Mein liebster Klassenfeind (II)

Im zweiten Teil unseres Gespräches mit Klaus-Peter und Christian Kossmehl sowie Anselm Venedey von den Freien Wählern geht es um Themen, die Konstanz wirklich be­we­gen. Geübte LeserInnen können sich schon denken, worum es sich handelt: Um die Wild­ecker Herzbuben, Fahrten mit dem seehas zu Konzerten in Singen oder Tutt­lin­gen und die AfD sowie andere Maulwurfs­hau­fen im Rasen des politischen Lebens. Außerdem gibt es eine Erklärung dafür, warum im Rat unbelegte Brötchen gereicht wurden.

Zweiter Teil.
Den ersten Teil dieses Gesprächs finden Sie hier.

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seemoz: Was sticht Euch derzeit in Konstanz denn besonders ins Auge, wenn Ihr so durch die Stadt schlendert?

Anselm Venedey: Dass Du am Seerhein keine Wahlplakate vom Jungen Forum mehr siehst. Die JFKler waren so weltfremd, dass sie dort, wo die Leute unter dem Lärm am Ufer am meisten leiden, Plakate gegen die Sperrstunde und pro Feierbiester aufgehängt haben. Das war natürlich ein schwerer Schlag ins Antlitz der Bürgergemeinschaft Petershausen und der Anwohner. Die Plakate waren ratzfatz runtergerissen. Und natürlich fallen die Plakate auf, die die CDU für die Kommunalwahl aufgehängt hat, die kannst Du ja keiner Partei zuordnen. Für mich sehen die aus, als ob das Landesarchäologiemuseum mal wieder eine Playmobil-Ausstellung macht.

Klaus-Peter Kossmehl: Jetzt sag‘ mal nichts gegen die CDU. Bis 2014 war ich ja für die CDU im Gemeinderat. Das war eine Zeitlang eine tolle Truppe, mit der es richtig Spaß gemacht hat, und es gab da auch einige sympathische Leute, zum Beispiel Andreas Ellegast, Conrad Schächtle, K.P. Kleiner, Michael Sauter oder Isabella Stadelhofer. Mit dem Ellegast war ich früher auch bei der Freiwilligen Feuerwehr. Ich erinnere mich noch genau an einen Brand am Alten Wall. Er kam mit einem Schlauch von innen, der Kossmehl von außen, und als ich dann von der Leiter runtergestiegen bin, bin ich über einen Schlauch gestolpert und mit einen Bänderriss im Krankenhaus gelandet. Ich hatte mich eine Woche vorher selbstständig gemacht und gerade meinen ersten Kunden. Was tun? Also haben mir der Feuerwehrkommandant Quintus und noch ein anderer Kamerad bei meinem Auftrag geholfen. Die haben Estrich rausgerissen, Balkone gemacht, und das habe ich dem Quintus bis heute nicht vergessen, auch wenn ich mich später mit ihm in der Wolle hatte.

seemoz: Es gab 2014 einen ziemlichen Aufstand, als Du direkt nach der Wahl von der CDU zu den Freien Wählern gewechselt bist. Für die Geschichtsbücher: Was war da eigentlich wirklich los?

Klaus-Peter Kossmehl: Vor der Gemeinderatswahl haben sie mich schon mal auf Platz 17 abgeschoben, da habe ich gemerkt, woher der Wind weht. Aber ich habe nichts gesagt, sondern einfach im Wahlkampf nichts gemacht, nicht mal plakatiert. In der Fraktionssitzung eine Woche nach der Wahl ging es dann darum, die Aufgaben aufzuteilen. Ich wollte natürlich meine Sitze in den Ausschüssen und im Aufsichtsrat der Sparkasse behalten, aber ich merkte schnell, dass die das alles schon hinter meinem Rücken ausgekungelt hatten. Und ich hatte immer gedacht, das seien meine Freunde!

seemoz: Parteifreunde sind viel schlimmere Feinde als der politische Gegner.

Klaus-Peter Kossmehl: Am Ende ging es um den Sitz im Aufsichtsrat der Sparkasse, und da hatte es vorher immer geheißen, der bleibt bei mir. Stattdessen haben sie für den Tscheulin gestimmt. Da hieß es, der ist ja Fraktionsvorsitzender, und wenn wir ihm die Sparkasse nicht geben, dann macht er den Fraktionsvorsitz nicht mehr. Es war auch viel Neid dabei, ich habe ja nie jemanden erzählt, was man kriegt bei der Sparkasse, aber das war schon nicht schlecht. Das hat sicher manchem gestunken, dass ich, der ich angeblich das meiste Geld haben soll, obwohl das ja gar nicht stimmt (lacht), auch noch bei der Sparkasse was dazuverdient habe.

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seemoz: Man munkelt etwas von einer nicht unerheblichen Vergütung für den Aufsichtsratssitz in der Sparkasse.

Klaus-Peter Kossmehl: Dazu kann ich nichts sagen. Aber es war auf jeden Fall genug, dass einige Leute neidisch wurden. Am Ende blieb für mich nur der Friedhofsbeirat, so nach dem Motto, Du bist altersmäßig eh als nächster dran. Da habe ich begriffen, dass man mich nicht mehr dabeihaben wollte.

An dem Abend bin ich dann nach Haus gekommen, meine Frau war gerade nicht da, habe mir eine Flasche Wein hinter die Binde gekippt und dann gleich noch eine zweite geholt, die ich aber nicht mehr ganz geschafft habe. Am nächsten Morgen hatte ich (breitet die Arme aus) sooo einen Kopf! Ich habe dann gleich bei den Freien Wählern angerufen, ob die mich aufnehmen. Das ist natürlich sofort rumgegangen, und der [Fraktionsvorsitzende der CDU] Tscheulin hat nicht mal den Mut gehabt, mich selbst drauf anzusprechen, sondern hat mir zwei andere geschickt. Als die vorne bei mir die Treppe hochgekommen sind, bin ich zur Hintertür raus und auf eine Baustelle gefahren. Ich wollte mit denen wirklich nichts mehr zu tun haben. Also war ich bei den Freien Wählern gelandet, und das ist ganz etwas anderes als bei der CDU.

seemoz: Man merkt im Rat, dass ihr eine Fraktion seid, bei der es menschlich gut funktioniert – und dass Ihr Euch nicht gerade totarbeitet.

Klaus-Peter Kossmehl: Was verstehst Du rote Socke denn von Arbeit?

seemoz: Du, Christian, warst ja damals zusammen mit Deinem Vater in der CDU?

Christian Kossmehl: Ja, ich war ja in der CDU sogar im Vorstand und habe 2014 für die CDU plakatiert und am Wirtschaftsteil des Programms mitgeschrieben. Als mein Vater die CDU verließ, brach auch der Kontakt zu mir ab. Ich habe gemerkt, dass von einem Tag auf den anderen Vorstands-E-Mails nicht mehr bei mir ankamen. Das war schon eine Art von Sippenhaft. Ich kannte die Herren ja nun auch alle schon seit Längerem, aber damals hat niemand den Weg zum Telefon gefunden, um die Situation zu klären. Darum bin ich dann ein Jahr nach meinem Vater ebenfalls von der CDU zu den Freien Wählern gewechselt. Bezeichnend war, dass ich nicht mal eine Reaktion auf die Kündigung meiner CDU-Mitgliedschaft erhalten habe.

seemoz: Was ist denn der Unterschied zwischen CDU und Freien Wählern?

Christian Kossmehl: In der CDU wusste die eine Hand nicht, was die andere tat, die Partei hat ihr Ding gemacht, der Stadtverband seins und die Fraktion war noch mal etwas ganz anderes. Da war es für mich eine Erleuchtung, dass wir hier bei den Freien Wählern eine offene Fraktion haben, in der man ganz andere Einblicke bekommt. Zur offenen Fraktion komme ich jetzt seit anderthalb Jahren, und vorher habe ich die öffentlichen Sitzungsunterlagen oft mit meinem Vater zusammen durchgearbeitet. Sollte ich gewählt werden, werde ich da nicht von 0 auf 100 hineinpurzeln, sondern bin gut vorbereitet.

seemoz: Seid ihr eigentlich froh, dass die AfD in Konstanz nicht zur Gemeinderatswahl antritt?

Anselm Venedey: Ich hätte damit kein Problem gehabt, wenn die in den Gemeinderat kommen. Sie verschwinden ja nicht aus der Welt, wenn sie nicht im Gemeinderat vertreten sind. Und ich will diese Schweine sehen und mit dem Finger auf sie zeigen können. Was ich in diesem Zusammenhang aber mit Verblüffung beobachte, das ist Österreich. Was diese Herrschaften da abziehen, das geht auf keine Kuhhaut, und sie haben schon immer so gedacht. Es gibt ja Bilder vom Strache [1], wie er mit erhobenem rechten Arm gegen den Peymann protestiert hat. In Österreich gibt es einen rechten Fernsehsender, der bei uns im Netz ausgestrahlt wird, das ist ServusTV, der Sender von Red Bull. Die machen einmal in der Woche eine politische Talkshow, und wenn Du Dir die anhörst, dann wird Dir schlecht.

seemoz: Mal zurück nach Konstanz …

Klaus-Peter Kossmehl: … jetzt frag mich bloß nicht, was ich vom Bodenseeforum halte. Da musst Du den Anselm vorher rausschicken, sonst haut der mich um.

seemoz: Die Grünen schaffen es ja, zu zehnt mit drei Stimmen zu sprechen, dann werdet ihr das mit drei Leuten wohl auch noch hinkriegen. Was also hältst Du vom Bofo?

Klaus-Peter Kossmehl: Ich möchte auf jeden Fall, dass das Bofo bleibt. Damals wollten wir ja auf Klein Venedig die Konzert- und Kongresshalle für 40, 50 oder 60 Millionen Euro errichten, plus ein paar Millionen im Jahr für den Unterhalt und die Abschreibung. Und jetzt regen sie sich auf, wenn das Bofo ein paar Millionen braucht, dabei ist es gegenüber dem damaligen Bau doch richtig billig. Ich bin dafür, noch mal ein paar Millionen hineinzustecken und nachzubessern, wenn es nötig ist, und dann kann man ja in zehn Jahren sehen, ob die wirtschaftliche Lage noch immer so schlecht ist. Wir in Konstanz sind ja eh dabei, das Altenheim der Republik zu werden, da können wir jede Belebung gebrauchen.

seemoz: Mal dumm gefragt: Was soll Konstanz mit dem Ding?

Anselm Venedey: Jetzt fängt man an, sich zu überlegen, was man mit dem Bau in dieser Situation macht, und sagt, jetzt wird das zur Stadthalle und mit dem Konzil zusammengesteckt. Natürlich wird das Veranstaltungen vom Konzil abziehen. Mit einer solchen Querfinanzierung wirst Du das Konzil, das im Moment gut funktioniert, kaputtmachen. Und das Bofo oder wie auch immer man es dann nennt, wird trotzdem nicht funktionieren. Am Ende haben wir beides kaputtgemacht. Ist es denn wirklich zu viel verlangt, für die Wildecker Herzbuben zum Beispiel mit dem Seehaas nach Singen zu fahren, um sie sich dort anzuschauen, müssen wir das gleiche Programm, das in Singen, in Tuttlingen und anderswo läuft, auch noch nach Konstanz holen? Jetzt heißt es, wir müssen uns damit abfinden, dass das Haus zwei Millionen Euro Zuschüsse im Jahr braucht. Aber wir werden dort für unsere Millionen dann nicht Kongressgäste, sondern die Wildecker Herzbuben kriegen. Nicht, dass Du mich falsch verstehst: Ich finde die Wildecker Herzbuben großartig.

seemoz: Endlich mal jemand, der noch dicker ist als wir beide.

Anselm Venedey: Nicht deshalb. Sie haben vor rund 25 Jahren die Fischerin vom Bodensee aufgenommen und das Video dazu auf der Reichenau gedreht. Die beiden sind getrennt voneinander, jeder in seinem eigenen Auto, angekommen, ganz normal gekleidet, und haben sich begrüßt, als ob sie sich kaum kennen. Dann haben sie ihre Kostüme angezogen, ihre Grinsegesichter aufgesetzt, sind in ein Boot gestiegen, als seien sie die besten Freunde, und sind dann nach der Aufnahme wieder auseinandergegangen, als ob sie sich nicht kennen, und jeder ist dann in seine Richtung davongefahren. So etwas finde ich gut, denn das sind richtige Geschäftsleute.

Aber zurück zum Bodenseeforum. Ich finde, für 2021 und später dürften keine Aufträge mehr an Land gezogen werden. Das aber machen sie im Moment, das ist ja die Taktik des Oberbürgermeisters, damit er dann sagen kann, wir haben ja für 2021, 2022, 2023 schon Aufträge und können das Haus daher nicht schließen, denn wenn die Auftraggeber klagen, wird es noch viel teurer.

seemoz: Kommen wir zum Schluss. Klaus-Peter, was ist denn Deine liebste Anekdote aus Deinen Jahrzehnten im Gemeinderat?

Klaus-Peter Kossmehl: Ich hatte früher mal einen Sitznachbarn im Gemeinderat, der nach der Sitzung immer noch klammheimlich ein wenig sitzengeblieben ist. Er hat ganz unauffällig nach links und rechts gespitzt, ob in den Körben noch irgendwo belegte Brötchen übriggeblieben sind. Die hat er dann still und leise eingesammelt und mit nach Hause genommen.

Also bin ich irgendwann hergegangen, habe mir unbemerkt ein paar Brötchen gegriffen, den Belag gegessen und die trockenen Brötchenhälften wieder fein säuberlich aufeinandergelegt. Die hat er dann später, nichts Böses ahnend, mit nach Hause getragen. Bei der nächsten Sitzung hättest Du mal sehen sollen, wie munter der auf einmal war. Der hat den Rest seiner Gemeinderatszeit wie ein Luchs auf die Brötchen aufgepasst, aber mich nie erwischt.

seemoz: Sieht so Deine christliche Nächstenliebe aus?

Klaus-Peter Kossmehl (aufgebracht): Ich muss mir doch von Dir gottlosem Linken nicht das Christentum erklären lassen!

seemoz: Ruhig Blut! Dieser Tage hast Du Deine letzten Gemeinderats- und Ausschusssitzung, macht Dich das nach so langer Zeit nicht ein wenig sentimental?

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Klaus-Peter Kossmehl: Als ich den Willi Scheidegg damals, lange nach seinem Ausscheiden aus dem Rat, besucht habe, sagte der mir, dass Dich nach vier Wochen alle schon vergessen haben. Für mich heißt es jetzt einfach: Ich bin dann mal weg.

Das Gespräch führte O. Pugliese (Fotos: Privatbesitz, O. Pugliese)

Anmerkung [1]: Das Interview wurde geführt, bevor der aktuellste Skandal um diese FPÖ-Torfköppe ruchbar wurde.