Wolfsperger-Film auf großer Tour
Mit seinem Film „Scala Adieu! – Von Windeln verweht“ hat der Filmemacher Douglas Wolfsperger offensichtlich einen Nerv getroffen. Große Medien wie „Süddeutsche Zeitung“ und „Stuttgarter Zeitung“ berichteten ausführlich, und die Münchener AZ titelte „Ein Film zur Gentrifizierung“. Wolfsperger hat sein Werk bisher in einem Dutzend Städte präsentiert und anschließend mit BürgerInnen und Offiziellen diskutiert. Vom 4. bis 16. April gibt es weitere Vorführungen hier in der Gegend.
„Ich bin derzeit schon froh, wenn ich mal für eine Nacht in meinem eigenen Bett schlafen kann, ehe es weitergeht,“ stöhnt Wolfsperger über seine Tour zu Erstaufführungen in ganz Deutschland, deren Strapazen er schon von früheren Filmen her kennt. „Ohne Geld fürs Marketing ist es nicht einfach, einen Film im Kino unterzubringen, da hilft eine solche Tour natürlich, das Publikum zu gewinnen und Kontakte auch zu weiteren Kinos zu knüpfen.“
Diskussionsstoff
Medien und Zuschauer haben jedenfalls bisher sehr zustimmend auf den Film reagiert, vor allem natürlich in Kommunen, in denen wie in Tübingen mit dem „Arsenal“ ebenfalls ein traditionsreiches Qualitätskino von der Schließung bedroht ist.(3) Fürs dortige Publikum zeigt Wolfspergers Film ein abschreckendes Beispiel dafür, weshalb man die Schließung auf jeden Fall verhindern sollte. Die Zuschauer nehmen gerade in solchen Städten nach der Vorführung oft lebhaft an den in vielen Orten organisierten Diskussionen mit Stadtplanern, Architekten und Betroffenen teil. Dass sich ausgerechnet in Tübingen niemand aus der Verwaltung an der Diskussion beteiligen wollte (oder durfte), wie das filmecho 12/2019 berichtete, spricht natürlich Bände.
In vielen Städten sind die Menschen aber auch – unabhängig von der Lage der Kinos in ihrer eigenen Stadt – einfach sehr neugierig darauf, was „da unten“ im anheimelnden letzten Zipfele Deutschlands so alles passiert. Der epd film, der Pressedienst der evangelischen Kirche und jeglicher systemkritischer Reflexe gänzlich unverdächtig, formulierte es so: „… das wirklich Bedrückende an diesem Film ist die kulturpolitische Ignoranz der Konstanzer Politiker, angefangen vom CDU-Oberbürgermeister Uli Burchardt bis hin zum Kulturbürgermeister Andreas Osner, der sogar die Proteste verteufelt. Da gibt es kein Wort des Verständnisses, keinen Hauch eines Bedauerns. Da kann der OB von der ’schönsten Stadt der Welt‘ und nachhaltiger Entwicklung daherreden – man hat aber den Eindruck, dass er und seine Kollegen den Ausverkauf ihrer Stadt betreiben.“(1)
Dokument der Gentrifizierung
Offensichtlich wird „Scala Adieu!“ zumeist aber nicht als Film über ein spezifisch konstanzerisches Problem verstanden, sondern als filmischer Ausdruck eines allgemeinen Trends zur Kommerzialisierung von Städten, koste es, wen es wolle. Es gibt aber auch Kommunen, wo sein Werk zu Wolfspergers Freude in weiterhin funktionierenden oder in den letzten Jahren gar geretteten Qualitätskinos gezeigt werden kann. „Manchmal bin ich geplättet, welch tolle Programmkinos sich noch erhalten haben, etwa die ‚Schauburg‘ in Karlsruhe. Das ist ein echter Palast mit Kronleuchtern. Und dieses Kino funktioniert, und das mitten in der Stadt, also in einer ‚kinounüblichen Lage‘, wie unser Konstanzer Oberbürgermeister sagen würde. Dort gibt es einen guten Kinoleiter, der einen direkten Draht zum Publikum hat – und in Karlsruhe ist das kein anderes Publikum als in Konstanz.“
In Fürstenfeldbruck, einer Kleinstadt bei München, war das „Lichtspielhaus“ in einer ähnlichen Lage wie das „Scala“ damals in Konstanz, denn die Kinobetreiberin hatte auch ein Multiplex und steckte in einem Interessenkonflikt. Das Kino wurde von einem engagierten Betreiber übernommen, und die Stadt hat die Immobilie gekauft, „so dass die dort in Ruhe gutes Kino machen können“.(2) Es gibt in ganz Deutschland Modelle, in denen die Kommune bedrohten Qualitätskinos echtes Interesse entgegengebracht hat.
Nun kann ein Filmemacher einem ja viel erzählen. Also habe ich eine Verwandte im Norddeutschen gefragt, was ihr denn von diesem Film in Erinnerung geblieben sei. Als habe sie nur auf diese Frage gewartet, platzte es, so richtig friesisch herb, aus ihr heraus: „Ihr habt aber einen drolligen OB.“
O. Pugliese (Foto: Douglas Wolfsperger [hinten] mit ZuschauerInnen in Hannover, © Douglas Wolfsperger)
Nächste Termine
In Konstanz im K9 wird es am 14. und 21.5., jeweils um 20 Uhr, Zusatz-Vorstellungen geben. Am 14.5. wird Douglas Wolfsperger für ein Filmgespräch dabei sein.
Quellen
(1) https://www.epd-film.de/filmkritiken/scala-adieu-von-windeln-verweht
(2) https://www.kino-ffb.de/de/ig-lichtspielhaus
(3) https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.tuebinger-arsenal-vor-dem-ende-kino-gebaeude-droht-abriss.b0c2235a-7657-47de-8691-799e68c90680.html
Ein ernüchterndes Beispiel für den schnöden Ausverkauf unserer Innenstädte und das Opfern kultureller Institutionen… großer Respekt gegenüber dem Regisseur für sein Engagement, dieses zu dokumentieren, wo viele andere dies nur achselzuckend zur Kenntnis nehmen… Der Film sollte ein Mahnmal für viele andere Städte und Verantwortliche sein, sich einer solchen Entwicklung nicht bedingungslos anzuschließen und zu unterwerfen.
Ich fand es erschreckend, in dem Film zu erleben, wie selbstverständlich die Kunstform Film im „Scala“ ignoriert und verkauft wurde, und wie Geldgier, Macht und Profit das Ruder übernommen haben … Träume, Visionen, Ziele und Kreativität sollten wir uns niemals wegnehmen lassen.