch das Verhalten der einzelnen KonsumentInnen. seemoz sprach mit dem Autor.
Herr Kopatz, mit welchem Verkehrsmittel reisen Sie nach Konstanz zum Vortrag?
Kopatz: Selbstverständlich mit der Bahn. Ich bin in meinem Leben vielleicht fünfmal geflogen. Das Car-Sharing benutze ich nur im Notfall.
Was halten Sie von den Klima-Protesten der Schülerinnen und Schüler, die gerade von Schweden ausgehend in andere Länder überschwappen?
Ich unterstütze jegliche Form solcher Proteste, denn sie üben Druck auf die Politik aus. Öffentlicher Protest ist noch wichtiger als privater Konsum. Das sieht man am Beispiel Hambacher Forst. Und die Kohlekommission ist ebenfalls ein Ergebnis der Unzufriedenheit der Bürger. Was Demonstrationen betrifft, habe ich selbst meine Meinung geändert. Wir müssen raus auf die Strasse und mehr Engagement zeigen! Es reicht nicht, nur Bio-Produkte zu kaufen und auf den Flug zu verzichten. Man muss da hin, wo es weh tut.
Unzufriedenheit zeigen auch die zehn Kläger, die im Mai 2018 vor den Europäischen Gerichtshof zogen. Sie fühlen sich von ihren Staaten bzw. der EU im Stich gelassen mit den Folgen des Klimawandels, die sie in ihrer Existenz bedrohen. Sie sehen grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf Leben oder Gesundheit verletzt, wenn die EU ihre Klimaziele bis 2030 nicht verbessert.
Die machen genau das, wozu ich immer wieder aufrufe. Ich begrüße alles, was dazu dient, die Verhältnisse zu verbessern. Öffentlicher Protest ist wichtig.
In Ihrem 2016 erschienen Buch prägen Sie den Begriff „Ökoroutine“. Ihm liegt die Idee inne, Gewohnheitsmuster zu durchbrechen. Die meisten Menschen wüssten zwar, was gut für sie und die Umwelt ist, aber sie sind in ihrer Routine gefangen. Hier soll der Staat in die Bresche springen.
Es geht darum, die Rahmenbedingungen zu ändern. Wenn der Prozess über die Konsumenten gelenkt würde, dauert das zu lange. Ein Grossteil der Bürger ist für Fleisch aus artgerechter Tierhaltung oder findet Bioprodukte grundsätzliche gut. Doch an der Ladentheke entscheiden sich die meisten für das billige Produkt. Ebenso würden viele Produzenten auf nachhaltige Landwirtschaft umstellen; wenn es auch die Konkurrenz macht. Anstatt an Verbraucher und Produzenten zu appellieren, die Moralkeule zu schwingen und Verbote auszusprechen, müssen die Strukturen von der Politik geändert werden. Die Konsumenten und Produzenten haben eine Aufgabe, aber sie schaffen es sich nicht alleine.
In Deutschland wird gerade das „Tierwohlsiegel“ vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vorgestellt, das ab 2020 die Verbraucher über die Produktionsbedingungen informieren soll. Die Hauptkritikpunkte daran sind, dass es zum einen auf Freiwilligkeit basiert, zum anderen zunächst nur Schweinefleisch betrifft. Tierschützer monieren, dass durch die Unverbindlichkeit die Mehrheit der Schweine nicht von dem Label profitieren werden. Der Umweltschutzverband BUND gibt zu bedenken, dass 20 Prozent mehr Platz im Stall immer noch viel zu wenig sind: Für ein 110 Kilo-Schwein sind lediglich 0,90 Quadratmeter eingeplant.
Das staatliche Tierwohlsiegel zeigt, wie mutlos die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner da agiert. So ein Siegel ist zwar ganz nett, da kann man sagen, „wir haben was getan“, aber substanziell ändert sich gar nichts. Der Prozess ist so schleppend. Die Schweine müssten viel mehr Auslauf haben. Ich bin überzeugt, dass sich kein Konsument darüber aufregen würde, wenn sich die Haltungsstandards für Tiere verbesserten. Das würde auch die Supermärkte entlasten. Lidl und Aldi führen im April ihr eigens Siegel ein. Das ist richtig, richtig peinlich, dass die Konzerne hier weiter sind als die Politik.
Hieran sieht man eigentlich wieder, dass die Verbraucher doch die Initiatoren solcher Wenden sind. Wenn nicht immer mehr Menschen Bio-Lebensmittel forderten, gäbe es nicht immer mehr Bio-Produkte.
Das geht aber zu langsam und viele machen nicht mit. Wenn es einfach keine Legehennen-Eier mehr im Supermarkt gibt, stört sich da sicherlich niemand dran.
In der Schweiz wurde im Herbst 2018 über die Fair-Food-Initiative abgestimmt. Darin forderten die Initianten, dass der Bund mehr Einfluss auf Produktionswege nimmt und regionale, nachhaltige und faire Landwirtschaft fördert. Das Stimmvolk lehnte dies ab.
Man darf nicht davon ausgehen, dass die Wählerinnen und Wähler politischen Reformen sofort zustimmen. Viele Bürgerentscheide gehen anders aus, als man sich erhofft. Das sieht man gerade am Beispiel Brexit. Die politischen Maßnahmen sind vielleicht noch nicht komplett, das sind Lernprozesse für die Politiker. Aber Sie sprechen da einen interessanten Punkt an …
Wie steht es da eigentlich mit der Wissenschaft? Die Forschung ist in vielen Bereichen schon sehr weit. Gerade was den Klimawandel betrifft, gibt es viele Erkenntnisse, die die Bürger zum Umdenken bewegen müssten. Werden wir da schlecht informiert?
Die Wissenschaftler tragen da eine Mitschuld. Sie bringen einen Haufen Papiere in einer Sprache in die Welt, die niemand versteht. Politiker haben da auch keine Lust drauf, Berge von diesem Material durchzugehen. Sie haben doch alle keine Zeit, das zu lesen.
Dann können wir nur hoffen, dass viele Menschen zu Ihrem Vortrag kommen, und viel davon verstehen werden.
Interview: Judith Schuck
Vortrag: Dr. Michael Kopatz mit seinem Bestseller „Ökoroutine – damit wir tun, was wir für richtig halten“. Termin: 21. Februar, 19 Uhr. Ort: Konzil, Konstanz.