Ein tierisches Vergnügen

Mit der Premiere von „Franziskus – Gaukler Gottes“, einem Monolog des Literaturnobel­preisträgers Dario Fo in der Inszenierung von Axel Krauße, läutete das Theater am vergangenen Freitag leichtfüßig die neue Spielzeit ein. Fo hat historische Befunde zur Lebensgeschichte des Bettelmönches aus reichem Hause literarisch geschickt mit umbrischen Sagen verwoben und dabei ein Potpourri von Abenteuern kreiert. Renate Winkler nahm die Zuschauer des Abends mit auf diese bunte Reise und sicherte sich durch ihre Wandelbarkeit die Aufmerksamkeit des Publikums bis zur letzten Minute.

Ein ungewöhnlicher Ort

Als Kulisse diente an diesem Abend die altkatholische Christuskirche St. Konrad in der Konstanzer Altstadt. Typisch für die Inszenierung von Dario Fos Stücken, die für das versteckte Theater – Aufführungen an mehr oder weniger öffentlichen und alltäglichen Orten, bestenfalls ohne das Wissen der Zuschauer – gerne genutzt werden. Sogleich brachte Renate Winkler mit ihrem Flötenspiel und gregorianischem Gesang eine fröhlich andächtige Stimmung in das Gebäude. Franziskus – il giullare – der selbsternannte Gaukler Gottes „kannte alle Tricks“, berichtete sie in der Funktion des Erzählers. Einen Eindruck, welche das in etwa waren, gab ihre herausragende Performance in den folgenden anderthalb Stunden.

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Die ungewöhnliche Räumlichkeit eroberte sie spielerisch, saß auf der Balustrade der Empore, stand auf den Kirchenbänken, legte sich über das Taufbecken und hielt Ansprachen von der Kanzel. Die Akustik der Kirche nutzte sie zur Untermalung des Geschehens mit verschiedenen Instrumenten, Rhythmus, Lauten und Gesang, die sie allesamt wunderbar beherrschte. Ein leisetreterisch nebenher gesummtes „Bella Ciao“ durfte da natürlich nicht fehlen. Auch das auf den ersten Blick unscheinbar wirkende Kostüm war wohl durchdacht (Ausstattung: Ali Demir). Die Taschen der Zimmermannshose – Franziskus war gelernter Maurer – ermöglichten der Mimin alle wichtigen Requisiten, beispielsweise ihre Flöte, immer parat zu haben. Die Stiefel durften schon einmal zur Illustration der italienischen Landkarte herhalten und die Kapuzenjacke ermöglichte zahlreiche und schnelle Rollenwechsel zwischen Franziskus und anderen Figuren. Der Wolf, der kein Veganer sein kann („ein Hundeleben, so ein Wolfsleben“), ist immer noch mein persönlicher Liebling. Winklers Stimme und ihre lässige Art der Darbietung erweckten das Tier auf charmante Weise zum Leben.

Willkommene Provokation

Nicht nur Tiere befanden sich am Freitagabend in der Barockkirche. Es gab noch so Einiges, das üblicherweise wohl nicht in eine Kirche gehört. Wer, der christlich erzogen wurde, hat als Kind nicht schon einmal den Satz „Das macht man nicht in der Kirche“ gehört? In der Kirche schaue man (sich) nicht um, man fluche nicht, man nehme seinen Hut ab und huldige gefälligst kniefallend dem Herrn, bevor man Platz nimmt. Mit der Einhaltung dieser und anderer Regeln ist beim Besuch des Stückes jedenfalls nicht zu rechnen. Wie Franziskus im Jahr 1222 bei einer Predigt in Bologna provokativ seiner Zuhörerschaft die Absurdität des Krieges zur Verteidigung Jerusalems vor Augen geführt haben soll, so provoziert Axel Kraußes Inszenierung, um die Absurdität kirchlicher Institutionen und religiöser Riten aufzuzeigen. Mantraartig ist da in der Kirche von „Abschießen, abschlachten und vierteilen“ die Rede und von der Langeweile, der man ohne Feinde („Unser täglich Feind gib uns heute“) zum Opfer fiele. Das ewige Licht, das sonst unberührt und unerschütterlich von der Altarkuppel hängt, bekommt einen Schubser und schaukelt eine Weile hin und her, wenn es um unruhige Zeiten in der Kirche geht. Der Papst ist ein „Schweinehund – der bescheißt sogar noch als Toter“. Als der Wächter des Papstes Besuch abwimmelt mit keiner geringeren Begründung als „der Papst hat heute seine Tage“ kann sogar die Ordensschwester vor mir im Publikum ein verschämtes Schmunzeln nicht unterdrücken.

Franziskus – ein Influencer des 12. Jahrhunderts?

„Mit dem eigenen Kopf denken ist gefährlich“, sagt Franziskus im Stück und prangert damit das Verlangen der Kirche nach unkritischen Schäfchen an. Mit 17 Jahren mischt er sich erstmals in einen Aufstand der einfachen Leute in seiner Heimatstadt gegen die Mächtigen. Später gründet er seinen Orden „Fratti minori“ (Arme Brüder), dessen erste Regel es ist, keinen Besitz zu haben. Zeit seines Lebens versucht Franziskus, Menschen dafür zu gewinnen, das Evangelium wörtlich zu nehmen und wie Jesus in Armut zu leben. Zu seinem Erfolg verhilft ihm wohl nicht zuletzt, dass er das Evangelium wort- und bildreich in einem Mix aus verschiedenen Dialekten verkündete – und das nicht nur den Menschen. Sogar zu den Vögeln habe er gesprochen, was ihm wiederum die Aufmerksamkeit der Menschen zuteilwerden ließ. Er war wohl geschickt darin, Menschen zu erreichen, aber auch zu mobilisieren und zu motivieren, unbequeme Positionen einzunehmen. Kurz gesagt: Einfluss hatte er. Heutzutage würde man wahrscheinlich sagen: Er hat seine Comfort-Zone verlassen. Nur dass Franziskus im Gegensatz zu den ‚Influencern‘ unserer Zeit kein Geld dafür genommen hat. Im Gegenteil, er habe den Kontakt mit Geld explizit vermieden, heißt es. Und in die Gefahr, beim Selfie schießen von der Rheinbrücke zu fallen, ist er auch nicht geraten. Stattdessen hat er für (s)eine Überzeugung gelebt.

F. Spanner (Foto: Bjørn Jansen, Theater Konstanz)


Weitere Aufführungen: 13.10 und 26.10., Christuskirche St. Konrad, 20 Uhr