Tierschützer und „Tierschützer“

Vergangenen Samstag fand der weltweit erste grenzüberschreitende Animal Pride Day statt, um für die Rechte aller Tiere zu demonstrieren. Unterstützt wurde die Aktion von rund 30 Tierrechtsorganisationen aus Italien, der Schweiz und Deutschland. Ein bunter Demozug bewegte sich von Kreuzlingen aus an die Konstanzer Marktstätte und anschließend zum Palmenhauspark. Dort kam es dann zum Eklat.

Die beteiligten Tierrechtsinitiativen konnten sich am Palmenhauspark vorstellen und für ihre jeweiligen Ziele werben. Es war ein großes Fest mit kulturellen Aufführungen, diversen Reden und man fühlte sich verbunden in der Absicht, „für die Würde aller Tiere einzutreten“, wie es die Veranstalter schon im Vorfeld formulierten.

Die fröhliche Stimmung erfuhr aber einen plötzlichen Bruch, als AktivistInnen aus der antifaschistischen Bewegung auftauchten und ein Flugblatt verteilten, in dem sie über den eidgenössischen „Verein gegen Tierfabriken“ (VgT) informierten, der ebenfalls vor Ort war. Der VgT und dessen Kopf Erwin Kessler hat in den vergangenen Jahren immer wieder durch spektakuläre Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. Kessler sieht sich aber regelmäßig mit dem Vorwurf konfrontiert, antisemitische Äußerungen von sich gegeben zu haben. Dagegen klagt er in der Regel – mit unterschiedlichem Erfolg. Der Antisemitismus-Vorwurf war auch wesentlicher Inhalt des Flugblatts; hier der Wortlaut:

Mit Antisemitismus gegen Tierleid?

Der VEREIN GEGEN TIERFABRIKEN steht in der Kritik: Vereinsgründer Erwin Kessler verbreitet seit Jahren strittige Aussagen über Juden, die in der Vergangenheit zu zahlreichen Diskussionen, Anzeigen und Gerichtsverhandlungen geführt haben. Kessler selbst bestreitet, Antisemit zu sein. Was ist dran an den Vorwürfen?

Kritik an Tierquälerei ist wichtig. Und auch Religionsgemeinschaften dürfen vor Kritik nicht geschützt sein. So ist es auch legitim, dass der von Erwin Kessler gegründete Verein gegen Tierfabriken Kritik an der Praxis des Schächtens übt, mit der gläubige Juden Tiere nach religiöser Vorschrift schlachten. Kesslers Kritik am Judentum hört hier aber nicht auf, sondern nimmt auch einige bedenklichere Formen an:

1. Kessler behauptet, Juden seien selbst schuld am Antisemitismus
Antisemitismus habe es in der Schweiz nicht gegeben, heißt es auf Kesslers Website – bis sich „gewisse jüdische Kreise (…) Sonderrechte“ [1] verschafft hätten. „Regierung, Gerichte und Universitäten“ ließen sich „von jüdischen Kreisen erpressen und rnanipulieren“- eine Behauptung, die nicht nur Juden unterstellt, sie hätten den ihnen entgegenschlagenden Hass verdient, sondern auch mit der Verschwörungstheorie eines jüdischen gelenkten Staatsapparates arbeitet.

2. Kessler behauptet, Juden würden Justiz und Gesetzgebung beeinflussen
Bei bestimmten Gerichtsprozessen komme es „nicht darauf an, WAS gesagt wird, sondern WER etwas sagt und ob dies gewissen politischen, hauptsächlich linken und jüdischen Kreisen passt“, behauptet Kessler. [2] Sogar auf die Gesetzgebung hätten Juden einen unheilvollen Einfluss: Das „Antirassismus-Gesetz“ (…) wurde offensichtlich von langer Hand vorbereitet, umjegliche Kritik an Juden zu unterdrücken.“ Die Behauptung, Juden würden die Politik manipulieren, war eine verbreitete Propagandalüge der Nationalsozialisten.

3. Kessler verteidigt Holocaustleugner
Die Neue Zürcher Zeitung berichtet von der Feststellung des Bundesgerichtshofs, dass Erwin Kessler „Kontakte zu Revisionisten hatte: Dem Holocaustleugner Jürgen Graf habe Kessler auf der Homepage des von ihm präsidierten ,Vereins gegen Tierfabriken‘ (VgT) eine Plattform geboten. Kontakte bestanden auch zum Revisionisten Ernst lndlekofer und zum Skinhead Michael Lüthi.“ [3] Jürgen Graf wurde wegen Büchern, in denen er den Holocaust leugnet, zu einer Haftstrafe gegen Volksverhetzung verurteilt. Kessler nimmt Graf in diesem Zusammenhang in Schutz: Graf habe „Einzelheiten der offiziellen Geschichtsschreibung mit sachlichen Argumenten kritisiert“ und sei, da er vor Antritt seiner Haftstrafe wegen Volksverhetzung nach Russland flüchtete, „ein politischer Flüchtling“. [4]

4. Kessler behauptet, seine Kritiker seien Juden und die Presse erzähle jüdische Lügen
Kessler bezeichnet einige seiner Kritiker als „verdeckte Juden“ [5] und unterstellt sogar ganzen Verlagshâusern wie dem Riniger Verlag oder dem Artemis Verlag, sie seien „jüdisch“ [6] oder „jüdisch beeinflusst“ [7]. Die Gratis-Zeitung Metropol bezeichnet er als „verlogenes Judenblatt“ [8], das „verlogene, jüdisch orientierte Desinformation“ betreibe – Behauptungen, die stark an die nationalsozialistische Verschwörungstheorie der „jüdischen Lügenpresse“ erinnern.

1 Erwin Kessler (Abrufdatum 08.07.2019): „Das verlogene Buch „Das Schächtverbot in der Schweiz“ des jüdischen Autors Pascal Krauthammer“, in: Website des Vereins gegen Tierfabriken, https://www.vgt.ch/doc/krauthammer/index.htm
2 Erwin Kessler (Abrufdatum 08.07.2019): „Die Schächt-Prozesse gegen VgT-Präsident Dr. Erwin Kessler“, in: Website des Vereins gegen Tierfabriken, https://www.vgt.ch/doc/justizwillkuer/schaecht-prozess.htm
3 0. A. (28.12.2002, Abrufdatum 08.07.2019): „Kontakte zu Neonazis und Revisionisten“, in: Website der Neuen Zürcher Zeitung, https2//www.nzz.cl1/a.rticle8LFA4-l.44932l
4 Hans Stutz (2006, Abrufdatum 12.03.2015): „Einschätzung Rassismus 2006“, in: Website der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, https://chronologie.grach/?p=42
5 Sophie Reinhardt (11.07.2015, 08.07.2019): „Knatsch unter den Tierschutzaktivisten entbrannt“, in: Website von Der Bund, https://www.derbund.ch/bern/stadt/knatsch-unter-demticrschutzaktivisten-entbrannt/story/25242616
6 Erwin Kessler (30.10.2007, aktualisiert am 27.06.2009, Abrufdatum 08.07.2019): „Das Video-Portal YouTube zensuriert Dokumentarfilm über jüdisches Schächten“, in: Website des Vereins gegen Tierfabriken, Absatz zum Artemis Verlag, https://www.vgt.ch/news2007/071030-youtube.htm
7 Erwin Kessler (08.12.1989, Abrufdatum 08.07.2019): „Schächten: Der Unterschied zwischen Kritik und Hetze: Der jüdisch beeinflusste Sonntags-Blick verwechselt ,Judenhetze“ und „jüdische Hetze“, in: Website des Vereins gegen Tierfabriken, https://www.vgt.ch/news_bis200l/981208.htm
8 Erwin Kessler (15.02.2002, Abrufdatum 08.07.2019): „Ende des verlogenen Gratiszeitung ,Metropol‘“, in: Website des Vereins gegen Tierfabriken, https1//web.archive.org/web/20020707173351/http://www.vgt.ch/news2002/020215.htm

Augenzeugen berichteten, dass es während der Verteilung des Flugblattes zu heftigen Diskussionen kam, auch von körperlichen Auseinandersetzungen war die Rede. Schließlich wurde die Polizei gerufen, ein Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen Körperverletzung steht an, wie zu erfahren war. Laut einer Mitteilung der Konstanzer Antifa-Gruppe OAT, die an der spontanen Aktion beteiligt war, kam es zu einem tätlichen Angriff Kesslers auf eine Antifaschistin, die daraufhin Strafanzeige stellte. Zudem habe die Polizei die Mitglieder des VgT und andere TeilnehmerInnen, die versuchten ein Transparent der Protestierenden zu verdecken, darauf hinweisen müssen, den Protest nicht zu behindern.

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seemoz hat Animal Pride gebeten, zu dem Vorfall Stellung zu beziehen. Eine Antwort kam prompt und die liest sich so: „Wir haben den VgT und somit auch Erwin Kessler zum Animal Pride Day eingeladen, weil er weder Rassist noch Antisemit, dafür aber ein einmaliger Tierrechtsaktivist ist, der seit 30 Jahren in Ställe geht und gruseligstes Tierleid aufdeckt. Und ja, er ist auch gegen das religiöse Schächten. Die Verleumdungen aber, er sei Antisemit oder Rassist wurden x-fach vor Gericht als haltlos und rechtswidrig beurteilt. Es gibt dazu zahlreiche rechtskräftige Verurteilungen. Wir würden niemals mit Antisemiten, Rassisten oder homophoben Menschen oder Gruppierungen zusammenarbeiten. Es gab deshalb für uns keinen Grund, den VgT nicht einzuladen.“

H. Reile (Fotos: OAT Konstanz, Alexander Stertzik)