Konstanz: Repressalien gegen Fahrraddemo

Am letzten Sonntag veranstaltete das Aktionsbündnis Ciclo eine Fahrraddemo in Konstanz, angemeldet und damit ganz legal – sollte man/frau meinen. Doch die Polizei sah das wohl ganz anders und machte Auflagen, die die Demonstration in den Augen der RadlerInnen zur Farce werden ließen. Der folgende Text schildert das Vorgehen der Polizei aus Sicht einer mitradelnden Bürgerin. Es steht der Verdacht im Raum, dass derartige Demos in Konstanz durch Polizeimaßnahmen unmöglich gemacht werden sollen.

Wenn Bürger*innen am Sonntag eine Fahrrad-Demonstration veranstalten, sind die Umstände für die Behörden fast zu schön um wahr zu sein, sollte man meinen. Es sind ohnehin nur Spaziergänger und Ausflügler unterwegs, der Verkehr kann gar nicht groß behindert werden, und Aufmerksamkeit gibt es vor allem von Touristen, Kindern und Hunden. Die Polizei könnte auf fast freien Konstanzer Straßen unter blauem Himmel vorneweg fahren und den Tag genießen, während sie nebenbei eines der wichtigsten bürgerlichen Grundrechte schützt: Artikel 8 zur Versammlungsfreiheit. [1] Leider haben die städtischen Behörden den Polizisten offensichtlich einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie haben am vergangenen Sonntagvormittag Auflagen erhoben, die eine Demonstration de facto zu einem lächerlichen innerstädtischen Radausflug degradierten und die Polizei zu dessen schimpfenden und mahnenden Begleitern. Da im Anschluss an diesen Ausflug vom Einsatzleiter der Polizei der Wille der Behörden verkündet wurde, nun auch noch Ermittlungen einzuleiten und zukünftige ähnliche Demonstrationen möglicherweise durch weitere Auflagen unmöglich zu machen, ist es nun an der Zeit, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass bürgerliche Rechte in Konstanz offensichtlich nicht ohne Weiteres anerkannt werden.

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Was ist geschehen?

Konstanzer Bürger*innen des Aktionsbündnisses Ciclo, das sich für eine umweltfreundlichere Verkehrspolitik stark macht, waren so fürsorglich, für einen Sonntagvormittag am 16. Juni um 11.30 Uhr eine Fahrraddemo wochenlang im voraus anzumelden, sich mit Warnwesten verkehrstauglich zu kleiden und alle Teilnehmer*innen ausführlich über die Route und rechtsgültiges Verhalten nach der StVO zu unterrichten. Zur gegebenen Zeit waren alle abfahrbereit. Allein: Die Polizei kam nicht wie angekündigt um 11.30 Uhr, sondern erst um 11.50 Uhr. Pflichtschuldigst hatte die Gruppe auf ihre polizeilichen Beschützer gewartet. Statt ein Wort der Entschuldigung für die große Verspätung verkündete die Polizei zunächst einmal, welche Auflagen die Stadt dem Grüppchen zugedacht hat: Man würde nicht als Verband anerkannt, man dürfte ausschließlich auf Radwegen fahren und keinesfalls öfter als einmal durch den Kreisverkehr. Damit sind schon drei Auflagen genannt, die die Straßenverkehrsordnung missachten und keineswegs mit dem Artikel 8 vereinbar sind. Die Hürden, dieses elementare Recht zu begrenzen, sind nämlich sehr hoch. Demonstrationen unter freiem Himmel können nur eingeschränkt werden, wenn die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist – wenn also abzusehen ist, dass die Polizei Demonstranten und unbeteiligte Passanten mit vertretbaren Mitteln nicht schützen kann.

Wir fuhren unbewaffnet, wir fuhren unvermummt, es herrschte keine Terrorwarnung. Die Polizeikräfte wären durchaus mit der Verlangsamung des Verkehrs nicht überfordert gewesen, und es hätten sich daraus auch keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit entwickelt. Unbeteiligte Dritte hätten außer mit Entschleunigung der sonntäglichen Spazierfahrt keine Unannehmlichkeiten gehabt, die sich sonst zwangsläufig und zumutbar aus jeder rechtmäßigen Demonstration ergeben. [2] Kurz: Das Recht hätte durch Auflagen gar nicht eingeschränkt werden dürfen.

Die Polizei Konstanz konnte dank städtischer Auflagen erstens den Artikel 8 nicht schützen, zweitens nicht einmal die Straßenverkehrsordnung. Paragraf 27 der StVO besagt: Als Verband gelten Gruppen von mindestens 15 Fahrzeugen, die von anderen Verkehrsteilnehmern als zusammengehörend erkennbar sind. Sie dürfen zu zweit nebeneinander auf der Fahrbahn fahren und können, wenn der vordere Teil des Verbandes über eine grüne Ampel gefahren ist, von hinten aufschließen, auch wenn zwischenzeitlich die Ampel auf Rot springt. Im Verband zu fahren bedarf weder einer Anmeldung noch einer Genehmigung durch die Behörden. Die Polizei kann einer Gruppe nicht aberkennen ein Verband zu sein, wenn sie erkennbar zusammengehört und die Rechte, die ein Verband hat, unvermittelt aufheben.

Die „Demonstration“ verlief schließlich wie folgt: Der Polizeiwagen fuhr voran, die Radgruppe am rechten Fahrbahnrand oder Radweg hinterher. Allein dieser Anblick müsste jeden Beobachter zum Lachen gebracht haben. Man stelle sich zum Vergleich einen Demonstrationsmarsch vor, der in Zweiergrüppchen nur Bürgersteige benutzen darf und beim roten Männchen stehen bleibt!

Bei jeder Ampel musste laut „Halt!“ nach vorn gerufen werden, weil es wegen sehr kurzer Grünphasen für die Durchfahrt der Gruppe nie reichte. Die Demonstration wurde in ihrem Zusammenhang gestört. Autofahrer fuhren wie gewohnt in engem Abstand an uns vorbei, wenn keine Radwege vorhanden waren, die Polizei schickte uns auf den Radweg, auch wenn dieser nicht entlang der angemeldeten Route lag.

In Konstanz gibt es bekanntermaßen Radwege, die plötzlich aufhören oder auf größere Umwege führen, zum Beispiel am Döbele-Parkplatz. Bei einer Fahrraddemo möchten wir unter anderem genau auf dieses Problem aufmerksam machen: Radfahrer werden gegenüber Autofahrern hinsichtlich Raumbedarf, Wegen, Gesundheitsgefährdung empfindlich benachteiligt. Auf der Fahrraddemo wurden wir jedoch genau an diesen Stellen von der Polizei gerügt, wenn wir die kurze Überbrückung über die Fahrbahn nahmen, die wir als Verband ohnehin hätten nehmen müssen. Um uns an der angekündigten dreimaligen Durchfahrung des Kreisverkehrs am Döbele zu hindern, fuhr der Polizeiwagen einfach fort und gefährdete die Demonstration damit am empfindlichsten Punkt: bei der Überquerung der Fahrbahn. Anstatt die Sicherheit der Demonstrationsteilnehmer unter allen nur denkbaren Umständen gemäß dem Verfassungsrecht zu gewährleisten, setzte sie uns den Gefahren des fließenden Autoverkehrs aus.

Der Versammlungsleiter hatte den Polizeiorganen sämtliche Zugeständnisse gemacht, seine Truppe äußerst ruhig und besonnen zusammengehalten und wollte jeden Konflikt mit der Staatsgewalt verhindern. Statt eines Dankes gab es für ihn jedoch zum Abschied die Ankündigung eines Ermittlungsverfahrens wegen dreier „Ordnungs-Vergehen“ (Fahren auf der Fahrbahn an zwei Stellen, Behinderung des Verkehrs ebendort, wiederholtes Befahren des Kreisverkehrs). In Zukunft müsste man dann mal sehen, sagte der Beamte, ob gewisse Personen Demonstrationsverbot bekämen. Und ob so eine Tour nochmals genehmigt würde, wäre auch nicht sicher.

Als erstmalige Teilnehmerin muss ich erstaunt feststellen, dass in der „Fahrradstadt Konstanz“ „Fahrrad-Demonstration“ heißt, was andere Leute einfach einen Fahrradausflug unter Freunden nennen würden. Während man auf einem Fahrradausflug alle Rechte der Straßenverkehrsordnung wahrnehmen dürfte, gilt aber selbst diese während einer „Demonstration“ offenbar hier nicht mehr, wenn die Behörden keine Lust darauf haben. Vom angemessenen und selbstverständlichen Recht auf Versammlungsfreiheit im öffentlichen Raum kann man keinen Gebrauch machen, wenn kommunale Behörden die Polizei dazu benutzen, die Teilnehmer am Demonstrieren zu hindern, anstatt dies als unentbehrliches Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens zu schützen. [3]

Die Fragen, die sich gerade in Zeiten des Klimanotstandes hier dringend stellen, sind: Welche Art von Recht, welchen Typus von Bürgern, welche Art von Verkehrsteilnehmern greift die Stadt hier eigentlich an?

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Polizisten, die an der Ausübung ihrer Pflicht gehindert werden, demokratische Rechte zu schützen? Fahrradfahrer und politisch aktive Menschen, die der Stadt Unterstützung anbieten, ihr eigenes Klimaziel zu erreichen?

Kirsten Mahlke/Aktionsbündnis Ciclo (Foto: O. Pugliese)


Anmerkungen

[1] „Gegen eine Versammlung, von der selbst keine unmittelbare Gefahr ausgeht, kann polizeilich nur vorgegangen werden, wenn 1. Aus anderen Gründen eine gegenwärtige erhebliche Gefahr vorliegt und diese nicht durch Inanspruchnahme des Störers oder durch den Einsatz eigener Mittel beseitigt werden kann oder 2. Die Schäden, die der öffentlichen Sicherheit bei einem wirksamen Vorgehen gegen die Störer drohen würden, in einem Mißverhältnis zu den Nachteilen stehen würden, die durch das Einschreiten gegenüber der Versammlung entstünden.“ (Dr. Michael Bäuerle, Polizei- und Verwaltungsrecht, Gießen, S. 7; https://www.staff.uni-giessen.de/~g11003/versr.pdf)

[2] „Die mit der Ausübung dieses Grundrechts zwangsläufig verbundenen Belästigungen müssen Dritte so lange ertragen, als keine unmittelbare Gefährdung anderer gleichwertiger Güter gegeben ist.“ (Bäuerle, S. 7)

[3] Bäuerle, S. 8.