Forever young

So ganz weiß man nie, welche Überraschun­gen die Konzertreihe HighNoon 2000+ als nächstes bereithält. Zum Start in die neue Saison geht es jedenfalls am Sonntagmittag um die Suche nach der ewigen Jugend. Unter dem Titel „Chemistry: Lab“ kämpfen vier Wissenschaftlerinnen (gerade rechtzeitig vor Semesterbeginn!) in einer Inszenierung mit Musik, Text und Schauspiel höchst kurzweilig den Kampf ihres Lebens, musikalisch geleitet von Musik, die nicht minder experimentell ist als der Kampf ums Elixier.

„Chemistry: Lab“ erzählt die beliebte Geschichte des verrückten Professors. Konkret handelt es sich um ein Laborexperiment, bei dem vier exzentrische Wissenschaftlerinnen jegliche Grenzen überschreiten, um das Elixier der ewigen Jugend zu finden. Schließlich gilt es, dem Schönheitsideal gerecht zu werden, das sich dank eines allgegenwärtigen multimedialen Marketings als soziale Norm tief in unserem Alltagsleben verankert hat.

Wer überlebt?

Dieses Problem versuchen die vier Wissenschaftlerinnen/Musikerinnen durch verschiedene – den ungebildeten Laien im Publikum auf den ersten Blick vielleicht absurd erscheinende – Experimente zu analysieren und zu lösen. Jedes Experiment wird durch eine Komposition – es gibt Musik von Applebaum, Kessler, Hyla, Gherman, Steen-Andersen und Molinari – dargestellt. Theatralische Elemente, welche die Werke verbinden, steigern den dramaturgischen Aufbau, immer auf der Suche nach der perfekten Chemie zwischen Musik, Bewegung und Raum.

Werden die Wissenschaftlerinnen am Ende obsiegen, ist ihr wackerer Kampf für den Fortschritt der Menschheit letztlich von Erfolg gekrönt? Oder führen ihre Experimente in die finale Katastrophe? Bleibt das Probenstudio der Südwestdeutschen Philharmonie, das als (hochmusikalisches) Labor dient, halbwegs unversehrt, oder treffen die Rettungskräfte zu spät ein?

Alles was klingt

Die Musik zu den Experimenten ist jedenfalls bemerkenswert: Der Komponist Mark Applebaum (*1967) etwa hat 2010 mit „Aphasia“ ein mittlerweile beinahe schon klassisches Werk geschaffen, für dessen tiefen Ernst man trotz eines gewaltigen Höreindrucks nicht unbedingt garantieren kann. Als Wanderer zwischen den Welten wird er in eine Linie mit Conlon Nancarrow und Harry Partch gestellt, die ja nicht zuletzt durch ihr ausgefallenes Instrumentarium Aufsehen erregten. Dass Applebaum, der eine Professur an der Stanford University innehat, auch optisch an ein zerstreutes Genie erinnert, tat zumindest bisher seinen Ruhm keinen Abbruch.

Etwas bodenständiger, aber durchaus auch experimentell geht der schweizerische Komponist Thomas Kessler (*1937) in seinem „Lufttore“ für Bassklarinette und Akkordeon von 2006 zu Werke, eine durchaus bemerkenswerte Besetzung von ganz eigenem klanglichen Reiz. Außerdem sind an diesem Mittag zu erleben:
– Lee Hyla (1952-2014), „We Speak Etruscan“ (1996) für Bassklarinette und Bariton-Saxophon;
– Alin Gherman (*1981), „Shhh! haha“ (2005/2014) für vier Sprecher und Zeitungen;
– Simon Steen-Andersen (*1976), „Next to beside besides“ (2005-2006) für Violoncello und Akkordeon;
– Donna Molinari, „Chemistry“ (2019), Auftragswerk für Quartett

Letztlich bleibt nur zu hoffen, dass es bei diesem Kampf um die ewige Jugend Überlebende gibt.

Text: Harald Borges, Bild: ©Chemistry


Informationen

Chemistry: Lab
Eine Inszenierung mit Musik, Text und Schauspiel
15. September 2019, 12.00 Uhr, Studio der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz
Eintrittspreise wie gehabt: 10 €, ermäßigt 6 €

Azra Ramić: Klarinette
Barbara Aeschbacher: Saxophon
Lana Kostic: Violoncello
Ina Callejas: Akkordeon

High Noon Musik 2000+ – seit 2010 feste Konzertreihe in Konstanz – hat es sich zur Aufgabe gesetzt, regelmäßig zeitgenössische Kammermusik in einem ansprechenden Rahmen zu präsentieren. Darüber hinaus stellt das Format ein Experimentierfeld für professionelle MusikerInnen des Bodenseeraumes dar. Initiator ist der Schlagzeuger und Komponist Ralf Kleinehanding. Weitere Informationen auf der Website.