Konschtanzerisch isch’s konschtanzerischer
In letzter Zeit wurde in Konstanz viel über ein Kurzstreckenticket gelästert, das – sehr zum Ärger vieler älterer MitbürgerInnen – ausschließlich per Smartphone-App verfügbar sein soll. Das ist gewiss ein Schildbürgerstreich. Aber stellen wir uns mal die umgekehrte Frage: Was erleben Menschen, die in Konstanz die App „Mein Konstanz“ als Orientierungshilfe für den Nahverkehr und sonstige Mobilitätsbedürfnisse verwenden wollen? Hier der knappe Erfahrungsbericht eines weitgehend Orientierungslosen.
Nicht nur die zumeist älteren und mobilitätseingeschränkten Mitmenschen, die mangels Smartphone vergebens nach dem neuen Kurzstreckenticket schmachten sollen, hegen den Verdacht, dass die Stadtwerke Konstanz auf mindestens einem Auge blind für die Bedürfnisse ihrer potenziellen Fahrgäste sind.
Nein, auch jenen, die etwa vom Winterersteig in die Weberinnenstraße gelangen wollen, tritt die von den Stadtwerken verantwortete App „Mein Konstanz“ mit dieser unterschwelligen Feindseligkeit entgegen, die mensch von vielen Dienstleistern und Behörden aller Couleur nun einmal gewöhnt ist. Was Auskünfte über Bus oder gar Bahn per App anbelangt, sind die für den Konstanzer öffentlichen Personennahverkehr unverzichtbaren Stadtwerke Konstanz jedenfalls besonders rückschrittlich und von einer ernstzunehmenden Mobilitätslösung denkbar weit entfernt.
Weder Tagliatelle noch Ticket
Die App „Mein Konstanz“ ist so etwas wie eine eierlegende Wollmilchsau, will man dem Eigenlob Glauben schenken: „Was passiert in Konstanz heute Abend? Wann fährt mein Bus? In welchen Restaurants gibt’s einen günstigen Mittagstisch? Egal, ob Sie die Parksituation vor Ort interessiert, Sie einen Termin beim Bürgerbüro vereinbaren wollen, auf Schnäppchenjagd gehen oder einfach nur die aktuellsten News Ihres Lieblingsvereins auf dem Smartphone lesen möchten: Mein Konstanz ist ihr praktischer Alltagsbegleiter. Hier bekommen Sie alle Infos in einer App – natürlich gratis. Laden Sie die App jetzt runter und bringen Sie mehr Konstanz ins Leben!“
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Ich nehme es vorweg: Wenn Sie in dieser App nach einem Mittagstisch suchen, haben Sie ihn bis zum nächsten Frühstück noch nicht gefunden, das ist ebenso heiße Luft wie die Drohung mit der Schnäppchenjagd. Vernünftige Mobilitätsinformationen und ein ordnungsgemäßer Fahrscheinverkauf sind allerdings auch eher das Kerngeschäft der Stadtwerke als Tagliatelle an Tomatenerbrochenem für 6,90 oder T-Shirts made in Bangladesch im Zwölferpack.
Sollte man jedenfalls meinen.
Frage nur, was Du schon weißt
Also, App heruntergeladen und gestartet, her mit mehr Konstanz im Leben! Wie also komme ich am besten vom Winterersteig in die Weberinnenstraße, wo ich endlich mal wieder ein paar fesche Fliesen shoppen will?
Hoffnungsfroh gehe ich in der App auf „Fahrinfo“ und tippe unter „Abfahrt“ ins Feld „Adresse“. Die Tastatur plöppt auf, und ich beginne zu tippen: „Winterersteig“ soll das werden. Aber schon nach den ersten beiden Buchstaben „wi“ werden mir nur noch die Geschwister-Scholl-Schule und die Reute/Winkelstraße angeboten. Der Winterersteig ist den Stadtwerken einfach unbekannt. Dass die App auch die Weberinnenstraße nicht kennt, lässt sich vielleicht noch eher verschmerzen, denn dort steppt meistens wahrlich nicht der Bär.
Welche „Fahrinfo“ erhalte ich dann aber überhaupt von „Mein Konstanz“, immerhin der offiziösen App der Stadtwerke, irgendetwas muss sie mir doch zu bieten haben?
Ich habe lange gebraucht, es auszuprobieren und noch länger, es dann auch noch zu glauben: Diese App sagt mir, wann und mit welchen Bussen ich von welcher Haltestelle zu welcher Haltestelle (!) komme.
Dazu muss ich aber erst einmal herausfinden, wie die Haltestellen heißen, die sich am nächsten bei meinem geplanten Start und Ziel befinden. Die angebliche „Adress“eingabe ist pure Verarschung, man darf nur Haltestellen (und nicht Adressen) eingeben. Und die Haltestellen muss man mühsamst und mit einiger Ortskenntnis über die Markierungen in einem Stadtplan heraussuchen. Wer also nicht schon von vornherein weiß, wo Winterersteig oder Weberinnenstraße liegen, lässt besser die Finger davon.
Wenn Sie aber schon wissen, wo der Winterersteig liegt, dann können Sie in „Mein Konstanz“ unschwer herausfinden, dass zum Beispiel die Haltestelle Gartenstraße die nächstgelegene für Sie ist. Eine sehr praktische Fahrplanauskunft für all jene Mitmenschen also, die sich mit Konstanz und seinem Bussystem bestens auskennen – selbst wer nur wenige Monate in Konstanz als BusfahrerIn gearbeitet hat, wird nichts vermissen.
Ortsfremde aber sind mit dieser App verraten und verkauft. Google Maps etwa ist da deutlich besser, dort wird Ihnen dieselbe Strecke als Fuß-, Rad- oder kombinierte Bus-/Fußstrecke berechnet und in einer Karte markiert, damit Sie sich nicht verlaufen oder verfahren und Ihre Bushaltestelle finden. Google bereitet den Konstanzer Busfahrplan also wesentlich sinnvoller und kundenfreundlicher auf als die Stadtwerke Konstanz, die diesen Busfahrplan ja machen.
Kirchturmdenken
Wie kommt das?
Machen wir uns auf Spurensuche: Ein anderes Beispiel für eine wesentlich auskunftsstärkere App und eine echte Mobilitätslösung, die auch über Rad-, Fuß- und Autoverkehr umfassend und verständlich informiert, ist etwa die des GVH Großraumverkehrs Hannover, um ein beliebiges Beispiel herauszugreifen. Hat mensch dort nach Eingabe der Start- und Zieladresse (!) seine Idealroute, etwa eine ziemlich frei konfigurierbare Kombination aus Fußweg und Busfahrt, gefunden, lässt sich dann auch gleich noch das nötige Ticket erwerben. Und das funktioniert für den gesamten Großraum Hannover, versteht sich.
Aber das ist ja anderswo, darum arbeitet die App „Mein Konstanz“ auch gar nicht erst mit der VHB-App für den Landkreis Konstanz zusammen und orientiert sich offensichtlich auch nicht an anderswo schon seit vielen Jahren funktionierenden Apps.
Eine umfassende Mobilitätslösung? Pustekuchen. So etwas braucht man in Konstanz ja auch nicht, weil man auf Biegen und Brechen das Rad neu erfinden muss, denn konschtanzerisch isch’s konschtanzerischer. Darum gibt man auch gern viel Geld für eine selbstgemachte Fahrplanauskunft in der App aus, die Suchenden deutlich weniger (!) Informationen anbietet als etwa die längst existierende Elektronische Fahrplanauskunft. Die sieht zwar vorsintflutlich aus, liefert aber brauchbare Informationen, auch für den Weg vom Winterersteig in die Weberinnenstraße und zurück.
Merken Sie etwas? Da obwaltet Kirchturmpolitik reinsten Wassers, da denken BürokratInnen, die mit ihrem Dienstbleistift niemals eine Privatnotiz machen würden, bis exakt an die eherne Grenze ihres Zuständigkeitsbereichs und keinen Millimeter weiter. Wer diese Grenze überschreiten will, soll sehen, wo er bleibt. Die Bedürfnisse jener Menschen, die den ÖPNV möglichst flexibel, weiträumig und unkompliziert in ihrem Mobilitätsmix nutzen wollen, spielen in diesem System geistiger Selbststrangulation keine Rolle.
Was die App wirklich an Hilfestellungen bietet, das ist nichts weiter als die elektronische Übertragung der althergebrachten gedruckten Fahrplanbüchlein der Stadtwerke, die auf eine liebevoll versponnene Art auch noch im Jahr 2000 den frischen Geist der fünfziger Jahre atmeten.
Aber immerhin: In welchem Parkhaus gerade wie viele Parkplätze frei sind, das verraten einem die Stadtwerke Konstanz in ihrer App auf einen Blick, da sind sie ganz auf der Höhe der Zeit.
Das ist eine wahrlich originelle Perspektive auf den Verkehr der Zukunft.
O. Pugliese (Text, Screenshots und Bildbearbeitung)
Alle Zugriffe erfolgten am 05.05.2019
Quellen: App „Mein Konstanz“ unter Android, http://www.meinkonstanzapp.de/
App „MeinKonstanz“ habe ich deinstalliert.
Trotz Heimatliebe und dem ansprechenden Design.
Die „Fahrinfo“ taugt wirklich nichts. Hat mich schon Nerven und € 24,50 gekostet, weil sie Fronleichnam nicht als Feiertagsfahrplan erkannte und ich mit Mühe und Not per Taxi meinen Zug noch erreichte.
Am 31.7.2019 suche ich eine Busverbindung zum Konstanzer Bahnhof für den folgenden Sonntag, Ankunft 10 Uhr. Die App empfiehlt, um 18:56 über Singen, Basel, und Frankfurt nach Aschaffenburg zu fahren!
Mir gefällt die App „Citymapper“ am besten. Sie gibt für die bisher erfassten Städte nicht nur systemübegreifende Punkt-zu-Punkt-Verbindungen einschliesslich der nötigen Fußwege an, sondern aktualisiert das auch kontinuierlich, denn sie kennt die Positionen der Züge/Busse/Schiffe in Echtzeit.
D.h. sie korrigiert die Verbindung bei Umleitungen, Ausfällen und Verspätungen der Fahrzeuge und zeigt beispielsweise an, wenn mein Bus 5 min später kommt.
Prinzipiell kann sie auch systemübegreifende papierlose Tickets erzeugen. Die erst am Ende des Tages entscheiden, ob Kurzstrecken, Normaltickets, oder Tageskarte für mich günstiger gewesen wären, und nur den niedrigsten Betrag abbucht. Das funktioniert aber im Moment nur in London. (London ist sowieso der heilige Gral für ÖV-Planer.)
Die App hatte ich auch mal installiert, in der Hoffnung, dass sie wenigstens aktuelle Ereignisse wie mehrstündige ungeplante Streckensperrungen der Bahn (damals aktuell ein Kran auf den Gleisen) melden kann. Nicht unwichtig für Pendler.
Gut, manches ist sicher auch mangelnde Kommunikation der Bahn, das weiß ich nicht. Aber nicht mal da wurde man informiert.
Aktuelle Stauinformationen, Ereignisse, Planungsvorhaben, … Fehlanzeige.
Schätzungsweise ein Jahr hatte ich sie, ohne Nutzen daraus gezogen zu haben. Eine App allein macht noch keine Information, da fehlten die, die die Fäden zusammenhalten hätten sollen, um sie mit Leben zu füllen.
Fazit: Zeit- und Geldverschwendung. Stückwerk. „Konstanz im Leben“ halt, stimmt also schon.
Apropos App: KonRAD scheint ebenfalls in die Kategorie Marketing-Heißluft-App „Hauptsache es gibt eine App und wir können uns mit Aktionen brüsten“ zu gehören, wurde mir gesagt von einem Leidtragenden. Aber das ist Hörensagen …
PS aus eigener Erfahrung … Man muss die Verantwortlichen und die Durchführenden solcher (teilweise HYPE-Mitmach)-Aktionen verpflichten, diese selbst zu nutzen. Das würde zu ungeahnten Qualitätssteigerungen führen. Stadtwerke-Leitung mal komplett auf Bus/ÖPNV und KonRAD, Elektromobilität. Dann einfach ein paar Monate warten und die Ergebnisse ernten.
Herrlich.
Danke für diesen Artikel, der den Nagel auf den Kopf trifft!
Ich muss irgendwie an meinen Wortbeitrag beim letzten Open Government Dialog denken: Warum muss eigentlich jede Stadt ihre eigene (Multi-)Modalitäts-App entwickeln?
Wegen einer Seilbahn das ganze Spektakel!? Ist das überhaupt Rechtens, dafür die Polizei zu instrumentalisieren?
Nun ja, Schildbürgerstreiche sind ja nun echt nichts Neues hier und es wird auch nicht der letzte gewesen sein. Ich hatte beispielsweise gerade das Vergnügen, eine Stunde lang im Stau zu stehen, weil die Stadt Konstanz einfach mal für eine Verkehrsbefragung zur Feierabendszeit eine Spur der neuen Rheinbrücke gesperrt hat und jeden einzelnen Fahrer befragen ließ. Klar ist man nicht erfreut als Pendler – die Stunde hätte man auch gerne anders verbracht – aber ich dachte mir: Hey, vielleicht geht jetzt ja mal was in Sachen ÖPNV und ich bin in Zukunft vielleicht irgendwann mal genauso schnell (oder annähernd so schnell) mit ÖPNV zwischen Haustür und Arbeitsplatz unterwegs wie mit dem Auto. Ich würde sofort umsteigen.
Angepisst war ich dann aber, als ich dann – endlich – daheim mal nachrecherchierte: „Die Ergebnisse der Verkehrsbefragungen sollen Einsicht darin geben, wie sich der Kfz-Verkehr in und durch die Stadt bewegt. Die aus der Erhebung gewonnen Erkenntnisse sind sowohl für die Entwicklung des Hafners als auch für weitere verkehrliche Untersuchungen, wie zum Beispiel die Potentialanalyse zur Seilbahn, erforderlich.“ (Quelle). Seilbahn? Ist das Ding immer noch nicht durch? Was ist hier die Idee? Habe ich da jetzt eine Stunde im Stau gestanden, damit (Einkaufs-)Touristen (denen gebe ich da keine Schuld – aber manchmal reicht es echt) zwischen Drogeriemarkt und defizitärem BoFo über die Dächer der Altstadt schweben können? Was nen Quatsch…
Super recherchierter Artikel. Heute wird im Südkurier über Björn Fischer berichtet, den seit Herbst 2018 installierten Digitalisierungsbeauftragten im Referat des OB. Herr Fischer erwartet eine Unzahl von Koordinations- und Projektinitiierungs sowie Projektsteuerungsarbeit, um Konstanz zu einer Smart City zu begleiten und dem OB zu entsprechenden Lorberblättern zu verhelfen. Sollte dies nicht gelingen wäre die neu geschaffene Stelle eine weitere Fehlinvestition wie so manch anderes gross angekündigtes Projekt, – siehe Bodenseeforum.