Grüner Waldspaziergang: Besuch am Krankenbett

Auch die Wälder im Landkreis Konstanz zeigen uns, dass der Klimawandel nicht bevorsteht, sondern schon Realität ist, mit dramatischen Auswirkungen. Die Folgen der monatelangen Dürre 2018 und der Hitze­wellen 2019 mit historisch nie bekannten Spitzenwerten werden bei einem Blick auf unsere Wälder auch für den Laien sichtbar. Nun laden die Grünen kommenden Samstag zum informativen Waldspaziergang nach Tengen ein. Hier der Pressetext in Auszügen.

Unseren Wäldern geht es schlecht. Vor allem bei den Fichtenbeständen ist die Situation so dramatisch, dass davon auszugehen ist, dass schon sehr bald große Bereiche fichtenfrei sein werden. Schockierendes ist auch bei vielen naturnahen Buchen- und Weißtannenbeständen zu beobachten. Diese beiden Arten galten noch vor Kurzem durch ihre plastische Standortseignung als Bäume der Wahl im Klimawandel. Jetzt ist auch bei diesen Baumarten lokal flächenhaftes Absterben zu beobachten.

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Schuldzuweisungen sind fehl am Platz und dennoch überschlagen sich hilflose, häufig wenig sachkundige und sinnfremde Kommentierungen und Forderungen. Wechselweise wird die Forstwirtschaft oder der Naturschutz an den Pranger gestellt. Die einen „weil in den letzten 200 Jahren die falschen Bäume gepflanzt wurden“, die anderen weil „in den vernachlässigten Wäldern die Borkenkäfer explodieren und dadurch die Wälder absterben“. Wieder andere meinen, man müsse unbedingt und überall Bäume pflanzen, dann werde es auch keinen Klimawandel geben.

Jetzt sollen und müssen waldbauliche Entscheidungen getroffen werden, die Wissen von Klimazuständen voraussetzen, die in 50 bis 80 Jahren herrschen werden. Zwar gab es schon vor zwei Jahrzehnten Warnungen, dass der Waldumbau hin zu klimaresistenteren Beständen beschleunigt werden müsste. Falsch wäre es jedoch, den Forstverwaltungen Untätigkeit zu unterstellen. Konzepte wie die „Naturnahe Waldwirtschaft“ in Baden-Württemberg oder das LÖWEKonzept (Langfristige ökologische Waldentwicklung) in Niedersachsen haben bereits in den 1990er Jahren durchaus Weichenstellungen eingeleitet.

Doch man wollte auf den Brotbaum der Forstwirtschaft, die Fichte, auch nicht verzichten und es wäre auch ökonomischer Unsinn gewesen, noch nicht hiebreife Bestände vorzeitig zu nutzen. Und unvorstellbar waren die sich jetzt mit rasender Geschwindigkeit manifestierenden katastrophalen Wirkungen des Klimawandels in unseren Wäldern.

Am Samstag den 5. Oktober 2019 lädt die Fraktion der GRÜNEN im Kreistag zu einem „Waldspaziergang“ nach Tengen-Blumenfeld ein. Treffpunkt ist um 14 Uhr am Parkplatz Tengen-Blumenfeld.

Gerade in den Wäldern am Randen auf der Gemarkung der Stadt Tengen ist das klimabedingte Absterben großer Waldbestände auffällig. Dort gibt es hektargroße Bereiche, wo noch vor zwei Jahren geschlossene Tannenwälder mit 600 bis 700 Vorratsfestmetern pro Hektar standen mit einem ökonomischen Wert von bis zu 40.000€ pro Hektar. Das ist Geschichte, denn die Wälder sind im vergangenen und in diesem Jahr in nur wenigen Wochen komplett abgestorben und diese Entwicklungen gehen weiter.

Der „Waldspaziergang“ unter Leitung von Rainer Luick (Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg und Mitglied des Kreistags) wird etwa zwei Stunden dauern. Als weiterer Experte wird Forstdirektor Bernhard Hake (Leiter des Kreisforstamtes) vor Ort sein. Auch Bürgermeister Marian Schreier (Tengen) hat sein Kommen angekündigt. Die Veranstaltung endet mit einer Abschlussdiskussion an der Brotlosenhütte (Grillplatz), Ende und Rückkehr zum Parkplatz Blumenfeld bis spätestens 17 Uhr. Eingeladen zu unserem Waldspaziergang sind die interessierte Öffentlichkeit und vor allem auch die Mitglieder des Kreistages und Waldbesitzer.

Fakten zur Situation unserer heimischen Wälder zu Zeiten des Klimawandels

Allein in Deutschland geht man davon aus, dass in den beiden Jahren 2018 und 2019 bis zu 200.000 Hektar Waldverlust zu bilanzieren sein wird, der auf Klimafolgen zurückzuführen ist. Und es ist fast zwangsweise programmiert, dass sich diese Entwicklungen in den Folgejahren fortsetzen werden. Nach Expertensicht stehen wir sogar erst am Beginn von noch katastrophaleren Entwicklungen. Es wird nicht leicht sein und vor allem hohe finanzielle Investitionen erfordern, die abgehenden Wälder wieder zu ersetzen und dann wird es Jahrzehnte dauern, bis sie wieder nennenswerte Klima-positive Wirkungen haben.

Unser Wald wächst unter Stressbedingungen deutlich langsamer und lagert damit auch geringere Kohlenstoff- und damit CO2-Mengen ein. Damit müssen die klimarelevanten positiven Senkenwirkungen und ihre Anrechnung bei Klimamodellen korrigiert werden.

Unsere Wälder der Zukunft werden anders aussehen als heute. Die Fichte wird schneller als gedacht großflächig verschwinden und zumindest teilweise durch die Douglasie ersetzt werden. Bei einheimischen und standorttypischen Baumarten wie der Buche und Tanne wird man vermehrt auf Pflanzmaterial aus den südwestlichen und südöstlichen europäischen Verbreitungsgebieten zurückgreifen. In der Hoffnung, dass die dortigen Provenienzen besser an das erwartbare Klima bei uns angepasst sind. Und: Wir werden uns schnell daran gewöhnen, dass bislang unbekannte Baumarten wie Baumhasel, Eschen-Ahorn, Tulpenbaum oder Zeder eingebracht werden. Ein großes Sorgenkind im Klimawandel ist die Weißtanne. Sie ist die eigentliche und einheimische Nadelbaumart im Südwesten. Noch vor kurzem galt, dass die Weißtanne durch ihre tiefe Durchwurzelungsfähigkeit vergleichsweise plastisch auf den Klimawandel reagieren wird und sogar profitieren könnte. Das massive Absterben der Weißtannen gerade im Landkreis Konstanz zeigt uns aber das Gegenteil. Denn die tieferen Bodenbereiche (1,5 bis 2 Meter Tiefe), in denen die Weißtanne wurzelt, sind an vielen Standorten nach zwei Jahren an Niederschlagsmangel weitgehend ausgetrocknet.

Bei allen Problemen ist die Aufgabe der Bewirtschaftung der Wälder keine Lösung. Im Interesse der Generationennachhaltigkeit und der Funktion unserer Wälder als CO2-Senke muss der Aufbau ökologisch und ökonomisch leistungsfähiger Wälder das Ziel der jetzt notwendigen Anstrengungen sein.

MM (Foto: Rainer Luick)