Die Faszination für Macht
Das Theater Konstanz zeigt aktuell das neueste Stück der niederländischen Autorin Lot Vekemans „Momentum“ in der Inszenierung von Claudia Meyer. Schon das Plakat, mit dem das Stück beworben wird und auf dem ein umgekehrtes Kartenhaus zu sehen ist, lässt auf den Inhalt des Stücks schließen: ein Politiker im Kampf um den Machterhalt – nicht nur mit dem Plakat gefährlich nah an der Handlung der erfolgreichen Netflix-Serie „House of Cards“.
„Hoffnung ist etwas für Verlierer“
Meinrad Hofmann ist der mächtigste Politiker eines Landes; festlegen will sich das Stück nicht – Machtspielchen spielt man ja überall gleich (?). Doch Hofmann ist am Ende. Er hat das Gefühl, was er einmal wollte, nämlich „die Menschen aufrichten“, nicht mehr erreichen zu können. Die Frustration darüber, sehr authentisch zweifelnd verkörpert durch Ralph Beckord, der sich für seine Rolle Willy Brandt zum Vorbild nahm, hat ihn in die Depression getrieben. Er nimmt Antidepressiva und überlegt, seine Karriere an den Nagel zu hängen – die Macht aufzugeben. Zwei wichtige Personen in seinem Leben wollen dies jedoch nicht zulassen: sein Politberater Dieter Seeger und seine Frau Ebba. Dieter plant bereits die Depression politisch zu operationalisieren („Mach aus deiner Schwäche eine Stärke“), nicht zuletzt um seine eigene Macht zu erhalten, während Ebba noch empört ist über die Diagnose („Diese ganze Macht. Das müsste dir doch gut tun!“). Jeder Charakter in diesem Stück handelt zu seinem eigenen Vorteil oder versucht es zumindest, denn am Ende sind sie doch alle voneinander abhängig und alle sind abhängig von der Macht.
Im Wohnzimmer des Präsidenten?
Da das Stück besondere Einblicke in die Hinterbühne der Mächtigen geben soll, spielt es im Wohnzimmer der Hofmanns, das jedoch rund, kahl und hoch mit großen roten Samtvorhängen (Bühne: ebenfalls Claudia Meyer) eher wie ein Festsaal denn wie ein Wohnzimmer wirkt. Die Präsidentengattin trägt deshalb auch durchgehend ein rotes Ballkleid (Kostüm: Anna Ignatieva), obschon keine Szene in der Öffentlichkeit stattfindet. Ein Inszenierungsfehler oder bewusster Kniff, um zu zeigen, dass diese Menschen eigentlich gar kein Privatleben mehr haben? Die Figur der Ebba (Renate Winkler) ist nicht nur kostümtechnisch inkonsequent. Die dominante Attitüde mit der teils nasalierten Aussprache widerspricht an einigen Stellen dem Text. Ja, natürlich ist Ebba machtgeil, aber sie heißt nicht Claire Underwood und ist nicht vollständig durchtrieben. Ganz im Gegenteil, sie wird von ihrem Mann und dessen Berater stets zu deren Vorteil instrumentalisiert.
Hinter jedem erfolgreichen Mann …
Dem Redeanteil und der Bühnenpräsenz Ebbas nach könnte das Publikum fast meinen, in dem Stück ginge es eher um sie als um alle anderen, allerdings auf negative Weise. Ebba ist ein Instrument, ein Machtinstrument wenn man so will. Sie wird von ihrem Mann und dessen Berater (Ingo Biermann) „eingesetzt“ als „stärkste Waffe“. Sie wird als Objekt angesprochen und hat sich damit abgefunden. Wenn jemand nach ihrer Befindlichkeit fragt, ist sie überrascht oder lenkt die Aufmerksamkeit schnell wieder von sich. Für ihren Mann sucht sie auf dem Boden kriechend die Manschettenknöpfe oder lutscht ihm den Finger, wenn er sich den Nagel eingerissen hat. Was bei einer Frau, die die Depression ihres Mannes als Schwäche empfindet, natürlich nicht fehlen darf, ist ein totgeborenes Kind (Dan Glazer – tanzen kann er, singen muss er noch ein wenig üben), das sie in Gedanken heimsucht. Hier wird im Stück gleich noch ein Frauen-Klischee bedient: Wenn eine Frau nicht als Mutter auftritt, dann muss sie die Rolle der Nicht-Mutter verkörpern. Im Übrigen wieder eine schwache Kopie des starken Originals „House of Cards“.
Geheimnisse
Das tote Kind ist Ebbas Geheimnis, genauso wie die Depression Meinrads Geheimnis ist. Dieter kennt die Geheimnisse der anderen und kann so seine Spielchen spielen. Ingo Biermann überzeugt absolut in seiner Rolle als wichtigtuerischer Berater-Typ, der die Fäden in der Hand hält. Vielleicht sollen auch die Live-Kameraaufnahmen (Claudia Meyer, Tanja Hasslinger) des Bühnengeschehens aus verschiedenen Blickwinkeln Einblick in diese Geheimnisse geben. So richtig die Handlung unterstützen will der Effekt nicht. Insbesondere dann, wenn Internetvideos randalierender Neonazi-Meuten in Deutschland zu einem Bob Dylan-Song gezeigt werden, ist nicht sicher, ob die Inszenierung wirklich die Gewalt des rechten Mobs als legitimen „Widerstand gegen das System“ adeln will. Wenn ja, wäre das ein verheerendes Urteil für die Demokratie – und die Deutung der Regie. Ein weiteres Geheimnis ist eine Schwärmerei Ebbas für den Dichter Ekram Lindner (Thomas Fritz Jung – gekonnt langweilig). Auch das wirkt wie schlecht von House of Cards abgeschrieben und die Figur des Dichters nicht zu Ende gedacht.
„Ideale und Macht vertragen sich selten miteinander“
Vielleicht hat die Autorin Lot Vekemans aufgrund zahlreicher preisgekrönter Stücke inzwischen auch die Macht, alles schreiben zu können und dabei Ideale guten Theaters über Bord zu werfen? Immerhin konnte die Crew des Konstanzer Theaters die mangelnde Begeisterungsfähigkeit von „Momentum“ teilweise wieder wettmachen, aber ein Stück dieses Nicht-Kalibers hinterlässt dennoch seine Spuren in der Inszenierung. Es scheint fast so, als wollte Vekemans mit ihrem Stück die Faszination der Menschen für Macht, die Mächtigen und Machtspielchen nach RTL-Manier bedienen und hat sie dabei genauso überstrapaziert. An dem anschließenden Nachgespräch mit Chefdramaturg Daniel Grünauer und den DarstellerInnen hatten auch nur wenige Personen, dafür überproportional viele KommunalpolitikerInnen, Interesse. Spannend war es dennoch. Es ging um Authentizität, Manipulation und Wählervertrauen. Zählen bei der Wahl die Personen oder die Inhalte? Wie bedeutend ist das freundliche Gesicht der Politikerin mit den drei Kindern von nebenan? Sie sind die WählerInnen – am 26.5.2019 können Sie sich entscheiden, ob Sie Machterhalt und Sympathie oder Programm und Konsequenz den Vorzug geben.
F. Spanner (Foto: Theater Konstanz)
Das Stück läuft noch an folgenden Tagen: 16.3., 20.3., 22.3. und 27.3.
Ihre Zusammenfassung zu meiner im sechswöchigen Probenzeitraum erarbeiteten Figur des DuK (Das ungeborene Kind) finde ich respektlos.