Was nicht geheim ist, soll öffentlich sein

Wenn vor allem Gemeindepräsidenten (Bürgermeister) gegen eine Thurgauer Volksinitiative Sturm laufen, dann fragt man sich unwillkürlich: Warum? Wenn es um die Volksinitiative „Offenheit statt Geheimhaltung – für transparente Behörden“ geht, über die am 17. Mai abgestimmt wird, dann kann man die Frage mit „Angst vor Machtverlust“ beantworten.

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Die Initiative will im Thurgau das bisher gepflegte Prinzip umkehren, wonach nur jene Akten bei Behörden zur Einsicht frei sind, bei denen das ausdrücklich erlaubt ist. Künftig soll alles öffentlich einsehbar sein, was nicht ausdrücklich geheim erklärt ist. Letzteres soll auch weiterhin zum Beispiel für Akten der Sozialbehörden gelten. Die Initiative fordert: „Der Kanton, die politischen Gemeinden und Schulgemeinden gewähren Einsicht in amtliche Akten, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen“.

Akteneinsicht für alle

Damit könnte Jede und Jeder Akteneinsicht fordern und die Gemeinden oder deren „ChefInnen“ müssten begründen, warum sie diese verwehren. Bisher müssen BürgerInnen und/oder JournalistInnen begründen, warum sie bestimmte Entscheide oder Sitzungsprotokolle sehen wollen. Und den „ChefInnen“ steht es dann frei, dieses Recht zu gewähren oder eben zu verweigern.

Zwingend müssen die Behörden bisher nur rechtssetzende Erlasse veröffentlichen, darunter fallen neue Parkverbote oder Änderungen von Bauvorschriften. Über ihre weitere Tätigkeit müssen die Behörden zwar informieren – aber sie entscheiden selbst, worüber und in welcher Art sie das tun. Manche Gemeinden sind mitteilungsfreudig, andere vertrauen eher darauf, dass sich im Dorf von alleine herumspricht, was im Gemeindehaus (Rathaus) besprochen wurde.

Einige Kommunen haben zudem ein Parlament, dessen Beratungen überwiegend öffentlich sind. Andere lassen die Stimmberechtigten an Gemeindeversammlungen entscheiden, die üblicherweise nur von etwa zwei bis acht Prozent der Berechtigten besucht werden. Andere haben weder das Eine noch das Andere. Manche veranstalten regelmäßig Pressekonferenzen, andere nie. Wer dann wissen will, wie eine Entscheidung zustande gekommen ist, der ist auf das Wohlwollen der Behörde – meistens des/der GemeindepräsidentIn – angewiesen. Die Initiative will das ändern.

Parteien dafür, Gemeindepräsidenten dagegen

Entstanden ist sie, weil zuvor im Kantonsparlament entsprechende Vorstöße scheiterten. Auch dieses Mal sah die Kantonsregierung keinen Handlungsbedarf. Sie argumentierte damit, dass im Thurgau „die Wege kurz“ seien und die Behörden mit der Bevölkerung gut vernetzt. Aber dieses Mal versagte das Parlament der Regierung mehrheitlich die Gefolgschaft: es sprach sich mit 57 zu 50 Stimmen für die Initiative aus. Und alle Parteien folgten diesem Kurs.
Das sagt aber nicht, dass es keine Gegner gäbe: Ein Komitee aus 54 bürgerlichen Politikern (keine Politkerinnen) – davon 31 Gemeindepräsidenten – wehrt sich gegen das, was sie als „Schnüffelei“ bezeichnen. Interessanterweise hat sich keiner von diesen Besorgten gegen Schnüffelei gewandt, als es kürzlich um die Zulassung von Versicherungsdetektiven gegen Sozialhilfeabhängige ging.

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Die Gegner befürchten, die Neuregelung erfordere einen großen Verwaltungsaufwand, um die Gesuche zu bearbeiten. Dem widersprechen nicht nur die Initianten, sondern auch die Erfahrungen des Bundes und der großen Mehrzahl der Kantone, die dieses Öffentlichkeitsprinzip längst haben – der Bund seit 2006. Außer dem Thurgau gibt es nur noch zwei weitere Kantone, die es nicht kennen: Luzern und Obwalden. Sogar Appenzell Innerrhoden hat sich Ende April bei der Landsgemeinde für das Öffentlichkeitsprinzip entschieden. Große Kantone wie Zürich und Bern kennen die Regelung seit Jahren. Bern seit 1995 – nirgends mussten deswegen neue Stellen geschaffen werden.

Lieselotte Schiesser