Buspreise: Es soll bei Kosmetik bleiben
Die Linke Liste fordert seit langem den ticketlosen Nahverkehr, zumindest aber eine drastische Senkung der teuren Preise für den Roten Arnold. Auch aus einigen anderen Fraktionen waren zuletzt Stimmen zu vernehmen, die Entlastungen anmahnten. Nun haben die Stadtwerke ein Schreiben an den Aufsichtsrat verfasst, in dem sie zu den Bustarifen Stellung nehmen.
„Tarifmaßnahmen und deren Wirkung“ ist das vom Geschäftsführer Norbert Reuter und Ralph Stöhr, dem Geschäftsbereichsleiter Bus, unterzeichnete Konvolut überschrieben, das die Ergebnisse einer Prüfung verschiedener Vorschläge zu einer Veränderung der Tarifstrukturen und deren Auswirkungen etwa auf das Mobilitätsverhalten zusammenfasst (das Dokument hier zum Nachlesen). Gestützt hat man sich dabei auf Erkenntnisse einer öffentlichen Informationsveranstaltung im September des vergangenen Jahres, bei der mehrere Referenten „die Wirkung unterschiedlicher Tarifmaßnahmen analysiert und bewertet“ hatten.
Die geladenen Experten hatten damals fast alle von unterschiedlicher Seite zur Debatte gestellten Vorschläge verworfen, darunter die Halbierung der Preise für „Gelegenheitsfahrten“ oder einen fahrscheinlosen Busverkehr an Samstagen, von der Forderung nach Nulltarif für den Roten Arnold ganz zu schweigen. Einzig die Einführung eines Kurzstrecken-Tickets fand Gnade vor den Augen der Verkehrsexperten. Bewertungen, die sich nun die Stadtwerksführung im Schreiben an den Aufsichtsrat zu eigen macht.
Ein Blick auf die Referentenliste kann helfen, die Aussagekraft ihrer Urteile zu bewerten. Auf der standen nämlich neben dem Konstanzer Geschäftsbereichsleiter Stöhr selbst noch ein vom Verkehrsverbund Rhein-Neckar bestallter „Tarifexperte“ (Thomas Schweizer) sowie der Unternehmensberater Ferry Quast von „Probst & Consorten“. VertreterInnen von Sozial- oder Umweltverbänden einzuladen hielt die Stadtwerksführung offenkundig nicht für nötig. Vorrangig geht es den Stadtwerken offenbar nicht um die sozialen und ökologischen Dimensionen von Maßnahmen, sondern um wirtschaftliche Auswirkungen und die Aussichten auf Marktgewinne.
Mit Thomas Schweizer etwa hatte man sich einen Angestellten des baden-württembergischen Verkehrsverbunds geholt, der im Rahmen eines von der Bundesregierung geförderten Modellprojekts dafür verantwortlich war, dass die Stadt Mannheim aus der Erprobung eines fahrscheinfreien Nahverkehrs ausgestiegen ist. Stattdessen, heißt es dazu im Stadtwerkeschreiben, „wurden verschiedene Maßnahmen zur Tarifabsenkung vorgenommen sowie auch angebotsverbessernde Maßnahmen wie bspw. der Erhöhung von Taktverdichtungen oder dem Einsatz von Hybridbussen“. Für den Verbund, so Schweizer, ein gutes Geschäft: Zum „Ausgleich der entstehenden Mindereinnahmen aus Tarifmaßnahmen“ kann er vom Bund 26 Millionen kassieren, die Kosten der betrieblichen Maßnahmen für diesen Zeitraum belaufen sich auf 6,2 Millionen Euro. Das ist Musik in den Ohren des Konstanzer Bus-Chefs Stöhr.
Ins marktwirtschaftliche Horn stieß – wenig verwunderlich – auch Unternehmensberater Quast, der sich zur Halbierung der Preise im „Gelegenheitsverkehr“ – gemeint sind Einzel-, Mehrfahrten- und Tageskarten – sowie zum Nulltarif an Samstagen äußerte. Für ihn sind solche Vorschläge allein schon deshalb obsolet, weil sich „hier kaum zusätzliche Nachfragewirkung“ erzeugen lasse. Und auch die Nulltarif-Samstage bewertet Quast skeptisch. So habe die Einführung einer solchen Regelung in Tübingen zwar fünf Prozent mehr Fahrgäste in die Busse gelockt, verursache aber gleichzeitig Mindereinnahmen von 10 bis 15 Prozent. Auch Aschaffenburg, das ein ähnliches Modell erprobe, lege mit einem prognostizierten von 300.000 Euro jährlich drauf.
Eine Absage erteilt die Stadtwerksführung im Einklang mit ihren Experten selbstverständlich auch der Idee eines generellen Nulltarifs im Konstanzer Personennahverkehr. Auf einer ganzen Seite des Schreibens gelingt es den Autoren allerdings nicht so richtig, stichhaltige Gegenargumente zu finden.
Dass die genauen Auswirkungen auf die Emissionen nicht beziffert werden können, wie in dem Papier beklagt wird, ist schließlich mangels ausreichender praktischer Erfahrungen kein Wunder. Unbestritten ist allerdings, dass die Luft besser werden wird. Dass womöglich hauptsächlich Fußgänger oder Radfahrer auf den ÖPNV umsteigen könnten, ist eine Behauptung, die auf ziemlich wackeligen Füssen steht. In der als Beispiel genannten belgischen Stadt Hasselt, sagt eine Untersuchung, sollen 23 Prozent der Umsteiger vorher Auto oder Motorrad gefahren sein. Im ebenso erwähnten estnischen Tallin hat der motorisierte Privatverkehr seit dem Start des Nulltarif-Projekts 2013 ebenfalls deutlich abgenommen. Und dass schließlich der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen den ticketlosen Nahverkehr für keine gute Idee hält, weil vielerorts heute schon stark ausgelastete Busse zusätzliche Fahrgaststeigerungen nicht verkraften würden, kann nur jemand vorbringen, der den Status quo beibehalten will. Unter Nulltarif-Befürwortern dagegen ist unstrittig, dass solche Konzepte nur mit einem Ausbau der entsprechenden Infrastruktur funktionieren.
Ein Blick auf die Nachbarstadt Radolfzell hätte der Stadtwerks-Führungsriege vielleicht gutgetan. Dort fahren die Stadtbusse seit 2017 für einen Euro am Tag, vor kurzem senkte man auch die Preise für Zeitkarten. Die Stadtverwaltung hatte während der zwölfmonatigen Testphase mit Mindereinnahmen von rund 100.000 Euro gerechnet, das Minus betrug dann allerdings lediglich 40.000. Die Zahl der Fahrgäste nämlich stieg um mehr als 100 Prozent, was nicht nur die Verluste reduzierte, die Stadt kann zudem spürbar weniger Verkehr vermelden. Die Radolfzeller Stadtwerke nehmen nun neue Haltestellen und eine häufigere Taktung ins Visier.
Immerhin versprechen Reuter und Stöhr in ihrem Papier, die Erfahrungen „beobachten“ zu wollen, die man andernorts mit solchen Tarifexperimenten macht (zuletzt wurde etwa bekannt, dass auch Luxemburg den Nulltarif im ÖPNV plant). Bis dahin wollen sie die KonstanzerInnen mit einem Kurzstreckenticket vertrösten, das noch für dieses Jahr in Aussicht gestellt ist. Eine klimafreundliche und soziale Verkehrswende sieht anders aus.
J. Geiger (Text & Foto)
Die Fahrpreispolitik der Stadtwerke Konstanz ist bürgerfeindlich und autofahrerfreundlich, vom Klima ganz zu schweigen.
Ein Beispiel:
Die Bürgerin und der Bürger vermeiden es unter allen Umständen mit dem Auto ins Stadtinnere zu fahren.
Sonntagabend den 10.03.2019 stürmt und regnet es heftig.
Deshalb soll statt mit dem Fahrrad mit dem Bus von der Fürstenbergstrasse zur Konzilstrasse zum Konzert gefahren werden.
Kurzer Check der Kosten:
Die billigste Mehrfahrtenkarte kostet 2,15 EUR, also für zwei Personen hin und zurück 8,60 EUR.
Kosten mit dem Auto: Abendtarif Parkhaus Fischmarkt 4,60 EUR
Kilometergeld 7,6 km à 0,31 EUR = 2,36 EUR
zusammen 6,96 EUR.
Die Gemeinderätin und der Gemeinderat der das weiter duldet, wird von mir nicht gewählt.
Rudy Haenel
PS. Wir sind mit dem Rad gefahren.
@Angelika Bernecker
„In Konschdanz ist halt alles anders, gell?“ Genau! In Konstanz hat man sich darauf spezialisiert, mit angelegten Scheuklappen diverse externe Berater zu befragen, deren Ergebnisse z.B. zu dem Schluss kommen, dass „hier kaum zusätzliche Nachfragewirkung“ zu erzeugen sei. Gar ein Gespenst in Form von der Kannibalisierung der Stadtwerke erschien grinsend am Horizont. In einem älteren Artikel des Südkurier war von Bedenken einer Zunahme von Fahrgästen die Rede (Hilfe!), und dass dieselben kurze Strecken weiterhin laufen oder mit dem Rad fahren sollten. Es wird also alles bleiben wie gehabt, auf Empfehlung von Probst & Consorten (hüstel) und der doppelbödigen Moral derer in der Verwaltung, während die Mutigen ihre Erfolge feiern. Bleibt noch ein Spendenaufruf für ein Fernglas für Herrn Stöhr, zur Beobachtung der weiteren negativen Entwicklungen andernorts.
Fake Good News 😉
Mutige Lösung macht Konstanz zur Vorzeigestadt am Bodensee.
Nach jahrelanger Verkehrsprobleme wurde in Konstanz statt noch eines teuren Infrastrukturprojekts neu gedacht. Seit 3 Jahren ist der öffentliche Nahverkehr kostenlos für alle. Mittlerweile kann man von einem Erfolgsprojekt sprechen. Die Investitionen haben sich gelohnt sagen nun auch so manche der anfänglichen Skeptiker. Durch Park+ Ride und einem Ausbau der Linien und höheren Taktraten hat sich der Verkehr so verringert, dass mehrere Straßen für Durchgangsverkehr gesperrt oder als Fahrradstraße ausgewiesen werden konnten. Es war eine Investition in die Lebensqualität der Stadt, weniger Autos – mehr Mobilität. Aber inzwischen zahlt sich das auch finanziell aus, weil die Stadt für Bewohner, Touristen und Firmen attraktiver wurde. Selbst die Schweizer Einkaufstouristen sind nicht mehr so unbeliebt, seit sie die Autos vor der Stadt parken. Konstanz bekommt nun regelmäßig Besuch aus anderen Feinstaub- und Stau-geplagten Städten und wird schon als neue Öko-Vorzeigestadt gehandelt.
Dabei ist die Lösung simpel, erfordert nur etwas Mut zum Umdenken, wie es Einstein sagte: „man kann Probleme nicht mit der Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“
Danke, Herr Groß, das wollte ich ebenfalls erwähnen: während die Touristen nahezu umsonst fahren, wird der Bürger abgezockt. Es kann nicht sein, dass ich für 1 – 2 Stationen Innenstadt ebensoviel bezahle wir für die Fahrt nach Dettingen, nämlich Euro 2.50. Für weitere Strecken mag das ok sein, nicht jedoch vom Döbele bis Bodanplatz. Da laufe ich lieber. Ältere Menschen, Behinderte, jemand mit viel Gepäck kann das nicht – schon gar nicht bei schlechtem Wetter. In Bozen z. Bsp. kosten Fahrten im gesamten Innenstadtbereich, der weitaus größer ist als der Konstanzer, Euro 1.00, Fahrten, die darüber hinaus gehen etwa Euro 2.50, unterwegs ist dann aber eine gute halbe Std. oder länger. Wenn schon nicht umsonst, warum gibt es denn für Konschdanzer kein“ Konschdanzer Kärtle“ für Euro 10.00 monatlich und wer weniger fährt zahlt pro Fahrt Euro 1.00? Offenbar scheinen Zonen-Preise problematisch zu sein, warum auch immer. Da Radolfzell gute Erfahrungen gemacht hat, die Anzahl der Fahrgäste gestiegen ist, warum soll es gerade hier nicht funktionieren? Letztendlich wird anstatt verbessert jedoch umweltfreundliches Fahren verhindert, siehe Sperrung Buslinie 6. In Konschdanz ist halt alles anders, gell?
Der Bahnexperte Lahl hob im Herbst vorigen Jahres die Notwendigkeit eines Landestarifs hervor, der mit dem Wegfall vieler kleiner Verbünde deutliche Kostenersparnisse zur Folge hätte. Man betrachte nur einmal die Personalkosten der einzelnen Verkehrsverbünde rund um den See. Der Vorarlberger Verkehrsverbund zeigt als österreichischer Nachbar die Vorteile eines Landestarifs am besten. Ein Jahresticket für Vorarlberg kostet 365 Euro bei fast kostenlosen Fahrten für den Ausbildungsverkehr. Es gibt inzwischen viele deutsche Bundesländer die Ländertickets zum Best-Preis anbieten. Nur am Bodensee schafft man es gerade noch für Touristen ein Ganztagesticket für den Landkreis Konstanz 45 Cent oder Bodenseekreis 1 Euro täglich, davon 75 Cent für den Verkehrsverbund bodo anzubieten. Das würde für Einheimische bei 20 Fahrten 9 Euro kosten und nicht 43 Euro.
Luxemburg ist über das Planungsstadium hinaus:
„Situation in Luxemburg
Nach der Kammerwahl 2018 kündigte der Premierminister Xavier Bettel Ende November 2018 die Einführung eines kostenlosen ÖPNV in Luxemburg an.[33] Im Januar 2019 wurde durch den Verkehrsminister Luxemburgs der 1. März 2020 als Tag der Einführung der Freifahrt in der 2. Klasse (die 1. Klasse bleibt kostenpflichtig) angekündigt.[34] Personen unter 20 Jahren können den ÖPNV bereits seit dem 1. August 2018 kostenfrei nutzen.[35] Auch Studenten unter 30 Jahren, die an einer Hochschule im In- oder Ausland eingeschrieben sind, können den ÖPNV kostenlos nutzen. Dafür müssen sie sich allerdings zuvor einen entsprechenden Freifahrtausweis besorgen.[36]“
(https://de.wikipedia.org/wiki/Tarifsystem_(%C3%96ffentlicher_Personenverkehr)#Situation_in_Luxemburg)
Heute habe ich für eine 20er Mehrfahrtenkarte 43,00 € gezahlt. Aber Konstanz ist halt so schön… In Nizza, einer großen und nicht minder schönen Stadt an der Côte d’Azur, zahlt man für die Fahrt in einer supermodernen Straßenbahn 1,50 € für das Einzelticket mit Umsteigen und bis 74 Minuten Fahrzeit! Und 10 € für einen 10er Block. Warum geht es da und bei uns nicht? Weil es so gewollt ist!
Frei nach dem Motto – das haben wir schon immer so gemacht. Mit solchen Entscheidungsträgern hätte es die Gesellschaft in der Vergangenheit nicht aus ihren Höhlen geschafft.