In Konstanz und Singen: Heraus zum 1. Mai

Seit 1889, seit dem Gründungskongress der Zweiten Internationale, gilt der 1. Mai als „Internationaler Kampftag der Arbeiter­bewe­gung“. Und er wird noch immer gefeiert, mit unterschiedlicher Intensität. Während er von vielen Gewerkschaften in anderen Ländern mit Großkundgebungen begangen wird, ver­läuft der Tag in unserer Region eher gemäch­lich. Aber trotzdem: Ein wichtiges Datum im Gewerkschaftskalender ist er auch hier – in Singen wie in Konstanz.

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Mit dem Beschluss, den 1. Mai künftig jährlich zu begehen, gedachten die SozialistInnen der Zweiten Internationalen dem Haymarket Massaker, das drei Jahre zuvor, rund um den 1. Mai 1886, in Chicago stattgefunden hatte. Damals waren die ArbeiterInnen für ihre Forderung nach dem Achtstundentag massenhaft auf den Straßen unterwegs und in Streiks getreten. Die Unternehmen reagierten mit Aussperrungen und riefen die Polizei, die Versammlungen stürmte und Streikende erschoss. Der Konflikt eskalierte zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf mehrere Polizisten und rund zwei Dutzend ArbeiterInnen starben; mehrere „Rädelsführer“ wurden später hingerichtet.

Die Geschichte des 1. Mai ist lang und konfliktreich – zu komplex, um sie hier angemessen darzustellen. Daher an dieser Stelle nur ein kurzer Rückblick im Schnelldurchlauf:

► Ein Versuch der SPD, den 1. Mai zu Beginn der Weimarer Republik als gesetzlichen Feiertag durchzusetzen, scheiterte schnell am heftigen Widerstand der bürgerlichen Parteien und des Kapitals.

► 1924 wurden in Deutschland 1.-Mai-Kundgebungen unter freiem Himmel verboten.

► 1928 erließ der Berliner Polizeipräsident Karl Zörgiebel (SPD) ein allgemeines Demonstrationsverbot, das später vom SPD-Innenminister auf ganz Preußen ausgeweitet wurde und auch für den 1. Mai 1929 galt – an das sich allerdings KPD-Mitglieder nicht halten wollten. Beim darauffolgenden Polizeigemetzel starben 33 ZivilistInnen.

► 1933 erhoben die Nationalsozialisten, denen im Januar die Macht übergeben worden war, den 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag – zum „Tag der nationalen Arbeit“ (daher auch die Bezeichnung des 1. Mai als „Tag der Arbeit“, die heute noch durch die Medien geistert). Am darauffolgenden Tag, den 2. Mai, stürmten die Nazis die Gewerkschaftshäuser, beschlagnahmten das Vermögen der organisierten ArbeiterInnenbewegung und schalteten die Gewerkschaft aus.

► Nach der Nazidiktatur blieb der 1. Mai in Deutschland ein Feiertag – allerdings mit gänzlich anderen Inhalten. Während er beispielsweise in Nordrhein-Westfalen als „Tag des Friedens und der Völkerversöhnung“ firmierte, wurde er in der DDR und anderen Staaten des Ostblocks als „Internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus“ begangen.

Es hat mithin viele Bezeichnungen für diesen Tag gegeben. Der Begriff „Kampftag der internationalen Arbeiterbewegung“ wäre angemessen, konnte sich aber hierzulande nicht durchsetzen – genauso wenig wie die vielleicht schönste Parole zu diesem Anlass, die im Zuge der 68er-Bewegung aufkam: „Hoch die Arbeit, so hoch, dass niemand dran kommt.“

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Und in der Region? Ein bisschen Geschichte hat der 1. Mai auch hier. So spendierten zu Beginn der Besatzungszeit die französischen Militärbehörden in Konstanz den KundgebungsteilnehmerInnen Rotwein. So versammelten sich am 1. Mai 1946 im Konzil 2000 ArbeiterInnen zur Gewerkschaftsfeier. Und so forderte am 1. Mai 1975 der damalige Konstanzer DGB-Vorsitzende Erwin Reisacher am Ende der Maikundgebung auf dem Obermarkt die Versammelten zu einer Demonstration auf: für einen öffentlichen Zugang zum Seeufer. Und fast alle zogen mit – die Seestraße entlang bin zum Yachthafen und den Villengrundstücken, deren Besitzer die Seegrundstücke okkupierten, und dann über die Zäune hinweg. Dieser Akt des zivilen Ungehorsams hat erst ermöglicht, was heute viele KonstanzerInnen als selbstverständlich vorkommt: Der freie Zugang zum Seeufer musste erkämpft werden.

Programm in Konstanz und Singen

Solche Aktionen sind vom diesjährigen 1. Mai eher nicht zu erwarten. Trotzdem: Der Tag bleibt ein wichtiger Termin für widerständige Initiativen und Bewegungen.

In Konstanz beginnt die 1.-Mai-Feier um 11 Uhr; Versammlungsort ist – wie auch in den vergangenen Jahren – die Hansegartenstraße beim DGB-Haus an der Beyerlestraße. Die Hauptrede hält Andre Fricke, der DGB-Bezirksjugendsekretär von Baden-Württemberg. Danach sprechen Klaus Hanser (Personalratsvorsitzender der Technischen Betriebe Konstanz) über Niedriglöhne und Wohnungsnot sowie Edith Eberhardt (Personalratsvorsitzender des ZfP-Reichenau) über die Situation in der Pflege. Außerdem referiert ein/e VertreterIn der Konstanzer FridayForFuture-Bewegung. Für Getränke sorgt der ver.di-Ortsverein, Essen kocht das Solibündnis Rojava. Ab 12.30 Uhr spielen die Gruppen „Dienstag is Damensauna“ und „The Sound Monkeys“. Auch Infostände wird es geben, beispielsweise vom gewerkschaftlich unterstützten Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel, und wohl auch von Parteien. Schließlich ist Wahlkampf.

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In Singen ist auch dieses Jahr wieder ein Volksfest geplant, beginnend mit einem Gottesdienst in der Herz-Jesu-Kirche (9.30 Uhr), es folgt der Maiumzug zur Scheffelhalle (10.15 Uhr), wo Barbara Resch, Tarifsekretärin der IG Metall Baden-Württemberg, um 11 Uhr die Hauptrede hält. Anschließend ist Unterhaltung angesagt: Zuerst „Kapo Brothers & Friends“ mit sozialkritischen Songs, dann tritt der „Zirkus Klarifari“ auf, es folgt eine „Man Cover Show“ und am Schluss spielt die Rockband „The Voice“. Essen wird natürlich auch angeboten, ebenso Kinderschminken und (bei gutem Wetter) eine Hüpfburg.

Und wer weiß: Vielleicht kommt ja doch noch eine Überraschung – wie damals 1975. Auf jeden Fall bieten die Feste engagierten Initiativen die Gelegenheit zur Vernetzung.

pw (Grafik: DGB)