Eilmeldung: Freiheit für Carola Rackete
An Publikum fehlte es nicht, als am frühen Samstagabend knapp 100 Menschen in Konstanz parallel zum Großevent Flohmarkt demonstrierten. Sie hatten sich spontan zum Protest gegen die Verhaftung von Carola Rackete zusammengefunden. Die Kapitänin des Seenotrettungsschiffs Sea Watch 3 war am Freitag auf Anweisung von Italiens Innenminister Salvini festgenommen worden, weil sie nach zweiwöchigem behördlichem Anlegeverbot keine andere Chance für die 40 geretteten Flüchtlingen an Bord sah, als den Hafen in Lampedusa anzulaufen.
Vorbei an den zahlreichen BesucherInnen, die sich an den Ständen des Flohmarkts drängelten, zogen die DemonstrantInnen – mehrheitlich wohl aus dem Umfeld der Seebrücken-Initiative, des Offenen Antifaschistischen Treffens, des Jugendkulturzentrum Contrast, der Linksjugend und der Linken –, vom Schnetztor über die Laube zur Fahrradbrücke. Nach deren Querung endete die Spontandemo im ebenfalls vielbevölkerten Herosé-Park mit einer kurzen Abschlusskundgebung. Lautstark skandierte Parolen und Transparente gegen die Kriminalisierung der SeenotretterInnen und die Abschottungspolitik der EU („Seenotrettung ist kein Verbrechen“ oder „Say it loud, say it clear: refugees are welcome here“) sorgten für einige Aufmerksamkeit unter den Flohmarkt-Flaneuren.
In drei kurzen Wortbeiträgen, gehalten am Schnetztor, auf der Laube und im Herosé-Park, griffen RednerInnen die Flüchtlingspolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten scharf an. „Die Abschottungspolitik der Festung Europa macht menschliches Handeln zu einem Verbrechen“, so eine Rednerin. Durch die Einstellung der eigenen Seenotrettung, die Zusammenarbeit mit libyschen Milizen und der Kriminalisierung der privaten RetterInnen habe die EU das Mittelmeer in ein Massengrab verwandelt, sagte ein weiterer Redner. Europa, hieß es zudem, wolle sich vor dem Elend abschotten, das seine Mitgliedsstaaten und Konzerne oft mitverursacht habe.
Hart angegriffen wurde vor allem der faschistische Minister Salvini, der die Verhaftung der Sea-Watch-Kapitänin auf Twitter so kommentiert hatte: „Verbrecherische Kapitänin festgenommen, Piratenschiff beschlagnahmt, Höchststrafe für die ausländische Nichtregierungsorganisation.“ In der Kritik aber auch die deutsche Politik, die das Asylrecht immer weiter schleife, zuletzt mit dem sogenannten Migrationspaket, das noch mehr Schikanen gegen Geflüchtete und Abschiebeknäste vorsehe. Innenminister Seehofer verhindere zudem seit Monaten, dass rund 60 Städte, die ihre Bereitschaft zur Hilfe erklärt haben, gerettete Geflüchtete aufnehmen können. Eine Rednerin griff den Konstanzer OB an: die Erklärung der Stadt zum sicheren Hafen sei für ihn wohl nur ein Lippenbekenntnis gewesen.
„Die Kriminellen sitzen in Rom, in Brüssel und anderen europäischen Metropolen in den Regierungssesseln,“ kommentierte ein Redner. „Wir wollen uns das mörderische Treiben nicht länger gefallen lassen. Die Bundesregierung muss sich für die sofortige Freilassung von Carola Rackete einsetzen und endlich zulassen, dass aufnahmebereite Städte geretteten Geflüchteten auch helfen können.“ Bereits am kommenden Samstag, 6.7., gibt es Gelegenheit, erneut Druck gegen die Kriminalisierung der RetterInnen zu machen. Die Konstanzer Seebrücke ruft dazu auf, ab 12 Uhr vom Benediktinerplatz aus dafür zu demonstrieren, dass Seenotrettung kein Verbrechen ist.
jüg (Text & Fotos)
Gregorio de Falco, Senator, Ex-Kommandant der Küstenwache, bekannt durch sein entschiedenes Eingreifen bei der Havarie der Costa Concordia, der in den letzten Wochen immer wieder zugunsten der Anlandung der Sea-Watch in Lampedusa interveniert hat :
„Carola Rackete muss freigelassen werden, Sie war nicht verpflichtet anzuhalten“
„Die Festnahme von Carola Rackete wurde vorgenommen, weil sie nicht auf das Haltesignal eines Kriegsschiffes hin angehalten hat, aber ein Kriegsschiff ist was anderes, ein Militärschiff trägt die Kennzeichen eines Militärschiffs und wird von einem Offizier der Marine befehligt, was das Personal der Finanzpolizei nicht ist. Es liegt nichts (strafrechtliches) vor.
Die Sea-Watch ist ein Rettungsfahrzeug, sie ist nicht verpflichtet anzuhalten, sie ist ein Wasserfahrzeug mit einem Notfall an Bord. Das Militärschiff hätte sie eher an Land eskortieren müssen.“ https://www.ilmessaggero.it/italia/sea_watch_carola_ultime_notizie_de_falco-4588316.html
De Falco inzwischen auf Lampedusa zur Unterstützung der Mannschaft der Sea-Watch und von Carola Rackete im Interview „Die Kapitänin hat korrekt gehandelt.“ https://video.repubblica.it/dossier/migranti-2019/sea-watch-de-falco-a-lampedusa-la-capitana-ha-agito-correttamente-i-5-stelle-appiattiti-sulla-lega/338290/338893
#Steven Ries
Hier wird mit ganz guten Informationen und Argumenten eine wohl realistische Einordnung des Rettungsvorgangs geliefert.
Fragen bleiben allerdings offen:
– wenn schon nicht Deutschland anlaufen (Ankerherz sagt: Schiff nicht seetüchtig genug), warum dann nicht Korsika, das wäre sicher zu schaffen gewesen, und eine Einwilligung Frankreichs war gegeben?
– Zurück nach Libyen ist keine Option.
Da stellt sich aber sofort die Frage, wer denn verantwortlich ist für die unmenschlichen Bedingungen, die dort herrschen.
Dass Libyen aus einem lebenswerten Staat in die Hölle gebombt wurde, ergänzt ja nur die allgemeine Beschreibung der vielfältigen Fluchtursachen, die m.E. ganz klar die europäischen Staaten und die USA zu verantworten haben.
Eine wichtige Frage ist: Wer überwacht eigentlich FRONTEX?
Warum wird die Zusammenarbeit mit Schleppern und Warlords stillschweigend geduldet, da sachdienlich im Kampf gegen Flüchtlinge?
– Dass die Zahl der Flüchtlinge, die sich ins Todesboot setzen, durch die Präsenz der Seenotretter gepusht wird, scheint eine perfide Lüge zu sein. Wenn man die Schilderungen der Zustände in Libyen liest, scheint eine fifty-fifty Chance aufs Überleben eine positive Alternative zu sein.
Ich habe vor Monaten auf facebook eine Untersuchung mit Statistik gepostet, wie die Zahlen mit der Anzahl der Retter korrelieren und erhoffte eine Diskussion, die aber mangels Interesse ausblieb.
Auf facebook versuche ich es jetzt auch noch mal, Anlass ist ja wieder mal gegeben. Auch hier auf seemoz könnte man sich ja weitergehend äußern.
Hier eine (angesichts mancher Spekulationen im Bekanntenkreis vielleicht ganz hilfreiche) Einschätzung der rechtlichen Situation.
Eine Petition ist hier zu finden:
https://www.openpetition.de/petition/online/freiheit-fuer-frau-rackete-freecarola
Dass Carola Rackete letztendlich doch verhaftet wurde, wusste ich nicht, bis ich am Schnetztor vorbeiging. Für eine Petition ließ die spontane Aktion wohl keine Zeit. Den o.g. Argumenten kann ich nur voll und ganz zustimmen. Ein einiges Europa gibt es nicht – dies ist eine Illusion. Eine sinnvolle Aufteilung der Flüchtlinge sollte kein Problem sein – das Dublin-Abkommen macht´s unmöglich.Italien und Griechenland sind seit Jahrzehnten Auffanglager, dass dort die Grenzen längst erreicht bzw. überschritten sind, ist klar. Dennoch ist diese Kriminalisierung der Kapitänin unfassbar – vielleicht jedoch notwendig, um endlich zu handeln. Eine weitere Demo scheint sinnvoll.