Viel Lärm um nichts: Die Sicherheitskonferenz
Der scheidende Landrat Frank Hämmerle veröffentlichte am 13. März eine Pressemitteilung. Darin geht es um das zu Monatsbeginn eröffnete „Bundesasylzentrum ohne Verfahren“ in Kreuzlingen, in dem 310 Geflüchtete, denen eine Abschiebung aus der Schweiz bevorsteht, untergebracht werden (Foto). Hämmerles Vorstoß gab auch dem Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt eine Chance, die er sich nicht nehmen ließ: Er präsentierte sich zwei Monate vor der Kommunalwahl als Mann von Recht, Ordnung und Sicherheit.
Seit 1. März werden in der Schweiz neue, beschleunigte Asylverfahren durchgeführt. Zu diesem neuen System zählt auch die Einrichtung in Kreuzlingen, und Landrat Hämmerle ist angesichts dieser Abschiebeeinrichtung hin- und hergerissen. „Es ist richtig und nachvollziehbar, dass die Schweiz abgelehnte Asylbewerber oder Personen, die Straftaten begangen haben, abschiebt. Das sollte Deutschland auch verstärkt tun. Richtig ist auch, dass die Abzuschiebenden (oder freiwillig Ausreisenden) in einem Ausreisezentrum zusammengeführt werden.“ Die neue schweizerische Vorgehensweise verfolgt ja das Ziel, Abschiebungen zu beschleunigen, und das kommt auch bei deutschen Landräten gut an.
Deutschland in Gefahr
Andererseits bereitet diese Einrichtung Hämmerle aber auch Sorgen. Er sorgt sich allerdings keinen Deut um die oftmals existenziellen Probleme der Abzuschiebenden, sondern fragt sich, warum das Abschiebezentrum von den perfiden Schweizern ausgerechnet im Schatten seines Kirchturms etabliert wurde: „Wie Deutschland schiebt auch die Schweiz hauptsächlich von den Flughäfen aus ab. Da stellt sich aber die Frage, warum nicht Ausreisezentren in der Nähe der Flughäfen eingerichtet werden, sondern hier in Kreuzlingen, 300m von der Grenze zu Deutschland entfernt.“
Darin wittert der Vollblutpolitiker, der er nun mal auch ist, eine echte Gefahr für Leib und Leben seiner Schäfchen: „Dabei muss man wissen, dass die Ausreisezentren den dort untergebrachten Menschen volle Freizügigkeit und Bewegungsfreiheit gewähren. Nach den Erfahrungen aus dem Schweizer Ausreisezentrum Embrach ist zu erwarten, dass ca. 60% der Ausreisepflichtigen verschwinden werden […]. Wohin? Ist das gewollt? Ich gehe auf dieser Grundlage davon aus, dass sich der Großteil der Bewohner des Kreuzlinger Ausreisezentrums der Abschiebung aus der Schweiz entziehen wird, indem sie die fußläufig zu erreichende Grenze nach Deutschland nutzen.“
Schade, schade, das Asylzentrum in Kreuzlingen ist also kein Knast, wie ihn sich so manche/r für Auszuschaffende wünscht, und das macht Frank Hämmerle Angst und Bange. Dabei ist er sich doch sicher, dass die entsprungenen Ausländer nach dem illegalen Grenzübertritt nicht in Konstanz bleiben, sondern zu Landsleuten in den deutschen Ballungszentren weiterziehen werden. „Damit,“ so weiß der weltläufige Landrat, „wird sich die Sicherheitslage zwar nicht bei uns, aber im Bundesgebiet verschärfen. Deswegen erwarte ich von der für die Grenzsicherung zuständigen Bundespolizei, dass sie … entlang der Schweizer Grenze für diese neue Situation personell und materiell gestärkt wird. Von der Politik erwarte ich, dass die Bundespolizei vorübergehend Grenzkontrollen an diesem Grenzabschnitt durchführen darf.“
Sicherheitskonferenz in Konstanz
Natürlich nimmt Oberbürgermeister Uli Burchardt diesen Ball dankend auf. Er sorgt sich um seine – noch dazu in Kommunalwahlkampfzeiten! – von Horden marodierender ausländischer Schwerverbrecher bedrohten MitbürgerInnen und hat sich bei den zuständigen Stellen erkundigt, wie die Eröffnung des Kreuzlinger Zentrums sich auf die Sicherheitslage auswirkt. Das Ergebnis: „Die Sicherheitslage ist völlig unauffällig“, passiert ist also rein gar nichts. Das ist natürlich alarmierend und erzeugt verstärkten Handlungsbedarf. Deshalb hat sich Burchardt unter anderem auch mit dem baden-württembergischen Innenministerium zum Wohle der Konstanzer BürgerInnen verbündet und eine wichtige Zusage erreicht: Noch vor der Sommerpause wird es hier in Konstanz eine gemeinsame Sicherheitskonferenz im Sinne von Prävention und Aufklärung geben.
Also: Passiert ist nichts, Kriminalität bisher wie gehabt bei null, aber trotzdem veranstalten wir mit großem Tamtam eine „Sicherheits“konferenz, wie es sie schließlich nicht alle Tage gibt, und das auch noch mit dem erklärten Ziel, Gerüchten vorzubeugen. Welcher Art diese Gerüchte sein könnten, verrät der OB leider nicht. Dass er damit sicher nicht das seit bereits zwei Wochen grassierende Gerücht meint, dass sich eine abzuschiebende Person aus dem Kreuzlinger Asylzentrum umgebracht hat, darf man nur vermuten. Ebenso meinte er sicher nicht das Gerücht, dass einige der Betroffenen wegen akuter Suizidgefahr in der Psychiatrie in Münsterlingen untergebracht sind. Ein Schweizer fasste seine Empörung über das Ausschaffungszentrum und die nach seinen Angaben absehbare Welle von Suizidversuchen seemoz gegenüber so zusammen: „Die sollen sich wohl bei uns aufhängen, statt den Rückflug anzutreten. Das ist weder naiv noch blöd. Das ist schlicht zynisch, und sie sparen damit auch noch die Rückführungskosten. Und wer muss das letztlich alles ausbaden? Die Auszuschaffenden und das völlig überforderte Personal im Asylzentrum und in der Psychiatrie.“
Populismus pur
Während Uli Burchardts Ausführungen vor dem Gemeinderat konnte denn die in der Flüchtlingsarbeit engagierte Rätin Zahide Sarikas (SPD) auch nur gequält lächeln. Nach ihren Erfahrungen werden sich diejenigen, die sich der Ausschaffung in Kreuzlingen entziehen, eher versuchen, bei Landsleuten in der Schweiz unterzukommen, denn es habe sich längst rumgesprochen, dass ein Leben als Illegaler in Deutschland auch kein Zuckerschlecken sei. Außerdem sei das alles – auch angesichts der geringen Zahl von 300 dort untergebrachten Menschen – viel populistischer Krawall um nichts.
Man muss sich tatsächlich fragen, was den Oberbürgermeister hier umtrieb, aber ein Blick auf den kommunalpolitischen Kalender zeigt, dass ja am 26. Mai Kommunalwahlen sind. Wer wie der Oberbürgermeister auf eine breite bürgerliche Mehrheit hofft, kann da schon mal in Versuchung kommen, ein wenig auf der Law-and-Order-Welle mitzureiten. Auch wenn die AfD in Konstanz nicht zur Gemeinderatswahl antritt, können sich deren Sympathisanten (und potenziellen Wähler!) in diesem Umfeld bestens aufgehoben fühlen. Eine AfD braucht es nun wirklich nicht mehr in Konstanz.
O. Pugliese (Text & Bild)
Quellen:
► Pressemitteilung von Landrat Frank Hämmerle
► Mitteilung des schweizerischen Staatssekretariates für Migration
Die „Bild“-Zeitung ist ja rasend schnell, steht das Asylzentrum in Kreuzlingen doch „erst“ seit 30 Jahren an der selben Stelle. Die einzige Änderung: Neuerdings werden dort nicht mehr Neuankömmlinge sondern Ausreisepflichtige untergebracht. Dass die mit grosser Wahrscheinlichkeit persönlich in einer sehr schwierigen Lage sind, sollte klar sein. Aber dass deshalb der Sicherheitsnotfall für Konstanz ausbricht, ist nicht anzunehmen. Sogenannt renitente Ausreisepflichtige kommen nämlich nicht nach Kreuzlingen – die werden in einem Zentrum im Schweizer Jura irgendwo im Nirgendwo untergebracht. Der Herr Landrat sollte zudem mal bei Google-Maps nachschauen, wo Embrach liegt (das er ja erwähnt), bevor er in die Lande fragt, warum das Ausreisenzentrum nicht in Flughafennähe stehe. Wo ist Embrach? Richtig – beim Flughafen Zürich. Wäre das dortige Zentrum noch näher am Flughafen, stünde es auf der Flugpiste.
Danke für diesen Beitrag. Panikmache und Zuspitzung à la Bildzeitung waren noch nie gute Ratgeber. Das Boulevardblatt titelte am 8. März: „Schlaue Schweizer öffnen Flüchtlingsheim!“
Tatsache ist: Die Zahl illegaler Einreisen aus der Schweiz hat im Südwesten 2018 weiter abgenommen. Laut einer Sprecherin der Bundespolizei wurden insgesamt 3716 Menschen in Baden-Württemberg aufgegriffen, im Jahr zuvor waren es 5127.