Wenn Müll mit Eis belohnt wird
Am 19. Mai wird in unserem Nachbarland mal wieder abgestimmt. Passend zum nahe am Muttertag liegenden Datum ist eine der Vorlagen sehr mütterlich-pädagogisch aufgebaut. Sie folgt dem Prinzip „wenn ich will, dass das Kind etwas ihm Unangenehmes tut, verspreche ich ihm etwas, was es gerne mag, das aber mit dem Unangenehmen nichts zu tun hat“. Worum geht es genau?
Wenn Milena oder Julian den stinkenden Müll nicht runter bringen wollen, dann verspricht Mama ihnen ein Eis, wenn sie’s trotzdem tun. In der am 19. Mai vorgelegten Abstimmungsbotschaft geht es um eine Unternehmenssteuer-Reform (USR) und staatliche Zahlungen in die Rentenkasse (AHV). Je nachdem, wen es betrifft, unterscheiden sich die Ansichten darüber, was der Müll und was das Eis ist.
Und weil beide Geschäfte in vorhergehenden Abstimmungen Bruchlandungen erlitten, haben Regierung (Bundesrat) und Parlament (National- und Ständerat) die abgelehnten Vorlagen umgestaltet und neu zu einem einzigen Päckchen zusammengeschnürt. Das Kalkül ist dasselbe wie bei Mama: Willst du das Eis, musst du eben auch den Müll runterbringen. Dieses Mal scheint das „Mama-Konzept“ aufzugehen – zumal im Herbst Wahlen sind und es sich kaum eine Partei mit den Stimmberechtigten verderben will.
Steuer-Privilegien abschaffen
Aber der Reihe nach: Die Schweiz bietet bisher ausländischen „Statusgesellschaften“ wie beispielsweise Holdinggesellschaften steuerliche Vorteile, die inländische Firmen nicht bekommen. Das betrifft rund 24.000 Unternehmen, die rund 5 Milliarden Franken Steuern bezahlen und etwa 150.000 Arbeitsplätze bieten.
Gegen deren steuerliche Bevorzugung haben sich nicht etwa die inländischen Firmen gewehrt, sondern die OECD und die EU, die darin einen unlauteren Steuer-Wettbewerb mit anderen Staaten sehen. Damit die Schweiz nicht international sanktioniert wird, muss das Steuerrecht geändert werden. Ein erster Anlauf dazu – gleich niedrige Steuern für alle Unternehmen – scheiterte 2017. Der Widerstand war vor allem aus politisch linken Kreisen gekommen.
Mit der Ablehnung war aber die OECD-Forderung noch immer nicht erfüllt. Die nun vorliegende USR sieht eine leichte Anhebung der Steuern für Statusgesellschaften und eine Senkung für alle anderen Unternehmen vor. Zudem will sie unter anderem Patente und Forschung steuerlich begünstigen. Dieses Mal sollen die Steuerausfälle auf Bundesebene noch 2 Milliarden Franken betragen, statt wie letztes Mal 3 Milliarden.
Bei der AHV Zeit erkaufen
Gleichzeitig soll die Alters- und Hinterbliebenen-Versicherung (AHV) jährlich zusätzliche 2 Milliarden Franken aus allgemeinen Steuermitteln bekommen. Die AHV leidet – genau wie die deutsche Rentenversicherung, wenn auch nicht im selben Ausmaß – unter der Tatsache, dass es immer mehr Rentner, aber immer weniger Zahlende gibt.
Der Versuch einer umfassenden AHV-Reform ist ebenfalls kürzlich gescheitert. Hier kam der Widerstand von Seiten der FDP und der SVP, die etwas dagegen hatten, dass der geplante Leistungsabbau teilweise kompensiert werden sollte. Weil mit der Ablehnung aber das Problem nicht behoben ist, soll durch die zusätzlichen Mittel mindestens ein zeitlicher Aufschub erreicht werden.
„Müll“ und „Eis“ in einer „Tüte“
Nun haben USR und AHV eigentlich nichts miteinander zu tun. Weder juristisch noch inhaltlich. Weshalb die Verknüpfung der beiden Anliegen die Frage aufwirft, ob damit nicht gegen die gesetzliche Vorschrift verstoßen wird, wonach bei solchen Vorlagen zwingend die „Einheit der Materie“ gewahrt sein muss – also nicht Dinge verknüpft werden dürfen, die nicht zusammengehören.
Mit diesem Argument hatte die SVP sich im Nationalrat gegen die Vorlage ausgesprochen – und dabei von unerwarteter Seite Unterstützung bekommen: Grüne und Grünliberale wandten sich auch dagegen. Im Parlament unterstützten SP, FDP und CVP die Vorlage. Wobei innerhalb der Sozialdemokraten die Gewerkschaften – vor allem jene aus der Westschweiz – ausscherten. Die Volksabstimmung erzwangen dann Gewerkschaften, Grüne und SVP.
Jetzt allerdings stehen die Grünen und die Grün-Liberalen alleine mit ihrer Ablehnung. Die Gewerkschaften unterlagen innerhalb der SP den Befürwortern – und bei der SVP konnte die Parteileitung gerade noch verhindern, dass ihr die Basis mit einer öffentlichen Befürwortung in den Rücken fiel. Die Partei hat deshalb Stimmfreigabe beschlossen.
Lieselotte Schiesser