Konstanz ist in der Bundesliga
Konstanz hat beim Fahrradklima-Test 2018 des ADFC hervorragend abgeschnitten. Es ist in seiner Größenordnung der Aufholer der letzten beiden Jahre und nimmt außerdem unter den 111 bewerteten Städten mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern bundesweit den 3. und in Baden-Württemberg den 1. Rang ein. Der Fahrradbeauftragte Gregor Gaffga hat in den wenigen Jahren seiner Tätigkeit viel bewirkt und nahm dafür gestern zusammen mit Oberbürgermeister Uli Burchardt in Berlin an der Auszeichnungszeremonie teil.
Welche Stadt punktet mit besonders familienfreundlichem Radverkehr? Wie sicher fühlen sich Radfahrende auf deutschen Straßen? Und wo müssen Städte ansetzen, um den Radverkehr noch besser zu fördern? Der Fahrradklima-Test 2018, die nach Angaben der Veranstalter weltweit größte Umfrage zur Zufriedenheit von RadfahrerInnen mit den Verkehrsangeboten in ihren Heimatkommunen, suchte nach Antworten. Damit eine Kommune überhaupt in die Bewertung kam, musste je nach Größe eine bestimmte MindestteilnehmerInnenzahl erreicht werden.
170.000 BürgerInnen haben sich 2018 an der Umfrage beteiligt – das sind 40 Prozent mehr als 2016. 74 Prozent der TeilnehmerInnen fahren täglich Rad und kennen die Bedingungen in ihrem Ort genau, und das auch aus der Autoperspektive, denn 75 Prozent steht ein Pkw zur Verfügung.
Das Sicherheitsgefühl sinkt
Insgesamt sind die Bewertungen laut ADFC insgesamt „alarmierend: Die Note für die Fahrradfreundlichkeit sank von 3,81 (2016) auf 3,93. Damit ist das Radklima in Deutschland nur ausreichend. Auch das Sicherheitsgefühl hat sich auf 4,16 verschlechtert. 81 Prozent möchten getrennt vom Autoverkehr Rad fahren, bei den Frauen sind es sogar 86 Prozent.“
Das von VerkehrsplanerInnen propagierte Konzept der Schutzstreifen, die sich kostengünstig mit etwas Farbe an den rechten Fahrbahnrand mitten zwischen fahrende und parkende Autos pinseln lassen, überzeugt also die potenziellen Todesopfer auf zwei Rädern nicht. Sie wollen Radwege, die vom Autoverkehr baulich zum Beispiel durch einen Bordstein deutlich getrennt sind, und das nicht ohne Grund. Seit Jahren ist zu beobachten, wie die Umgangsformen der herrschenden Klasse und ihrer Büttel gegenüber wirtschaftlich und/oder physisch schwächeren Menschen verrohen – etwa am Arbeitsplatz und in der Politik. Da nimmt es kaum Wunder, dass auch die Angst der RadfahrerInnen vor den physisch weit überlegenen AutofahrerInnen steigt, die in unserer entsolidarisierten Gesellschaft, in der angespitzte Ellenbogen gesellschaftliche Achtung verschaffen, mit größtem Vergnügen immer rücksichtsloser und zynischer draufhalten. Dies ist natürlich nicht nur ein Gefühl, sondern durch die Verkehrsstatistik belegt, denn „insgesamt sind 2018 auf Deutschlands Straßen 455 Fahrradfahrer ums Leben gekommen. Ein Anstieg von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr“, meldete Der Spiegel gerade. Und das bei sonst rückläufigen Blutspuren und Leichenfetzen auf Deutschlands Straßen. Dass beispielsweise bei tödlichen Rechtsabbiegerunfällen die Schuld nur in 20% der Fälle bei den RadfahrerInnen liegt, muss da nicht noch eigens betont werden.
Eine Insel der Seligen?
Wie aber sieht es in Konstanz aus? Hier haben 437 Menschen den Fragebogen des ADFC ausgefüllt. Das entspricht 52 TeilnehmerInnen pro 10.000 EinwohnerInnen, was bundes- wie landesweit in der Kategorie Auskunftsfreudigkeit jeweils zu einem Platz am Ende des ersten Drittels der 683 ausgewerteten Kommunen reichte. (Den Spitzenplatz hält diesbezüglich übrigens das oberbayerische Seeshaupt am Starnberger See mit 286 Rückmeldungen pro 10.000 EinwohnerInnen, die anscheinend geschwätzig wie die Elstern sind.)
Schon beim letzten Test im Jahr 2016 hatte Konstanz ja bestens abgeschnitten. Damals nahmen 174 KonstanzerInnen teil und verhalfen Konstanz mit einem Notenschnitt von 3,4 zu einem 11. Platz im Bund und auch damals schon zum 1. Platz in Baden-Württemberg. Dieses Mal gaben die RadlerInnen der Bodenseemetropole die Note 3,1, Konstanz hat sich also seit 2016 erheblich verbessert, und zwar mehr als jede andere deutsche Kommune.
Auffällig, aber auch verständlich ist, dass bundesweit die guten Noten vor allem an kleinere und mittlere Kommunen gingen. Wer sich nicht täglich durch den Großstadtdschungel mit Straßenbahnschienen, Autobahnzubringern und Messeschnellwegen kämpfen muss, ist natürlich besserer Laune, wenn er sein Veloziped besteigt.
Wo aber liegen die Stärken von Konstanz im Vergleich mit anderen Städten gleicher Größenordnung, wo die Schwächen? Die größten Schwächen sehen KonstanzerInnen vor allem in Sachen Fahrraddiebstahl, Wegweisung und Fahrradmitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln. In den anderen 24 Kategorien wie Ampelschaltungen, Winterdienst und – ja! – Medienberichterstattung liegt die Stadt gut im Rennen.
So, und jetzt erzählen Sie das alles besser nicht weiter, sonst wird uns Gregor Gaffga noch von selle Schwobaseckel in Stuttgart oder dem FahrradClub Bayern München mit einem fetten Handgeld abgeworben.
Der Text: MM der Stadt Konstanz/O. Pugliese
Das Foto: Zeigt Gregor Gaffga in seinem Element und wurde von Harald Borges aufgenommen.
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www.fahrradklima-test.de/
Auf der Petershausenerstraße: neuerdings scheinbar eine Fahrradstaße, drücken sich Radfahrende, wenn sie nicht im Pulk unterwegs sind, deutlich an den Straßenrand. Offensichtlich zu ihrer Sicherheit.
Zwei Versuche von mir eher mittig zu fahren, d.h. den Raum zu nutzen, der mir als Radfahrerin scheinbar zusteht, endeten damit, dass ich ziemlich „flott“ von mehreren Autos überholt, geschnitten wurde. Sicherheit sieht anders aus!
Eine echte Fahrradstraße würde solche Überholmanöver verhindern, indem die Radfahrenden durch Erhöhungen z.B. in der Mitte geschützt wären. Damit wäre es nicht möglich, schnittig an ihnen vorbeizurasen. Besser noch, die Straße für den Autoverkehr zu sperren.
Aber das ist ein Sakrileg hier in Konstanz!
Genug der Lobhudelei… Allein die Konzeption der Petershauser Straße als Radstraße ist schon hirnrissig, sieht man sich die Folgen für die Buslinie, vor allem aber für die Radfahrer an. Sie werden einem Meer von Blechkarossen ausgesetzt. Ein Blick auf die Einmündung in die Spanierstraße genügt. Berücksichtigt man die Haltung Burchardts vor der Planung dazu, könnte man auf eine Verschwörungstheorie kommen: Daß die Problematik der Buslinie bewußt eingebaut wurde, um den Unsinn einer Fahrradstraße nachzuweisen. Eine Verschwörungstheorie, klar. Was aber ist mit der Praxis?
Für diesen Schildbürgerstreich hätte Burchardt bei der Veranstaltung ebenso wie dem Diesel-Stinkminister Scheuer faule Eier und Tomaten gebührt. Gaffga hätte einen Blumenstrauß verdient. Aber der auch nur verwelkt und durch Abgase vergiftet.
Konstanz hat das Zeug zu einer echten Radstadt, weil sie sich topographisch und von der Flächenausdehnung her als solche gut eignet.
Doch: Auf der einen Seite ist in einem urbanen Radius von 8-10 km das Fahrrad das schnellste und effektivste Verkehrsmittel. Auf der anderen Seite steht das Auto im Bundesdurchschnitt 23 von 24 Stunden pro Tag, was einen unangemessen hohen Flächenverbrauch bedeutet. Diesen Flächenverbrauch gilt es den Menschen zur Steigerung der Lebensqualität und besserem Erhalt der Gesundheit nach und nach wieder zurück zu geben.
Die Stadt Konstanz ist auf einem guten Weg zu einer echten Radstadt, Gregor Gaffga leistet hier gute Arbeit.
Aber sie hat sich erst auf den Weg gemacht. Es gilt, im Sinne des benchmarking ein Ziel zu setzen, das dem einer echten Radstadt wie Münster, Kopenhagen etc. entspricht: Die Steigerung des Anteils der Radfahrer am Modal Split der Verkehrsteilnehmer auf 40% und mehr. Und – dem dazugehörigen Ausbau einer sicheren und lückenlosen Radinfrastruktur wie zum Beispiel eindeutigen und geschützten Radstraßen, sowie dem gleichzeitigen Rückbau und der Verengung von Autostraßen, der Ausweitung von Verkehrsberuhigten Zonen, Geschwindigkeitsbegrenzung, etc.
Nur so lässt sich eine tatsächliche Verkehrswende auch in Konstanz bewerkstelligen – eine Wende, die die Sorgen unserer Kinde bei FFF ernst nimmt und realistische Lösungsmöglichkeiten anbietet.
Beim Gedanken an die samstäglichen Zustände z.B. auf der Bodanstraße ist auch dieses (etwas windelweiche) Gespräch zwischen ADAC, ADFC und Fuss e.V. über die Verkehrswende lesenswert … Hier klicken.
Gratulation an die „Fahrradstadt Konstanz“ kann man da nur sagen und mancher Singener wird – wie so oft – mal wieder neidische Blicke in Richtung Große Kreisstadt werfen. Unsere schöne „Einkaufs-, Kultur-, Sport- und Chancenstadt“ hat wie schon 2014 und 2016 wieder mit der mauen Note 4,0 abgeschnitten. Damit belegt sie also gerade mal Rang 196 von insgesamt 311 Städten in der Größe von 20.000 bis 50.000 EinwohnerInnen und liegt auf Platz 35 von insgesamt 50 in Baden-Württemberg bewerteten Städten. Mitgemacht haben beim adfc-Fahrradklimatest gerade mal 179 Personen, was rd. 37 TeilnehmerInnen pro 10.000 EinwohnerInnen entspricht – da hätten doch gern noch ein paar mehr den Fragebogen ausfüllen dürfen; ob es aber die Bewertung geändert hätte, ist eher fraglich. Und dass das „Ausreichend“ an die gerade erst zur „Radkulturstadt 2019“ gekürte Hegaumetropole wie ausgespuckter Kaugummi auf den edlen Hegaustraßen-Kacheln klebt, geht ganz sicher nicht auf das Konto der Singener Radfahrbeauftragten Petra Jacobi. Diese macht nämlich seit gut einem Jahr einen tollen Job und hat auch schon einiges angestoßen und umgesetzt (wovon manche Maßnahme auf ein bereits 2012 ausgearbeitetes, danach aber in der Schublade sanft schlummerndes Radfahrkonzept zurückgeht) – z.B. ist immerhin eine erste Fahrradstraße geplant. Kein Wunder aber, dass es nur in sehr kleinen Schritten vorangeht, denn Singen will weiter „Autostadt“ bleiben: ein Prädikat, das bislang eine Mehrheit im Gemeinderat hartnäckig verteidigt (auch wenn jetzt in den Wahlkampfwochen von dem einen oder der anderen ganz unerwartet verkehrs- und klimawende-freundliche Töne zu vernehmen sind), an dem das Gros der Einzelhändler panisch festhalten will – weil sie offenbar meinen, nur Kunden, die mit dem SUV bis ins Ladengeschäft hineinfahren können, seien auch gute Kunden – und weil die Zahl der überzeugten AutofetischistInnen nicht sinken will. Ob in Singen eine Verkehrswende ernsthaft gewollt ist, darf daher heftig bezweifelt werden. Mit dem neuen Konsumtempel, dessen Wachsen und Gedeihen dieser Tage gerade wieder überschwänglich gepriesen wird, wird es sicher keine Entlastung vom motorisierten Individualverkehr geben. Ein Fahrradparkhaus am Bahnhof soll zwar vorgesehen sein, aber kein Radweg, der zwischen Cano-Center und Hauptbahnhof über den neu betonierten Bahnhofsvorplatz führen wird. Dafür „haben wir keinen Platz mehr“, so teilte – laut Südkurier (9.4.2019) – OB Häusler bei einer Stadtführung interessierten Bürgern lapidar mit. Die zahlreichen Großbaustellen tragen ohnehin nicht zur Anhebung der Fahrradfreundlichkeit bei, und es ist daher gut möglich, dass es auch 2020 wieder die Note 4 geben wird (wenn nicht schlechter). Interessant übrigens noch, dass zu Singens Stärken im Städtevergleich „Werbung für das Radfahren“ gehört! Aber wie weit ist „Werbung“ in Zeiten von alternativen Wahrheiten und Greenwashing noch vom Bluff entfernt?
Doch Zahlen sind relativ und ein Blick in das Gesamtergebnis des adfc-Fahrradklimatests 2019 wirkt sehr, sehr ernüchternd: Die durchschnittliche Gesamtwertung aller Städte in Singens Größenklasse ist 3,9, also liegen wir nur 0,1 Punkte unter dem Durchschnitt. Und im Vergleich zu Konstanz würde ein Schüler sagen, „so groß ist der Unterschied zwischen 3,1 und 4,0 nun auch nicht“. Was ja stimmt, Noten zwischen 3 und 4 sind kein Grund zum Jubeln. Da trifft das Sprichwort, dass unter Blinden der Einäugige König sei, eher zu, denn es gibt überall – ob Groß-, Mittel- oder Kleinstadt – noch viel zu verbessern.