Singen: Klimademo am Tag der „Erdüberlastung“
Just am diesjährigen Tag der „Deutschen Erdüberlastung“ (3. Mai) fand in Singen die nunmehr vierte Klimastreik-Aktion statt: bei ungemütlichem, nass-kalten Regenwetter von 13.30 Uhr bis 14.30, außerhalb der Schulzeit, um auch hier ein Zeichen gegen den Vorwurf des „Schwänzens von Unterricht“ zu setzen. Beeindruckt zeigten sich die jungen AktivistInnen natürlich davon, dass Konstanz als erste Stadt Deutschlands den Klimanotstand ausgerufen hat.
Die noch immer recht kleine, aber standhafte Gruppe zog erneut durch die August-Ruf-Straße zum Heinrich-Weber-Platz. Und auch dieses Mal gab es drei beachtens- und bemerkenswerte Redebeiträge, die nachfolgend in Auszügen wiedergeben werden. Doch zuvor ein Abstecher in die Historie:
Blick zurück auf jahrzehntelanges Missachten aller Warnungen
Kennen Sie die Bücher „Our Plundered Planet“ und „The Limits of Earth“ des US-Naturwissenschaftlers Fairfield Osborn, erschienen 1948 und 1953 – also in den Jahren, als die Großeltern der heutigen FfF-AktvistInnen selbst noch SchülerInnen waren? Höchstwahrscheinlich werden diese beiden Titel nur (noch) wenigen Fachleuten bekannt sein. Damals erreichten sie eine Auflage von über 20 Millionen. Osborn warnte darin eindringlich vor einer weiteren Ausbeutung der Ressourcen unserer Erde. Seine Warnungen wurden nicht erhört, vor allem, weil sie sich nicht mit den Zielen des Kalten Krieges vereinbaren ließen. Schon bekannter ist aber bestimmt der Bestseller „Die Grenzen des Wachstums“, 1972 vom Club of Rome herausgegeben und über 30 Millionen Mal in 32 Sprachen verkauft. Und die 1970er Jahre waren denn auch die Jugendzeit der Eltern der heutigen SchülerInnen.
Seit den 1970er Jahren ist zwar so manches geschehen: eine Umweltpartei und neue Umweltorganisationen gründeten sich, „Think globally, act locally“ und „Jute statt Plastik“ waren bekannte Slogans, Umweltministerien wurden eingerichtet, Klimakonferenzen abgehalten, Klimaziele festgelegt … Aber mit welchem Ergebnis? Der Rohstoffhunger wurde trotz aller Warnungen weiter ins Extreme getrieben, unser Planet wird weiter im Interesse des kapitalistischen Gebots eines stetigen Wirtschaftswachstums gnadenlos ausgebeutet, jeden Tag werden weltweit 130 Arten ausgerottet und mit unserem Plastikmüll könnten wir die Erde einmal komplett umwickeln, die Erderwärmung steigt weiter an … (Wer sich für das Thema unserer Erdzerstörung seit dem industriellen Zeitalter interessiert, dem sei dieser Film empfohlen.)
Forderung an die Politik: Ende der Leichtigkeit
Nun, endlich, zeigt uns bei den weltweiten Fridays-for-Futures eine Generation, dass sie diese unverantwortliche Leichtigkeit, mit der die Politik die gesamte Menschheit auf einen Abgrund zusteuern lässt, nicht länger hinnehmen will. Es kann und darf nicht so weitergehen, und falls doch, werden die Folgen todbringend sein, so der Tenor der Rede von Matteo Möller:
„Da unsere Politiker sich leider nicht so um die wunderschöne Natur, die faszinierende Tierwelt und vor allem um die einzigartige Artenvielfalt unserer Mutter kümmern und sorgen, mal ein paar wirtschaftliche und wissenschaftliche Fakten, nur für Sie. Vielleicht ist dann auch Herr Lindner zufrieden. Vielleicht merkt Herr Lindner dann, dass, anders als seine Fotos, das Leben – unser Leben – nicht nur schwarz-weiß ist.
Bis 2050 werden wir 13 Milliarden Euro ausgeben müssen, aufgrund von Überflutung und Dürre. Dazu kommen 19 Milliarden Euro Schäden im Tourismussektor (Skipisten). Der Gesundheitssektor trägt 37 Milliarden Euro bei. Durch eine zirka 20-prozentige Steigerung der Energiepreise kommen 130 Milliarden Euro dazu. In der Finanzwirtschaft kommen 100 Milliarden Euro dazu. Alles in allem landen wir bei 800 Milliarden Euro bis 2050 an direkten oder mit dem Klimawandel verbundenen Schäden. Ohne Gegenmaßnahmen wird diese Zahl bis 2100 auf 3000 Milliarden Euro steigen. Diese Zahlen kommen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Also, auch wenn man kein Naturfreund ist oder meint, dass das Verhindern oder zumindest die Verminderung des Klimawandels mit zu hohen wirtschaftlichen Kosten verbunden seien, dann animieren diese Zahlen doch zum Handeln. Der Klimawandel ist viel dramatischer für die Wirtschaft als der so gefürchtete Kohleausstieg oder das Verbot der Einwegkunststoffe.
Worauf also warten Sie, Frau Merkel? – Darauf, dass der Eisbär zum Fisch wird? Darauf, dass wir in Hannover oder Dortmund direkt vom Stadion zum Strand gehen können? Worauf wartet ihr? – Darauf, dass ihr in Zukunft keinen Grill mehr brauchen werdet, um euer Lidl- Rindfleisch zu garen? Wartet ihr darauf, an eurem eigenen Kot zu ersticken? Nein, ihr wickelt euren Kindern eure Plastiktüten um den Hals. […]
Durch den Klimawandel werden über 170 Millionen Menschen zu Flüchtlingen. Über 170 Millionen Menschen verlieren ihr geliebtes zu Hause. Sie müssen alles zurück lassen und in einem fremden Land, mit einer fremden Sprache und einer fremden Kultur leben. Wir in Deutschland dagegen haben mit unserer geographischen Lage ein ziemliches Glück. Vor allem wir im Süden werden von dem Anstieg des Meeresspiegels so gut wie gar nicht betroffen sein. Obwohl wir scheinbar den Jackpot geknackt haben, heißt es nicht, dass wir uns einfach zurücklehnen und nichts machen können.
Jeder von uns kann, muss und wird kleine Sachen in seinem Alltag ändern. Auch wenn ihr sie vielleicht zum tausendsten Mal hört: Man kann öfters mit dem Fahrrad fahren oder die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, auch wenn sie nicht immer ganz zuverlässig sind. Man kann auch beim Einkaufen darauf achten, so gut es geht, plastikfrei zu kaufen und darauf schauen, was für Produkte man kauft. Auch unsere lokale Politik kann viel beitragen: Sie können Radwege ausbauen, die öffentlichen Verkehrsmittel attraktiver machen, lokale Produzenten unterstützen und in erneuerbare Energie investieren.
Also lasst uns gemeinsam unsere Mitmenschen, die lokalen Politiker und die Politiker in Berlin dazu animieren, mehr für unsere Umwelt zu tun, sodass wir auch noch in 20, 30 und 100 Jahren die wunderschöne Natur, die fantastische Tierwelt und vor allem die besondere Artenvielfalt bezeugen dürfen. Damit wir, unsere Kinder und Enkel noch die Chance haben, einen knuffigen Eisbären zu sehen oder in den atemberaubenden, bunten Korallenriffen zu tauchen. Am besten wär’s, wenn wir dafür nicht in den Zoo müssten. Wenn wir nicht durch Plastik und Tod tauchen müssten, um an den weißen leblosen Korallen Nemos und Dorys Leichen vom Boden zu kratzen. […]“
Und anschließend kritisierte auch Daniel Stoll die Bundesregierung: „Es ist unsere Aufgabe, unsere Regierungen daran zu erinnern, dass wir ihr Versprechen [Kyoto-Protokoll, Pariser Klimaabkommen] nicht vergessen haben. […] Es schockiert mich, mit welcher Leichtigkeit die Klimaziele 2020 verschoben werden. Jahrelange Planung wird mit einem Schulterzucken verworfen, ich versichere jedem einzelnen hier, dass das Erreichen dieser Ziele nicht an zu hohen Erwartungen scheitert, sondern an der Unwilligkeit der Bundesregierung, ernsthafte Schritte zur Verringerung der CO2-Emission zu treffen. Die inneren Streitereien, die unseren ganzen Bundestag plagen, zeigen oft auf, wie tief die Spaltung in Deutschland nicht nur auf politischer, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene ist. […]“
Seit dem 3. Mai brauchen wir drei Erden
Auf den Tag der „Deutschen Erdüberlastung“ nahm Benjamin Janke Bezug. Der Erdüberlastungstag wird jedes Jahr vom Global Footprint Network errechnet: Wäre der Ressourcenverbrauch der Weltbevölkerung so groß wie in Deutschland, dann hätte sie schon bis zu diesem Zeitpunkt die regenerierbaren Ressourcen verbraucht, die ihr für das gesamte Jahr zur Verfügung stehen. Um einen solchen Verbrauch nachhaltig zu decken, bräuchten wir drei Erden. Seit dem 3. Mai leben wir Deutschen daher auf Kosten kommender Generationen und der Menschen im globalen Süden, die deutlich weniger verbrauchen, aber stärker von den ökologischen Folgen betroffen sind. Siehe auch hier: https://germanwatch.org/de/overshoot
„[…] eigentlich ist es schade, dass wir hier sein müssen, um von der Politik zu fordern, sich an die Wissenschaft und ihre eigenen Verträge zu halten. Und genau das fordern wir! Wir fordern, dass die Politik die Erkenntnisse und Warnungen der Wissenschaft ernst nimmt und alles Notwendige tut, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten […] Auf europäischer Ebene gehört Deutschland zu den Ländern, die immer wieder die Klimaschutzziele untergraben. […] Im Moment wird im Bundestag eine CO2-Steuer von 20 Euro pro Tonne diskutiert. Aber laut Umweltbundesamt liegt der Schaden, den eine Tonne CO2 verursacht, bei 180 Euro. Das ist der Preis, den wirklich jeder zahlen sollte, der uns mit einer Tonne CO2 die Zukunft wegnimmt. Doch stattdessen zahlen wir! Jeder der ordentlich seine Steuern bezahlt, finanziert damit auch die Nutzung der fossilen Energieträger. […] Laut Bundesumweltamt sind dies mehr als 45 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Subventionen müssen ein Ende haben“, so die von Benjamin Janke artikulierten Forderungen.
Die Singener FfF-AktivistInnen haben nun auch eine eigene Homepage, auf der sie sich, ihre Forderungen, eigene Plakate u.v.m. vorstellen. Weitere MitstreiterInnnen, Ideen und Kontakte sind willkommen. Regelmäßige Streiktermine sind alle drei Wochen geplant und werden auch auf der Homepage bekannt gegeben. Konstanz, die Stadt, die als allererste in Deutschland den Klimanotstand ausgerufen hat, gilt ihnen als Vorbild. Die Hoffnung, dass Singen sich dieser Resolution anschließen wird, ist groß.
Singens Beitrag zum Klimaschutz: Shoppen mit dem Helikopter
Am Wochenende wurde von Handel, Wirtschaft (Interessensgemeinschaft IG Süd) und Stadtmarketing in Singens Südstadt die alle zwei Jahre stattfindende „Leistungsschau Auto & Lifestyle“ präsentiert. Allein schon der Name ist – Umwelt- und Klimaschutz ignorierendes – Programm, passt aber zur Autostadt Singen, seiner Automeile und seinen Automuseen. Aber dass hier jetzt auch mit besonders preisgünstigen Helikopter-Rundflügen geworben wird und es Flüge mit diesen zum „Event-Shoppen“ zu gewinnen gab (und auch in Zukunft geben soll), muss schon als Verhöhnung jeglicher Forderung nach Klimaschutz, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und Verbesserung der Fahrradinfrastruktur gewertet werden. Oder sollte das ein neues Konzept für die autofreie Innenstadt – statt Seilbahn – sein? Denn wem noch nicht bekannt: Der Vorsitzende der IG Süd ist Dirk Oehle, amtierender Gemeinderat und beim jetzigen Kommunalwahlkampf einer der drei Spitzenkandidaten der Neuen Linie.
Uta Preimesser (Foto: Dieter Heise)