Arme Nazis!
Als Nazi hatte man wenig Spaß an der Musik: Man musste dem Volk beliebte Stücke verbieten, weil sie „verjudet“ seien, und dann auch noch fleißig Dokumente fälschen. Mit einem allerdings hatten die Nazis damals leichtes Spiel: Mendelssohn Bartholdy war schon vom Frühnazi Richard Wagner derart verrissen worden, dass man ihn leicht als musikalischen Unfall abtun konnte. Dass er das nicht ist, zeigt am 21. Juli 2019 eine Aufführung des mendelssohnschen „Elias“ in der Konstanzer Stephanskirche.
Manche musikbeflissenen Nazis können einem nachträglich richtig leid tun. Was sollten sie mit einem der wenigen Weltstars der deutschen Musikgeschichte, Georg Friedrich Händel, anfangen, wo doch einige seiner beliebtesten Werke Oratorien mit verdächtigen Titeln wie „Messiah“, „Esther“ oder „Israel in Egypt“ waren (ein Oratorium ist übrigens eine Art Oper ohne Deko, Kostüme, Schminke und Ballett, also ohne alles, was Spaß macht, und wird darum in Konzertsaal und Kirche aufgeführt)? Händel hatte sich schließlich immer wieder großzügig bei den Stoffen des Alten Testaments bedient, und das ist schließlich mit kleinen Abweichungen der jüdische Tanach.
In einer Aufwallung arischen Blutes machten arisch-künstlerisch empfindende Volksgenossen aus der Not eine Tugend, und irgendein mediokrer Geist setzte sich auf seinen Hosenboden, „bearbeitete“ den Text und ließ Händels „Judas Maccabaeus“ 1939 als das Oratorium „Der Feldherr“ wiederauferstehen: Aus Jahve wurde Gott und aus den Israeliten das Volk. Ob nun Judas Maccabaeus die Israeliten in die Schlacht und zum Sieg führt oder der Führer das deutsche Volk – letztlich lief das ja wohl aufs selbe raus, oder? In ähnlicher Manier wurde aus „Israel in Egypt“ das (vermutlich) markerschütternde Werk „Der Mongolensturm“.
Da lachen ja die Hühner
Was für Schleimscheißer solche Musikwissenschaftler waren, mag man daran erkennen, dass derartige Umdichtungen gar nicht nötig waren, ließ doch Goebbels 1934 „in den Amtlichen Mitteilungen der Reichsmusikkammer offiziell erklären, dass ‚vom nationalsozialistischen Standpunkt aus‘ keine Bedenken gegen ‚die Werke Händels, bei denen alttestamentarische Stoffe verwendet werden‘, bestünden. ‚Aus gegebener Veranlassung‘ wurde diese Erklärung im Januar 1935 bekräftigt; außerdem hieß es nun ausdrücklich, dass einem ‚Verlangen irgendwelcher Stellen zur willkürlichen Abänderung von Händel vertonter, auch alttestamentlicher Texte […] in keinem Falle nachgegeben zu werden‘ bräuchte.“[1] Goebbels ahnte wohl schon, dass mit derartigen Umdichtungen kein Blumentopf zu gewinnen war.
Ein auf den ersten Blick weniger komplizierter Fall war für die Nazis Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847), der genau wie Händel viele Triumphe in England gefeiert hatte. Richard Wagner, der erste bekannte Nazi, hatte bereits Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in seiner Schrift „Das Judenthum in der Musik“ Mendelssohn aufgrund seiner jüdischen Herkunft alle schöpferische Potenz abgesprochen und bei jüdischen Komponisten pauschal eine „innere Lebensunfähigkeit“ diagnostiziert. Da konnte Jahrzehnte später „Der Stürmer“ unschwer nachhetzen, Mendelssohn sei nur deshalb Komponist geworden sei, um mit der Musik Geschäfte machen zu können.[2] Dass Mendelssohn protestantisch getauft war und bereits als hochbegabter Zwölfjähriger von Goethe mit größtem Vergnügen wochenlang beherbergt und bewundert wurde, ließ das Naziblatt dabei getrost unter den Tisch fallen.
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Fälscher an die Musikfront
Aber Mendelssohn bereitete den Nazis letztlich größere Mühe als gedacht: Klar, Wagner und Bach waren seit 1933 als die urdeutschen Komponisten schlechthin in den fiktiven germanischen Reinblut-Adelsstand erhoben worden. Wagner hatte das aufgrund seines fragwürdigen Charakters gewiss auch verdient, aber Bach? Sicher nicht, der schrieb mit Vergnügen Englische und Französische Suiten [perfides Albion & welscher Erbfeind!] und bediente sich großzügig bei Albinoni und anderen ausländischen Komponisten, er war einfach ein vaterlandsloser Kosmopolit, so weit sich das in Leipzig eben machen ließ. Bach war zudem zu Lebzeiten keine national oder international gefeierte Größe gewesen und nach seinem Tode gründlich vergessen worden. Erst 1829 wurde er bekanntlich schlagartig wiederentdeckt. In einem Konzert in Berlin wurde nämlich Bachs „Matthäuspassion“ wiederaufgeführt – im Publikum sollen neben dem preußischen König und seinen Hofschranzen auch Hegel, Heine und Schleiermacher gesessen haben. Dieses Konzert wurde zur Sensation und begründete eine geradezu schwärmerische Bach-Verehrung – Veranstalter und Dirigent: der zwanzigjährige Mendelssohn. Dumm gelaufen für die Nazis.
Robert Schumann, der tiefe Deutsche, soll ein Freund Mendelssohns, des oberflächlichen Juden, gewesen sein? Das war nicht möglich, dachte sich die neue deutsche Musikwissenschaft, also „bearbeitete“ der Musikwissenschaftler Wolfgang Boetticher schnell mal einige Briefe Schumanns, um diesen in die richtige neue Ecke zu rücken – Boettichers Karriere nach 1945 tat das keinen Abbruch.[3] Aber so richtig ärgerlich ist natürlich die Geschichte mit Shakespeares „Sommernachtstraum“: Jedes Kind konnte den Hochzeitsmarsch aus Mendelssohns Schauspielmusik dazu nachpfeifen, bei vielen Hochzeiten wurde dieses Stück gespielt, auch heute noch ist es ein Welthit.[4] Was tun? Das Heiraten verbieten? Das war nicht im Sinne des Erfinders, denn die Volksgenossen sollten ja mit den Volksgenossinnen massenhaft (möglichst ehelich gezeugte) Soldaten in die Welt setzen.
Also wählte man einen anderen Weg, der zudem die Überlegenheit der arischen Schöpferkraft belegen sollte: Man forderte deutsche Komponisten auf, eine neue und natürlich bessere Bühnenmusik zum „Sommernachtstraum“ zu schreiben. Als Alternative für Hochzeiten bot sich zudem natürlich Wagners „Hochzeitsmarsch“ an, der sich allerdings in der Kirche auf der Orgel immer verdächtig nach einer reichlich süß geratenen Mischung aus „O Tannenbaum“ und einem Ländler anhört.[5] Die „Sommernachtstraum“-Ersatzmusiken (unter anderem von Carl Orff und dem zeitweise am Bodensee ansässigen und in Singen gestorbenen Julius Weismann) sind heute vergessen. Am Ende schaffte es überhaupt nur ein Nazi-Werk dauerhaft auf die Konzertpodien: Carl Orffs „Carmina Burana“. Autsch.
Der Prophet kommt nach Konstanz
Mendelssohns „Elias“ wird am Sonntag, 21.7., in der Konstanzer Stephanskirche zu hören sein. Er gilt als letzter Meilenstein im kompositorischen Schaffen Felix Mendelssohn Bartholdys und als ein Höhepunkt der Oratorienliteratur des 19. Jahrhunderts überhaupt. Das Werk wurde 1846, ein Jahr vor des Komponisten frühem Tod, in Birmingham uraufgeführt und ist mittlerweile insbesondere im englischsprachigen Raum zum Evergreen gereift.
Das stark besetzte Opus (die Uraufführung sangen 271 SängerInnen[6]), für das in der Stephanskirche mehrere Chöre zusammenwirken (unser Bild zeigt den Bach-Chor), kreist um die Geschichte des Propheten Elija, der zu Zeiten König Ahabs (klack, klack, klack) um 850 vor Christus den Anhängern des Baal im Namen des Herrn eine große Dürre prophezeite und am Ende gen Himmel auffuhr. Aber Hand aufs Herz, wer ist denn heute noch bibelfest genug, um sich derart abstruser Stoffe zu entsinnen, heutzutage denken wir bei Dürre eher an leere Swimmingpools in Kalifornien oder im Seerhein treibende tote Fische als an die effektive Austrocknung der Falschgläubigen zum Zwecke ihrer umgehenden Vernichtung. Aber mal sehen, was der gottgefällige Klimawandel bald (wieder) möglich macht …
Mendelssohn jedenfalls hat im „Elias“ noch einmal alles gegeben und ein hochdramatisches Meisterwerk geschaffen, das einige echte Hits enthält wie „Es ist genug“, „Ist nicht des Herrn Wort wie ein Feuer“ – und meinen persönlichen Favoriten, das höchst ätherische „Denn er hat seinen Engeln befohlen“. Es gibt einfach nichts Besseres, wenn man/frau in der lauen Abenddämmerung vor dem ersten kühlen Schoppen einen achtstimmigen Chor anstimmen möchte.
MM/Harald Borges (Foto: Monika Röber)
Konzert: Felix Mendelssohn Bartholdy – Elias
Sonntag, 21. Juli 2019, 19 Uhr Stephanskirche
Catherina Witting (Sopran), Alexandra Schmid (Mezzosopran), Susanne Gritschneder (Alt). Kai Kluge (Tenor), Detlef Roth (Bass), Jakob Thielemann (Knabensopran), Rottweiler Münstersängerknaben, Leitung Philipp Klahm, Kirschenchor Konstanz, Leitung Andrea Brugger, Bach-Chor Konstanz, Projektsängerinnen- und -sänger, Kammerphilharmonie Bodensee-Oberschwaben, Dirigent Michael Stadtherr
Eintrittskarten gibt es im Vorverkauf bei Buchkultur Opitz, Stephansplatz, und hier.
Quellen:
[1] https://schott-campus.com/wp-content/uploads/2016/09/gerlach_klingberg_riepe_parameter-politischer-instrumentalisierung.pdf
[2] Michael H. Kater, Die mißbrauchte Muse. Musiker im Dritten Reich, München/Wien 1998, S. 63.
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Boetticher
[4] https://www.youtube.com/watch?v=Fk6Qx9DKEX8 bietet eine Version, bei der man/frau Lust bekommen sollte, sich schnell wieder scheiden zu lassen. Hier eine andere Version: https://www.youtube.com/watch?v=z0wmzoHd6yo
[5] https://www.youtube.com/watch?v=Im_An1OAjBs
[6] Andreas Eichhorn, Felix Mendelssohn Bartholdy: Elias, Kassel 2005, S. 26.