Elektrisch in die Sackgasse
Das Elektroauto rettet das Klima. Dieser Eindruck könnte entstehen, glaubte man den Verheißungen von Industrie und Politik. Viel zu kurz gesprungen, schreibt unser Autor Winfried Wolf in seinem zuerst in der Stuttgarter Kontext-Wochenzeitung erschienen Beitrag. Das Auto als solches ist das Problem, ist er überzeugt.
Das Auto ist nicht ökonomisch: Der aktuelle Golf hat ein Totgewicht von 1,3 Tonnen und befördert in der Regel 80 kg Menschenfleisch und Blut. Das Verhältnis zwischen Transport- und Leergut von 1:16 ist krass; kein Kapitalist würde das im normalen Business akzeptieren. Beim E-Auto sind es dann 1,9 Tonnen zu 80 kg oder 1:24. Übrigens: 1970, beim Käfer, waren es noch 700 kg zu 80 kg oder eins zu neun.
Das Auto ist nicht effizient: Die Durchschnittsgeschwindigkeit im Autoverkehr in Los Angeles liegt bei 17 km/h, in Stuttgart vielleicht bei 25 km/h. Das ist die Geschwindigkeit eines latent unsportlichen Radfahrers.
Das Auto ist stadtzerstörerisch: Der Autoverkehr beansprucht mindestens vier Mal mehr Fläche je Transporteinheit wie der Verkehr mit Öffis.
Das Auto ist mit Blick auf Klima und Umwelt nicht vertretbar: Rund ein Fünftel der das Klima schädigenden Gase sind Pkw und Lkw zuzurechnen.
Das Auto ist mörderisch: Jahr für Jahr kostet der Autoverkehr in der EU 25.000 Menschen das Leben. Weltweit sind es jährlich mehr als eine Million.
Das schmutzige Dutzend bleibt immer das gleiche
Die Autokonzerne bilden, zusammen mit den Öl- und Energieunternehmen, die entscheidende Macht in der Weltwirtschaft. Ausgeklammert ist dabei der Finanzsektor, der jedoch eng mit den jeweiligen Konzernen verflochten ist.
Ausschlaggebend für die Bedeutung sind aber nicht in erster Linie die Jobs. In der Weltautobranche gibt es „nur“ zehn Millionen davon, die Zulieferer bereits eingeschlossen. In der Welttextilbranche etwa sind drei Mal mehr Menschen beschäftigt. Doch die Autoindustrie ist so mächtig, weil sie ihre Hauptquartiere in den wichtigsten kapitalistischen Ländern hat, und weil „das Auto“ in der bestehenden Gesellschaftsordnung, die massenhaft Entfremdung produziert, eine große Rolle in der Massenpsychologie und für Ersatzbefriedigungen spielt.
In den letzten drei Jahrzehnten haben sich die Orte, an denen die Autoproduktion weltweit stattfindet, radikal verändert. 1990 wurden noch 80 Prozent aller Kraftfahrzeuge, die auf den Markt kamen, in den „westlichen“ Regionen Nordamerika, Japan, Südkorea und Westeuropa gefertigt. 2018 lag dieser Anteil bei der Hälfte, bei rund 40 Prozent. Das Spannende ist jedoch: 2018 ist es dasselbe „schmutzige Dutzend“, das knapp 80 Prozent der Weltautoproduktion kontrolliert wie 1990. Es sind dies die drei japanischen Konzerne Toyota, Honda und Suzuki-Maruti; die drei deutschen Hersteller VW, Daimler, BMW; die zwei US-Autokonzerne General Motors und Ford; die zwei „Franzosen“ Renault-Nissan und PSA (Peugeot, Citroen und Opel); der südkoreanische Konzern Hyundai und der italienische Hersteller Fiat-Chrysler.
Diese Gruppe blieb weitgehend identisch. Auch ist die Zahl der rund zehn Millionen Autojobs seit drei Jahrzehnten weitgehend unverändert. Doch der Output hat sich immens vergrößert. 1960 produzierte die Weltautobranche 20 Millionen Kraftfahrzeuge. 1980 waren es 40 Millionen, 1990 gut 50 Millionen, und 2018 bereits 100 Millionen.
Aus einer Krise entstehen noch mehr Autos
Die Branche erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg ein halbes Dutzend Krisen. Sie ist seit Mitte der 1970er Jahre auch Taktgeber der Weltkonjunktur – die jeweilige Branchenkrise ist immer zugleich eine Rezession der Weltwirtschaft. So in den Jahren 1975/76, 1980/81, 1992, 2001 und 2008/2009. Und diese Branchenkrisen waren oft zugleich Glaubwürdigkeitskrisen für die Autoindustrie, die sie jeweils mit Reformdebatten und -projekten zu überwinden versuchte. Am Ende liefen sie stets auf eine nochmals deutlich gesteigerte Pkw-Zahl und Auto-Dichte hinaus.
Exemplarisch seien hier genannt die Diskussion um die „autofreien Sonntage“ und das Tempolimit im Jahr 1973 – als Folge der „Ölkrise“. Die Reformprojekte damals waren spritsparende kleine Pkw, später der Katalysator. In der Krise 2008/2009 wurde der Biosprit massiv propagiert – angeblich auch als Mittel zur Reduktion der CO-2-Emissionen. Das aktuelle Reformprojekt lautet „Elektromobilität“. Behauptet wird, eine möglichst große Zahl von Elektroautos würde die CO-2-Emissionen reduzieren und dem Klimawandel entgegenwirken. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil.
Die reine CO-2-Bilanz eines E-Pkw ist im Vergleich zu einem Benziner oder Diesel maximal um 25 Prozent günstiger, nämlich dann, wenn der gesamte Lebenszyklus betrachtet wird. Faktisch sind E-Autos zu einem großen Teil Stadtautos und Zweit- und Drittwagen. Dies zeigen alle praktischen Untersuchungen (etwa in Norwegen, aber auch in Deutschland); dafür sprechen aber auch technische Aspekte wie Reichweite, Ladedauer und Ladestrukturen. E-Autos sind derzeit und auf absehbare Zeit faktisch Mobilitätsmittel für den gehobenen Mittelstand, für Leute, in deren Haushalt es ein Zweit- und Dritt-Gefährt gibt und die über eine Garage oder Carport mit Wallbox verfügen. Damit sind E-Pkw ein neuer Beitrag, um die Dichte weiter zu erhöhen – und ausgerechnet dort, wo Pkw besonders schädlich sind: in den Städten.
Und eine Autoindustrie, die primär auf E-Autos setzt, tauscht in Ansätzen die Abhängigkeit vom endlichen Rohstoff Öl gegen eine Abhängigkeit von den endlichen Rohstoffen Kupfer und Nickel (die für E-Autos in deutlich größerem Umfang abgebaut werden müssen) und Lithium, Kobalt und allgemein seltene Erden (die für E-Pkw in sehr großem Maßstab neu abgebaut werden müssen).
Auch mit dem Tesla geht’s im Stau nicht schneller
Die grundlegenden Probleme bleiben in jedem Fall bestehen. Auch wenn alle Autos in Los Angeles Tesla Model 3 oder Nissan Leaf-Modelle wären, so bliebe es bei der Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h und dem Dauerstau, über den Tesla-Boss Musk flucht und den er mit gigantischen Tunnelröhren im Untergrund der Stadt bekämpfen will. Auch wenn in allen Großstädten der Erde die Benzin- oder Diesel-Pkw durch „Elektromobilität“ ersetzt werden würden, bliebe es dabei, dass der Flächenverbrauch, den diese Blechlawine abverlangt, eine wesentlich größere ist als eine Mobilität, in deren Zentrum der Fuß-, Fahrrad- und öffentliche Verkehr steht.
Es geht bei diesen Modellen immer darum, dass der Anteil der Elektroautos an einer vorgegebenen Größe gesteigert werden soll: bei der Produktion, am Bestand, am Stadtverkehr. Doch nirgendwo ist dies damit gekoppelt, dass die Gesamtzahl an Autos gestoppt oder richtigerweise reduziert werden muss. In der meistzitierten Studie „Agora-Verkehrswende“ heißt es etwa: „Bis zum Jahr 2050 könnte die Zahl der Autos von derzeit 900 Millionen auf 2,4 Milliarden ansteigen. Um die Klimaziele dennoch zu erreichen, ist es deshalb unerlässlich, den Anteil emissionsfreier Fahrzeuge zu steigern – nicht nur im Personen-, sondern auch im Gütertransport“. Das ist grotesk. Man akzeptiert eine Steigerung der Pkw-Zahl weltweit um das Zweieinhalbfache. Und sagt dann: Aber der Anteil der Elektroautos muss möglichst hoch sein. Selbst wenn am Ende alles elektrisch wäre, und selbst wenn es stimmen würde, dass ein Elektroauto 25 Prozent weniger CO-2-Emissionen hat, dann hieße das in der Gesamtbilanz doch, dass die CO-2-Emissionen des Straßenverkehrs weiter drastisch steigen.
Nun ist die Autobranche der Sektor im Weltindustriekapital, in dem die Produktion bereits extrem automatisiert ist, ein Sektor, in dem lebendige durch „tote Arbeit“, also durch Maschinen und Roboter, ersetzt und künftig weiter gesteigert werden wird. Wir erleben in den USA seit einem halben Jahrhundert, dass hunderttausende Jobs zerstört und die einstmals blühende Autostadt Detroit, die einmal mehr als zwei Millionen Menschen zählte, zum Armenhaus mit weniger als einer Million Menschen verkommt. Wir erleben seit mehr als drei Jahrzehnten, wie in Westeuropa Arbeitsplätze wegrationalisiert beziehungsweise nach Osteuropa und Asien verlagert werden. Mehr als ein Drittel aller Autojobs in Frankreich, in Italien, in Spanien und in Großbritannien wurden in den letzten drei Jahrzehnten abgebaut. Was das in Deutschland heißt, haben wir in Bochum gesehen, wo die Autoindustrie verschwunden ist und die Opel-Beschäftigten in ihrem Kampf weitgehend allein gelassen wurden.
Die Zukunft gehört dem Fahrrad
Besonders drastisch ist der Fall Italien. Dort wurden vor zwei Jahrzehnten noch zwei Millionen Pkw hergestellt. Heute sind es weniger als eine Million. Die Zerstörung der Autojobs in den Nachbarländern ist im Übrigen ein Grund dafür, dass es in Deutschland noch die 820.000 Arbeitsplätze gibt – die Zulieferer und die mehr als 120.000 Leiharbeitskräfte sind da bereits eingerechnet.
Dabei lohnt ein Blick zurück. Im November 1991, auf einer Konferenz der IG Metall und des Deutschen Naturschutzringes, hielt der Verkehrswissenschaftler und Biochemiker Frederik Vester das Hauptreferat. Die einleitenden Sätze sind brandaktuell: „Die Umweltsituation auf unserem Planeten ist für die Menschheit zu einer Überlebensfrage geworden. […] Was uns bevorsteht sind möglicherweise verheerende […] Klimakatastrophen durch den Anstieg von CO₂ […] Die Grenze der Belastbarkeit unserer Erde ist bereits in mehreren, für die menschliche Existenz wichtigen Bereichen erreicht.“
Die gute Nachricht zum Schluss: Ich hätte mir vor drei Jahrzehnten nicht träumen lassen, dass das Fahrrad einmal zu einem Kultobjekt und zu einem Gegenstand mit rasanter technologischer Weiterentwicklung wird. Und dass es hier, laut Angaben der baden-württembergischen Landesregierung, bundesweit mehr als 250.000 Vollzeitarbeitsplätze geben könnte.
Winfried Wolf (Foto: Joachim E. Röttgers)
Info:
Zum Thema erscheint ein neues Buch von Winfried Wolf: Mit dem Elektroauto in die Sackgasse. Warum die E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt. Promedia Verlag, 220 Seiten, 17,90 Euro.
Es gibt durchaus Nischen, da finde ich Elektromobilität sinnvoll, ich freue mich über jeden Pizzadienst, Postzusteller, oder Fahrradkurier, der mit dem E-Bike rumfährt, meist sind die auch am schnellsten. Vielleicht gibt es solche Nischen auch für E-Autos als Taxi, in der Stadtreinigung oder bei den Entsorgungsbetrieben, als Stadtbusse oder im lokalen Lieferverkehr.
Aber die großen Probleme wird es wohl nicht lösen können, dafür braucht es Verkehrskonzepte ohne Autos, zeitlich und preislich attraktiverer öffentlicher Nahverkehr, Wohnen- Einkaufen und Arbeiten im selben Viertel und ähnliches. Aber wer soll daran was verdienen??? Ausser vielleicht die Lebensqualität und die Umwelt.
Hallo Herr Wolf,
ein sehr schöner Artikel, den Sie hier geschrieben haben.
Im Netz habe ich zum Strombedarf auch etwas Interessantes gefunden:
https://www.boerse-am-sonntag.de/leben/produkt-der-woche/artikel/e-autos-wo-soll-der-ganze-strom-denn-herkommen-9372.html
Alles nett……solange man nicht regelmässig mehr als sein Handtäschchen dabei haben muss, in einer Stadt lebt wo man eigentlich nicht vorhat diese, ausser vieleicht mal für Urlaub, zu verlassen und, selbstverständlich, auch das Glück hat einen Job zu haben der so viel abwirft das man sich die nahgelegene Innenstadtwohnung auch leisten kann und praktischerweise auch täglich seinen, dann kleinen, Bedarf an Einkäufen grad auf dem Heimweg mitbringen kann.
Entspricht leider für viele nicht der Realität. der ÖNV, ist, zumindest in unserer Region, auch keine Alternative, ich habe es 2 Jahre versucht bis der Fahrplan noch dämlicher wurde. Wenn ich per Bahn/Bus für eine Strecke, welche ich im Auto 45min inkl. Stau brauche, mehr als 1,5 Stunden benötige und die Mehrzeit nicht mal mit Umweg, sondern rein mit Warten verbringe ist das keine Alternative mehr. Und das auf der hochfrequentierten Pendlerstreccke FN-RV und weiter das husental hoch. Hochgerechnet wären das im Jahr etwa 20 8-Stunden-Tage reine Wartezeit um das mal ordentlich zu vergleichen, mehr als 2/3 des Jahresurlaubes.
Duschen kann auch nicht jeder auf der Arbeit und die ein oder andere Stelle verlangt auch ein gewisses Äusseres und entsprechenden Kleidung, eventuell auch schwere/grosse Arbeitsmittel. Fahrrad is definitiv nicht die Lösung, wenn überhaupt nur in Kombination mit einem funktionierenden ÖNV. Weswegen das in Grossstädten Stand heute wunderbar funktionieren würde (und ich statt eines Kfz eine Monatskarte und eine Mitgliedschaft in einem Carsharingpool hätte, schon rein aus finanziellen Gründen). Das zu pauschalisieren ist definitiv falsch, da muss an ganz anderen Schrauben gedreht werden. Wie bei vielen ökologischen Themen muss man mal die Sicht eines Stadbewohners ablegen bzw. zumindest die dort angebrachten Lösungen nichtr verallgemeinern.