Die seltsamen Rechtsauskünfte der Stadtoberen

Bürgermeister, auch höhere Beamte im Stadtdienst, sind gemeinhin Juristen. Doch mit deren Jura-Wissen ist es nicht allzu weit her, mussten die Konstanzer in letzter Zeit immer wieder feststellen: Ein Oberbürgermeister, der die Stadt-Satzungen nicht kennt; ein Bürgermeister, der die Gemeindeordnung fälschlich auslegt; schließlich ein Rechtsbeistand, der die Stadt in einen womöglich nur teuren Rechtsstreit treibt – juristisches Urteilsvermögen, gerade im Gemeinderat, ist endlich gefragt.

Jüngstes Beispiel: In der letzten Gemeinderatssitzung, als es um den satten 270 000-Euro-Zuschuss für den Waldorfkindergarten ging, versuchte OB Frank die Diskussion mit dem Hinweis abzuwürgen, laut Stadtsatzung bestehe ein Rechtsanspruch für freie Träger solcher Einrichtungen auf Subventionierung. Falsch. In den fast 100 Stadtsatzungen – von der Regelung über die Entschädigung der ehrenamtlich tätigen Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr bis zur Verordnung über das Anbringen von Hausnummern – findet sich kein derartiger Hinweis.

Auf seemoz-Nachfrage wurde in der Stadtverwaltung immerhin eine „Richtlinie zur Förderung der Personal- und Investitionskosten von Tageseinrichtungen für Kinder“ ausgegraben, 2009 vom Gemeinderat verabschiedet und „von der selben Rechtskraft wie eine Satzung“, wie sich die Verwaltung zu versichern beeilt. Nur: Darin steht zwar, dass „Neubauten einschließlich Außenanlagen mit 80% der notwendigen … Ausgaben bezuschusst werden“, aber auch, dass „in gegenseitiger Absprache bei Zuschüssen über 100 000 € Zins verbilligte Darlehen vorrangig in Anspruch genommen werden“ sollten. Wer im Gemeinderat wusste von dieser Richtlinie? Wurde da korrekt informiert? Wurde da verantwortlich entschieden?

Und überhaupt: Wieso bekommen freie Träger – ob Waldorf oder christliche Kirchen – automatisch einen 80prozentigen Investitionszuschuss, wenn sie doch stets behaupten, ihre Einrichtungen seien selbst verantwortlich finanziert? Falsch. Der Konstanzer Steuerzahler zahlt überwiegend für Personalkosten und Investitionen. Andere Gemeinden in Baden-Württemberg, wie zum Beispiel Mannheim oder Freiburg, verfahren mit solchen Zuschüssen übrigens sehr viel sparsamer.

Letztes Beispiel: Es ging um die Causa Müller-Esch, die längst zu einem Fall Boldt geworden ist. Und es ging um den Rüffel des Freiburger Regierungspräsidiums, in dem Bürgermeister Boldt kritisiert wurde, weil er die Anhörung des Beschuldigten in der Gemeinderatssitzung, in der die Kündigung von Müller-Esch übers Knie gebrochen worden war, verweigert hatte. Sein damaliger Hinweis auf die Gemeindeordnung war falsch. Das Regierungspräsidium Freiburg widersprach später: Eine Anhörung wäre sehr wohl möglich gewesen.

Claus Boldt, Bürgermeister auf Abruf, entgegnete in einer späteren Gemeinderatssitzung lauthals, er hätte die einschlägigen Kommentare zur Gemeindeordnung studiert und wäre schlicht zu einer anderen Einschätzung als das Regierungspräsidium gelangt. Von einer Entschuldigung für seine Fehleinschätzung, für seine Fehlinformation, war er damals wie heute weit entfernt.

Neues Beispiel? Und wieder rückt der Fall Müller-Esch in den Mittelpunkt: Am kommenden Wochenende läuft die Frist ab, in der Revision gegen das Arbeitsgerichtsurteil Müller-Esch eingelegt werden kann. Es spricht manches dafür, dass im nicht öffentlichen Teil der heutigen Gemeinderatssitzung über das weitere Vorgehen beraten werden wird. Und es spricht vieles dafür, dass die Verwaltung auf Rat ihres Rechtsbeistandes das Risiko einer Verhandlung dann vor dem Landesarbeitsgericht in Freiburg eingehen könnte.

Ganz schön mutig wäre das. Und teuer dazu. Denn ein solches, wieder monatelanges Verfahren würde viel Geld – Prozess- und Anwaltskosten, aber auch Gehaltsfortzahlungen -, verschlingen. Die Aussichten für die Stadt, dieses Mal zu obsiegen, sind nach dem bemerkenswerten Urteil in 1. Instanz, das einer Klatsche für die Spitalstiftung gleichkommt, denkbar schlecht. Zu vermuten ist, dass auch dieses Mal schlechte juristische Ratgeber am Werke sind.

Vor allem aber würde solche Rechthaberei dem Ruf der Stadt schaden. Denn nach dem Maultaschenfall (auch da war Bürgermeister Boldt verantwortlich) warten Journalisten bundesweit nur auf den geeigneten Zeitpunkt, den günstigen Anlass, diese Konstanz-Blamage zeilenträchtig auszuschlachten. Von „schlechter Presse“ spricht man dann. Von der Häme ganz zu schweigen.

Autor: hpk