Das Leben ist (k)ein Bällebad

„Guten Tag, guten Tag, ich will mein Leben zurück“ singen „Wir sind Helden“ auf ihrem Album „Die Reklamation“. Wer will das nicht manchmal – sein Leben umtauschen gegen eine „neue Version“? Die beiden Hauptfiguren aus Ingo Putz‘ Inszenierung von Aristophanes „Die Vögel“, aktuell am Theater Konstanz zu sehen, würden das auch gerne tun. Daher ziehen die beiden Athener Dasgehtdireinscheißdreckan (famos – Sylvana Schneider) und Fickdichinsknie (herrlich komisch – Sepp Klein) los, um ihr persönliches Paradies im Reich der Vögel zwischen Himmel und Erde zu finden.

Die Bühne (Marie Labsch) ist der Inbegriff des Paradieses. Das Innere eines Hallenbads mit rosa- und türkis-bonbonfarbenen Fliesen und eine in sanften Regenbogenfarben changierende Rückwand bieten die Kulisse für ein Plexiglasbecken in der Mitte, das bis zum Rand mit türkisen Plastikbällen gefüllt ist. Hinein führt eine goldene Rutsche und für paradiesisches Ambiente sorgen aufblasbare Palmen und Flamingos in Quietschbunt.

Wie zwei Deutsche auf Mallorca …

… kommen die beiden Hauptfiguren daher. Marie Labsch folgt in ihrer Kostümgestaltung dem Dresscode der gesellschaftlichen Unterschicht der Achtzigerjahre. Sie packt die Darsteller (Sylvana Schneider im Fatsuit) in Jogginganzug, Tennissocken und Adiletten und vergisst dabei die Pornobrille nicht. Da stehen sie dann – Dasgehtdireinscheißdreckan und Fickdichinsknie – auf einem Berg fernab der Stadt Athen und rufen auf ‚wiedehöpfisch‘, das in Ingo Putz‘ Fassung wie selbstverständlich Schwyzerdütsch ist, den Vogelkönig Wiedehopf, der mit seinem Gefolge schließlich auch auftaucht. Die Vögel (Jugendliche aus dem Kidsclub des Theater Konstanz unter der Leitung von Tanja Jäckel), deren Zuhause das Bällebad ist, tragen gerüschte Badekappen und kurzärmelige Anzüge mit grellen Sommer-Mustern – Ananas oder Eis am Stiel, Herzchen oder Palmen stehen als Sinnbild für das bunte Federkleid.

Geschickt nutzt der durchtriebene Dasgehtdireinscheißdreckan die Gutgläubigkeit der Vögel, die teils im Chor teils in Einzelrollen auftreten, und die Dummheit seines Kumpanen aus, um zusammen mit diesem Zuflucht im Reich der Vögel zu finden und selbst die Herrschaft an sich zu reißen. Unter Geheimhaltung ihrer wahren Identität schmieren die beiden den Vögeln Honig um die Schnäbel und versprechen ihnen die Weltherrschaft, wenn sie nur eine Vogelstadt „Wolkenkuckucksheim“ mit einer großen Mauer drumherum errichteten, die die Verbindung zwischen Göttern und Menschen blockiere.

„Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten“

Gesagt, getan stellen sich die Vögel unwissend in den Dienst der beiden schnauzbärtigen Athener (Maske: Manuela Antritter und Team) und lassen sich letztendlich gegeneinander ausspielen. Die Mauer ist eine zentrale Metapher des Stücks als Abgrenzung zwischen „uns“ und „den Anderen“, „arm“ und „reich“, „mächtig“ und „hilflos“. In Zeiten der Verteidigung von EU-Außengrenzen im Mittelmeer und einer Trump-wall versteht sich die Mauer als Sinnbild der Entsolidarisierung.

Die zwar lustig wirkende Vulgärsprache („Ich geh‘ mal kacken!“) der Hauptcharaktere und ihre Verachtung des Publikums, das als Stadtvolk behandelt wird, verdeutlicht den begrenzten Horizont und die Stumpfsinnigkeit der für solche Aktionen Verantwortlichen. Ein Stück weit ist die Besetzung der Vögel mit Jugendlichen auch als Anspielung auf die zunehmende Kritik dieser Generationen an bestehenden gesellschaftlichen Systemen aufzufassen. Sie sind jung, wild und klug und tragen ihre Argumente gekonnt vor. So auch die Nachtigall im Stück, die mit ihrer raumerfüllenden Stimme in einigen Gesangseinlagen das Publikum mitreißt.

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Ein zeitloser Stoff

Popmusik, Videosequenzen und Slapstick-Comedy mit gewissem Understatement („Hast du mal Feu … Prometheus!“) heben Aristophanes‘ Werk auf eine (auch politisch) aktuelle Ebene ohne seine Quintessenz zu verändern. Sylvana Schneider und Sepp Klein geben dabei alles und haben sichtlich Spaß daran, so hemmungslos verbal wie in Aussehen und Verhalten über die Stränge zu schlagen. Ihre Performance elektrisiert und lässt definitiv kein Auge lachtränen-trocken. Die Vorstellung der perfekten Welt mag bei der Uraufführung des Stücks bei den großen Dionysien 414 v. Chr. noch eine andere als ein Bällebad gewesen sein, doch auch da gab es schon Machtgier und Korruption, die die Menschen beherrschten. So kurz nach den Kommunalwahlen ist die Aufführung im Konstanzer Theaterprogramm sicher gut platziert, um die ein oder andere KommunalpolitikerIn über Forderungen nach „mehr Programmkinos und weniger Schweizer an der Kasse“ oder nach einem „Kongresshaus, in dem mal was los ist“ sowie über die Sinnhaftigkeit sich selbst bestätigender Gutachten oder kaputte Aufzüge im Theater zum Nachdenken zu bringen. Nicht wahr, Herr Osner?

F. Spanner (Foto: Ilja Mess)


Weitere Aufführungen in diesem Monat: 17.7., 19.7., 20.7., 23.7. und 24.7.