Rudolf Steiner in Paris
„Abrakadabra kadibar kadabra – Palle – palle! Muff! Muff! Muff! Zauberer in einem Kindertheater.“ So leitet Kurt Tucholsky – Ignaz Wrobel ist eines seiner vier Pseudonyme – eine Reportage über einen Abend mit Rudolf Steiner aus dem Jahr 1924 ein. seemoz bringt diese Satire des größten Satirikers deutscher Sprache zum Auftakt einer Artikel-Serie über die Waldorfpädagogik – zugeschickt von einem wohlwollenden Konstanzer Leser.
Rudolf Steiner, der Jesus Christus des kleinen Mannes, ist in Paris gewesen und hat hier einen Vortrag gehalten. Es war eine streng geschlossene Gesellschaft, man hatte mich nicht eingeladen, und so hatte ich Gelegenheit, den Ausführungen Herrn Steiners zu lauschen.
Mit Paris hatte die Veranstaltung nicht allzuviel zu tun. Sie fand im Saal einer hiesigen wissenschaftlichen Gesellschaft statt, die nur die Räume, nicht die Wissenschaftlichkeit dazu gegeben hatte, und sie war in der Hauptsache von jenem ein wenig internationalen Mischmasch verbogener Menschen besucht, die ihr Manko auf Steiner abgewälzt haben: wenn aber eine den Geliebten nicht bekommen kann, einer gekündigt, einer überhaupt unbefriedigt ist, so ist das noch kein Grund, in der Philosophie umherzuschludern.
Steiner trat auf. Der erste Eindruck: Klöpfer als Tartuffe. Auch eine gewisse Ähnlichkeit mit Alfred Abel ist da – aber ohne dessen schönes Auge. Im ganzen sieht Steiner aus wie ein aus den Werken Wilhelm Buschs entlaufener Jesuit: Bauernschädel, gefalteter Komödiantenmund, Augen, die sich beim Sprechen nervös schließen und nur manchmal – in ff. Dämonie – die Zuschauer ansehen. Man hatte mir gesagt, dass ganze Nationen diesem Zauber unterliegen.
Ich habe so etwas von einem unüberzeugten Menschen überhaupt noch nicht gesehen. Die ganze Dauer des Vortrages hindurch ging mir das nicht aus dem Kopf: Aber der glaubt sich ja kein Wort von dem, was er da spricht! (Und da tut er auch recht daran.)
Der Prophet sprach deutsch. Nach je zehn Minuten pausierte er, und dann übersetzte Jules Sauerwein vom Matin das, was er gesagt hatte, ins Französische, übrigens ausgezeichnet.
Das Ganze war ausdrücklich als einleitender Vortrag angesagt, ich kann also verlangen, dass ich bei einigermaßen gutem Willen zum mindesten verstehe, was da vorgetragen wird. Es ergab sich, aus dem verblasenen und in mißverstandener Terminologie abgefaßten Zeug herausgeschält, dies:
Der Mensch ist imstande, durch schärfste Konzentration zu drei Stufen der Erkenntnis vorzudringen: zu der imaginären, der inspirierten und der intuitiven. Nun wäre der Spott über die menschliche Unbeholfenheit, von diesen Dingen zu Neulingen klar zu sprechen, sehr billig – ich weiß, wie schwer es ist, einem Blinden klarzumachen, was das bedeutet: violett. Und da gibt es nur ein Kriterium dafür, ob jemand die Wahrheit sagt oder schwindelt: das ist die kristallklare Selbstüberzeugtheit.
Nichts davon.
Sein Gerede wimmelte von Fehlern: ob ein Bügeleisen wirklich heiß oder nur »eingebildet heiß« sei, zeige das Leben. Das ist falsch. Schon Charcot hat herausgefunden, dass Hysterische sich am kalten Eisen »wirklich« verbrennen, und dass diese Empfindungen rein subjektiv sind. Wenns mulmig wurde, rettete sich Steiner in diese unendlichen Kopula, über die schon Schopenhauer so wettern konnte: das Fühlen, das Denken, das Wollen – das »Seelisch-Geistige«, das Sein. Je größer der Begriff, desto kleiner bekanntlich sein Inhalt – und er hantierte mit Riesenbegriffen. Man sagt, Herr Steiner sei Autodidakt. Als man dem sehr witzigen Professor Bonhoeffer in Berlin das einmal von einem Kollegen berichtete, sagte er: »Dann hat er einen sehr schlechten Lehrer gehabt –!«
Und der Dreigegliederte redete und redete. Und Sauerwein übersetzte und übersetzte. Aber es half ihnen nichts. Dieses wolkige Zeug ist nun gar nichts für die raisonablen Franzosen, die grade in der Philosophie eine außerordentlich klare und präzise Ausdrucksweise lieben (daher sie selbst für die echten Mystiker wie Angelus Silesius nicht viel übrig haben). Neben mir saß ein alter Herr mit den vernünftigen, braunen Augen des gebildeten Franzosen: sie tränten ihm – so litt er unter der Schläfrigkeit. Die Zuhörer schliefen reihenweise ein; dass sie nicht an Langerweile zugrunde gingen, lag wohl an den wohltätigen Folgen weißer Magie.
Immer, wenn übersetzt wurde, dachte ich über diesen Menschen nach. Was für eine Zeit –! Ein Kerl etwa wie ein armer Schauspieler, der sommerabends zu Warnemünde, wenns regnet, im Kurhaus eine »Réunion« gibt, alles aus zweiter Hand, ärmlich, schlecht stilisiert … und das hat Anhänger –! Wie groß muß die Sehnsucht in den Massen sein, die verlorengegangene Religion zu ersetzen! Welche Zeit –!
Sein »Steinereanum« in der Schweiz haben sie ihm in Brand gesteckt, eine Tat, die durchaus widerwärtig ist. Es soll ein edler, kuppelgekrönter Bau gewesen sein, der wirkte wie aus Stein. Er war aber aus Holz und Gips, wie die ganze Lehre.
Der Redner eilte zum Schluß und schwoll mächtig an. Wenns auf der Operettenbühne laut wird, weiß man: Das Finale naht. Auch hier nahte es mit gar mächtigem Getön und einer falsch psalmodierenden Predigerstimme, die keinen Komödianten lehren konnte. Man war versucht, zu rufen: Danke – ich kaufe nichts.
Der Redner hatte geendet. Mäßiger Beifall pritschelte. Auch zu Anfang waren nur zwei Reihen Unentwegter ehrfürchtig bei seinem Nahen aufgestanden, wie vor einem Gott oder einem besiegten General.
Und nur eines kann ich nicht verstehen, wenn ich die Figur dieses Menschen betrachte, der mit Hartleben herumgesoffen hat, und von dem man sagt, er habe in diesen fröhlichen Kneipnächten die Figur des »Serenissimus« erfunden –:
Christian Morgenstern liebte ihn. Dieser feine, gütige, hohe und tiefe Geist liebte Rudolf Steiner. War das Weltfremdheit? Ist dennoch wirklich etwas hinter dem Gerede dieses unüberzeugten, unsereinen nicht überzeugenden, geschwollenen Predigers? Spricht das gegen Morgenstern? Für Steiner? Ich weiß es nicht.
Autor: Ignaz Wrobel (Die Weltbühne, 03.07.1924, Nr. 27, S. 26)
lieber dieter kief,
danke für deine zeilen. indes: auch nach mehrmaligem lesen bin ich nicht dahinter gekommen, was du mit deiner kritik im detail meinst. ob du mich grobstofflichen gesellen aufklären magst?
holger
Uhu! –
– juhu: Ein kanonischer Tucholsky – : was es in Konstanzer Buchläden für aufmerksame und „wohlwollende“ Zuhörer gibt, wunderbar!
Gott, so steht es im Religionsheft des Merkur, lacht nicht; aber wir hier unten lachen über solche Sachen – und das erhellt die trübe Szenerie in Paris auf das Feinste und Närrischste. Doll!
– Nicht janz dolle, ein wenig aber auch zum Lachen, was seemozz betrifft: Zuerst wird der sternengleiche Text fühllos auseinandergerissen, doch prompt gehen im Rahmen dieser Notoperation zwei Gänsefüßchen ihrer eigenen Wege, sodass ein original Tucholsky-Satz für die verwackelte Einleitung der Redaktion geradestehen muss.
– Oh Herr, befiehl uns Deiner Wege / Sie sind verschlungener noch / Als das Stilfserjoch / „Juppheidi u. juppheida!“ (K. Maurer sel.)
D. Kief
Tucholsky: großartig!
Sehr gut getroffen:
„Je größer der Begriff, desto kleiner bekanntlich sein Inhalt – und er hantierte mit Riesenbegriffen. Man sagt, Herr Steiner sei Autodidakt. Als man dem sehr witzigen Professor Bonhoeffer in Berlin das einmal von einem Kollegen berichtete, sagte er: »Dann hat er einen sehr schlechten Lehrer gehabt –!«“
Hier ein Beispiel für Rudolf Steiners autodidaktische Erkenntnis:
„[…] Wenden wir das auf den Menschen selber im Weltenraum an. Sehen wir uns zunächst die Schwarzen in Afrika an. Diese Schwarzen in Afrika haben die Eigentümlichkeit, daß sie alles Licht und alle Wärme vom Weltenraum aufsaugen. Sie nehmen das auf. Und dieses Licht und diese Wärme im Weltenraum, die kann nicht durch den ganzen Körper durchgehen, weil ja der Mensch immer ein Mensch ist, selbst wenn er ein Schwarzer ist. Es geht nicht durch den ganzen Körper durch, sondern hält sich an die Oberfläche der Haut, und da wird die Haut dann selber schwarz.
So daß also ein Schwarzer in Afrika ein Mensch ist, der möglichst viel Wärme und Licht vom Weltenraum aufsaugt und in sich verarbeitet. Dadurch, daß er das tut, wirken über den ganzen Menschen hin die Kräfte des Weltenalls so. (Es wird gezeichnet.) Überall nimmt er Licht und Wärme auf, überall. Das verarbeitet er in sich selber. Da muß etwas da sein, was ihm hilft bei diesem Verarbeiten. Nun, sehen Sie, das, was ihm da hilft beim Verarbeiten, das ist namentlich sein Hinterhirn. Beim Neger ist daher das Hinterhirn besonders ausgebildet. Das geht durch das Rückenmark. Und das kann alles das, was da im Menschen ist an Licht und Wärme, verarbeiten. Daher ist beim Neger namentlich alles das, was mit dem Körper und mit dem Stoffwechsel zusammen hängt, lebhaft ausgebildet. Er hat, wie man sagt, ein starkes Triebleben, Instinktleben. Der Neger hat also ein starkes Triebleben. Und weil er eigentlich das Sonnige, Licht und Wärme, da an der Körperoberfläche in seiner Haut hat, geht sein ganzer Stoffwechsel so vor sich, wie wenn in seinem Innern von der Sonne selber gekocht würde. Daher kommt sein Triebleben. Im Neger wird da drinnen fortwährend richtig gekocht, und dasjenige, was dieses Feuer schürt, das ist das Hinterhirn. […]
Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse. […]“
„Vom Leben des Menschen und der Erde – Über das Wesen des Christentums“, GA 349, Dritter Vortrag, Dornach, 3. März 1923
Mein Gott, jetzt grabt ihr auch noch den Tucho aus, lasst den doch zufrieden weiterruhen.
Er würde heute sicher eine andere Glosse über die soziale Rolle die die Waldorfer heute erfreulicherweise auch spielen schreiben können und wollen.
Meine offiziellen (Serbien) und privaten Kontakte zu ihnen waren nur positiv.
Das bisschen rhytmisch Tanzen und Farbensprache machen doch die Konstanzer Narren genauso intensiv.
Es gibt allemal Wichtigeres, als diese alten Kamellen wieder aufzukochen.
Ball flach halten.