Europäische Bürgerinitiative: „Wohnen für alle“

Viele KonstanzerInnen wissen ein Lied davon zu singen: Die Miete frisst einen immer größeren Teil der häufig genug schmalen Einkommen auf. Eine vom Staat gezielt geförderten Überantwortung der Wohnungungsversorgung an den kapitalistischen Markt hat das Geschäft mit dem unverzichtbaren Dach über dem Kopf zum lukrativen Profitmodell gemacht. Die daraus resultierende Wohnungskrise hat nicht nur viele Städte und Regionen Deutschlands erfasst, sie erstreckt sich zunehmend auf den ganzen Kontinent. Eine im Frühjahr gegründete Europäische Bürgerinitiative will dieser asozialen Entwicklung Einhalt gebieten.

Rund 53 Millionen EuropäerInnen zahlen nach Angaben des Mieterbundes inzwischen mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen. Im März 2019 haben sieben Bürgerinnen und Bürger aus Österreich, Kroatien, Spanien, Portugal, Schweden, Zypern und Deutschland die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Housing for All!“ gegründet, die von den EU-Gesetzgebern taugliche Gegenmaßnahmen fordert. Die InitiatorInnen, zu denen hierzulande neben zivilgesellschaftlichen Initiativen etwa der DGB und der Deutsche Mieterbund zählen, verlangen EU-weit bessere rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen für mehr bezahlbares und soziales Wohnen. Eine gute Idee, findet der Publizist Werner Rügemer, der im folgenden Beitrag die Ursachen der Wohnungskrise skizziert und die Ziele der Bürgerinitiative darlegt.

Es geht um elementare Menschenrechte

Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) in Washington, gewiss kein Kapitalismus-Kritiker, warnt: Die Explosion der Wohnungsmieten und Wohnungspreise in den Städten der reichen Staaten gefährdet die wirtschaftliche Entwicklung! 60 Prozent Mietsteigerung seit einem Jahrzehnt! Die Erfüllung der basic needs für die Mehrheit der Menschen, nämlich auskömmliche Arbeit, gesunde Ernährung, sicheres Wohnen, ist gefährdet, so der IWF. Basic needs, die menschlichen Grundbedürfnisse – mit anderen Worten: Es geht um die elementaren Menschenrechte.

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Die Immobilienspekulation in den USA hatte 2008 die Finanz- und Wirtschaftskrise ausgelöst.Trotzdem wurden Banken und Investoren nicht an die Kandare genommen, im Gegenteil. Der größte Kapitalorganisator der westlichen Welt, BlackRock, berät die Zentralbanken, auch die Europäische Zentralbank (EZB). Und die gaben BlackRock&Co die üppigen Kredite zum Nullzins, damit, so in Deutschland, mit Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG und TAG in wenigen Jahren die größten Wohnungskonzerne zusammenkauft werden konnten. Berlin, München, Warschau, Barcelona, Stockholm, Salzburg – gezielt werden in den „Schwarmstädten“ Wohnungen aufgekauft, wo schon Wohnungsnot herrscht und wo noch mehr Menschen zuziehen.

Freibriefe für Spekulation

Die „Konservativen“ unter Margret Thatcher in Großbritannien haben in der EU den Anfang gemacht. Die CDU/CSU/FDP-Regierung mit Kanzler Helmut Kohl hat die Gemeinnützigkeit der Wohnungsgenossenschaften aufgehoben, hat die Eigenbedarfskündigung der Wohnungskäufer eingeführt, hat in ihrem Privatisierungswahn die Eisenbahnerwohnungen verkauft. Dann holte die SPD/Grüne Regierung mit Kanzler Gerhard Schröder die „Heuschrecken“ Fortress, Cerberus, Permira, Whitehall. Dann schließlich mit der netten Kanzlerin Angela Merkel kamen die ganz großen wie BlackRock.

Gleichzeitig haben die Regierungen den sozialen Wohnungsbau zurückgefahren, in der gesamten EU. Die EU schränkte die Kreditaufnahme der Mitgliedsstaaten ein. Gleichzeitig lassen die Unternehmen die Arbeitseinkommen stagnieren, auch mithilfe der EU-weit nachgeahmten vier deutschen Hartz-Gesetze. Mit der Digitalisierung werden jetzt noch mehr prekäre Arbeitsverhältnisse geschaffen, während die Mieten steigen, auch für die gesuchten „Fachkräfte“ und für das Personal in Krankenhäusern und in den öffentlichen Verwaltungen.

EU: Stationen der Privatisierung

Die Hochzeit staatlicher Wohnbauförderung waren die Jahrzehnte von 1950 bis in die 1980er Jahre. Das galt für die sozialistischen Staaten wie die DDR, Polen und Jugoslawien sowieso. Aber es galt auch, in abgemilderter Form, für die westeuropäischen Staaten wie insbesondere Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien: Staatlich geförderter sozialer Wohnungsbau, genossenschaftliche Wohnungsgesellschaften.

Großbritannien: Der Gegenschlag begann in den 1980er Jahren unter der neoliberalen Fundamentalistin Margret Thatcher und ihrer Adels- und Bankerpartei der Tories. Die bezeichneten sich als „konservativ“, bewahrten aber keineswegs die relativ sozialen Wohnverhältnisse. Vielmehr paukten sie brutale Verschlechterungen durch, jedenfalls für die Arbeitsbevölkerung, die gleichzeitig politisch und gewerkschaftlich geschwächt wurde. „So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht“, war das Thatcher-Motto. So setzte ihre Regierung das „Right to Buy“ durch, das Recht zu kaufen. Arbeiter sollten individuelle Eigentümer werden, also die Wohnungen kaufen, die sie bisher gemietet haben. Mit staatlicher Subvention konnten Arbeiterfamilien zu niedrigen Preisen Genossenschaftswohnungen kaufen und sich stolz als Kapitalisten fühlen: Kapitalismus leicht gemacht, Kapitalismus für alle. 2,5 Millionen Wohnungen, fast die Hälfte des genossenschaftlichen Council Housing-Bestandes, verscherbelte die Regierung während der 1980er Jahre.1 Mit neuen Gesetzen wurden Mieterhöhungen frei gegeben. London wurde zum Luxus-Zweit- und Drittwohnsitz für superreiche Oligarchen aus Russland, den Golfstaaten und Israel. Banken, Hedgefonds und Konzerne kaufen oder mieten sich teure repräsentative Immobilien. Für internationale Top-Banker des Finanzzentrums City of London bauen Spekulanten teure 300 Quadratmeter-Luxus-Appartments.

Ex-sozialistische Staaten: Die zweite Welle der Privatisierung und der Spekulation wurde ab den 1990er Jahren in den ex-sozialistischen Staaten organisiert. Die CDU/CSU/FDP-Regierungen unter Kanzler Helmut Kohl schoben die Verkäufe von öffentlichen Wohnungen nicht nur in der alten Bundesrepublik an, sondern auch in der Ex-DDR: Die den privaten Unternehmen und Spekulanten bis 2014 gewährten Steuervorteile haben den Staatshaushalt der Bundesrepublik mehr belastet als je für sozialen Wohnungsbau ausgegeben wurde.2

In Ungarn förderte die Regierung nach dem Thatcher-Vorbild, dass bisherige Mieter ihre Wohnung kaufen. Die größte Bank OTP lockte mit niedrigen Zinsen für Kredite in Schweizer Franken: Die Bürger verschuldeten sich, die Zinsen stiegen, hunderttausende Käufer gingen bankrott und werden aus ihren eigenen Wohnungen vertrieben. Die Orban-Regierung versucht, das durch ein paar Zuschüsse aus der Staatskasse abzumildern.3

In Polen wurden allein in den drei Jahren nach 1990 67 öffentliche Wohnungsunternehmen an Private verkauft, 624 wurden abgewickelt.4 Seit der Jahrtausendwende wurden wie in Deutschland westliche Großinvestoren aktiv, so Griffin aus der Finanzoase Luxemburg, City Life aus den britischen Finanzoase Guernsey sowie Pimco aus den USA, meist über polnische Tochtergesellschaften.5 Als neues lukratives Segment haben die Investoren Immobilien mit kleinen, teuren Einzimmer-Appartments für Studenten entdeckt, in Polen wie überall in der EU.6

Deutschland: Die Kohl-Regierung hatte die Gemeinnützigkeit der öffentlichen und kommunalen Wohnungsgesellschaften abgeschafft und die Eigenbedarfskündigung eingeführt: Hatte jemand eine Wohnung gekauft, konnte er mit „Eigenbedarf“ die bisherigen Mieter hinauswerfen. Da wurde mithilfe des vorgetäuschten Bedarfs viel betrogen.7 Den eigentlichen Schub organisierte aber erst die SPD-Grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder ab Anfang der 2000er Jahre. „Heuschrecken“ wie Fortress, Cerberus, Whitehall und Permira schlugen zu, in Dresden wie in Bochum und Hannover. Ganz vorne dabei war die SPD-Linke Landesregierung von Berlin mit Finanzsenator Thilo Sarrazin.

Dann, nach der Finanzkrise 2007, kamen die ganz Großen: BlackRock, Massachusetts Financial & Co. Sie machten Deutschland mit ihren Großkonzernen Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG und TAG zum Zentrum der Mietspekulation in der EU. Mithilfe der Milliardengewinne in Deutschland kaufte Vonovia inzwischen zehntausende Wohnungen in Österreich und Schweden und hofft nun auf die Banker-Regierung von Macron in Frankreich. Vonovia-Chef Rolf Buch meldete im August 2019 stolz: Die Mieteinnahmen sind im Vergleich zum letzten Jahr um 14 Prozent gestiegen!8

Österreich, Spanien, Frankreich : Auch in Österreich herrschen in den anderen Städten keine Wiener Verhältnisse. Nach der offiziellen Statistik müssen 623.000 Menschen mehr als 40 Prozent ihres Haushaltseinkommens für das Wohnen bezahlen. „Das entspricht allen Einwohnern der Städte Graz, Linz und Salzburg zusammen“, so Zauner-Lohmeyer. Das ist aber noch besser als in anderen EU-Staaten.

Zwangsvollstreckungen, Arbeitslosigkeit: Die Zahl der Obdachlosen wächst in den letzten Jahren dramatisch, gerade in den reichen EU-Staaten. 650.000 Wohnungslose und zusätzlich 48.000 Obdachlose in Deutschland – schätzt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe für das Jahr 2017. Für die Gelbwesten in Frankreich gehört der Protest gegen die Obdachlosigkeit zu den zentralen Themen. In Spanien wird daraus schon ein Geschäftsmodell: In Barcelona bietet ein Unternehmer Unterkünfte in 24 übereinandergestapelten Holzkisten an: 2,64 Quadratmeter, 138 Zentimeter hoch, Gemeinschaftstoilette und ein gemeinsamer Fernseher für eine Monatsmiete von jeweils 200 Euro.9


1 Andrej Holm: Wohnungsprivatisierung in Europa, in: Informationen zur Raumentwicklung 12/2011, S. 683ff.
2 Armin Kuhn / Caren Lay: Keine soziale Wohnungspolitik ohne Neubau, Rosa-Luxemburg-Stiftung Standpunkte 2/2019, S. 2f.
3 Der Aufstieg des Schweizer Franken ruiniert Familien in Ungarn, Zeit online 13.6.2012
4 Andrej Holm a.a.O.
5 PWC u.a.: Institutional Rental Market in Poland. An emerging market in the residential sector, Warshaw o.J.
6 Savills: Student Housing in Poland. Report Poland Commercial April 2019
7 Kündigung wegen Eigenbedarf: Teure Notlüge, Süddeutsche Zeitung 17.5.2010
8 Vonovia profitiert von Zukauf und steigenden Mieten, FAZ 3.8.2019
9
Mietpreis-Explosion in Barcelona. Wohnen in Holzkisten – auf 2,64 Quadratmetern, Spiegel online 28.7.2019

Da kommt nun aus Wien, der europäischen Stadt mit den meisten öffentlichen Wohnungen, der Anstoß: Wir gründen eine europaweite Bürgerinitiative! Wohnen ist ein Menschenrecht! „Großinvestoren spekulieren auf hohe Renditen und kaufen ganze Stadtteile auf. Fakt ist: Der ungezügelte Kapitalmarkt wird niemals breite Schichten der Bevölkerung mit leistbarem Wohnraum versorgen. Hier muss die nationale Politik eingreifen und die EU bessere Voraussetzungen schaffen“, erklärt die Sprecherin der Initiative, die Wienerin Karin Zauner-Lohmeyer. Sie arbeitet im öffentlichen Wohnbau der österreichischen Hauptstadt. „Wir müssen dieser unfassbaren, unmenschlichen Spekulation radikal entgegentreten! Das zerstört unsere Gesellschaft und das ist der Boden der radikalen Rechten in Europa! Da müssen wir ein Zeichen setzen!“.

So hoben im März 2019 sieben Bürgerinnen und Bürger aus Österreich, Kroatien, Spanien, Portugal, Schweden, Zypern und Deutschland die Europäische Bürgerinitiative „Housing for All!“ aus der Taufe.

Forderungen an die Europäische Union

Mittlerweile sind 48 nationale und internationale Initiativen, Gewerkschaften, Mieterbünde, Architektur- und Studierendengruppen und Forschungsinstitute beteiligt. Aus Deutschland sind der DGB, der Mieterbund und attac dabei.

Die Initiative will in der Jahresfrist bis 18. März 2020 mindestens eine Million Unterschriften in EU-Staaten sammeln. In Deutschland müssen es mindestens 72.000 gültige Stimmen sein. Wenn die zustande kommen, müssen Europäische Kommission und Europäisches Parlament die Forderungen behandeln.

Wohnungspolitik unterliegt den nationalen Regierungen. Aber die EU ist für einige Rahmenbedingungen verantwortlich. Deshalb fordert die EBI:

1. Die EU beschränkt ihr Beihilferechtauf arme „Problemgruppen“. Das muss geändert werden, denn Wohnungsnotstand betrifft längst auch die Mehrheit der abhängig Beschäftigten.

2. Die Maastricht-Kriterien für die Grenzen der öffentlichen Verschuldung müssen für den Sozialwohnungsbau außer Kraft gesetzt werden.

3. Die EU muss, etwa über die Europäische Investitionsbank EIB, für gemeinnützige und öffentliche Wohnbauträger günstige Kredite mit niedrigen Zinsen bereitstellen.

4. Die gewinngierige Kurzzeitvermietung von Wohnungen durch online-Plattform-Konzerne wie Airbnb muss eingeschränkt werden.

5. Die offiziellen Angaben zu Durchschnittsmieten wie durch die EU-Statistikbehörde Eurostat verschleiern die Notstände. Deshalb: Kleinteilige Datenerfassung über einzelne Städte, Stadtviertel, Straßen!

Zauner-Lohmeyer beruft sich auf die weltweit bekannten Wohnverhältnisse in der österreichischen Hauptstadt. „Seit hundert Jahren ist in Wien das Wohnen eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge. 60 Prozent der Wiener Bevölkerung wohnt in Wohnungen des geförderten genossenschaftlichen und des kommunalen Wohnbaus.“ Sowas ist also möglich, mitten im Kapitalismus.

Werner Rügemer/jüg (Foto: Verein „Europeans for Affordable Housing“)


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