Mehr Ehrlichkeit in der Klimadebatte
Rolf Mützenich hat Wasser in den Wein gekippt: Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag machte den „Grünen“ ihren momentanen Aufwärtstrend und Höhenflug madig, indem er in einem Interview davon sprach, dass die Partei mit ihrer derzeitigen Klimaschutzpolitik einen „neoliberalen“ Kurs verfolge. Offenbar geht es dem Sozialdemokraten vor allem um die Frage, wie die zahlreichen Forderungen der „Öko-Partei“ derart umgesetzt werden sollen, dass auch der sogenannte „kleine Mann“ sie mittragen kann.
Ja zum Klimaschutz – Sorge vor finanziellem Aufwand
Nur wenige Mitbürger ziehen in Zweifel, dass umgehend etwas gegen die Erderwärmung getan werden muss. Viele von ihnen sind bereit, ihren eigenen Lebensstil entsprechend zu hinterfragen und zeigen sich für Veränderungen in ihren liebgewonnenen Gewohnheiten offen. Doch nicht wenige Menschen fragen auch, wie sie mit einem geringen Einkommen die finanziellen Aufwände stemmen sollen, die mit der Umsetzung „grüner“ Positionen verbunden wären. Denn ob die Pläne der Partei tatsächlich derart sozialverträglich gestaltet sind, wie es Baerbock und Habeck immer wieder betonten, bleibt fraglich.
Nicht selten wurde ich in der letzten Zeit von Freunden und Bekannten angesprochen, wie ich zur Bewegung um „Fridays for Future“ stehe. Und ich muss zugeben: Bislang habe ich mich bei den Protesten nicht eingebracht. Nein, ich lehne das Engagement der jungen Menschen keinesfalls ab. Viel eher bin ich beeindruckt, mit welcher Kontinuität sie an ihren Forderungen festhalten. Und doch sorge ich mich um eine eventuelle Spaltung der Gesellschaft – gerade dann, wenn wir Studien betrachten, die im Hinblick auf die geplante Gesetzgebung der „Großen Koalition“ in Sachen Klimaschutz darauf verweisen, dass vor allem die untersten Einkommen für die Vorhaben besonders stark zur Kasse gebeten werden.
Haben die „Grünen“ den Bogen überspannt?
Erhebungen haben überdies ergeben, dass besonders bildungsferne Bürger nicht an den Demonstrationen der derzeitigen Klimaschutzbewegung teilnehmen. Zudem sind es jene Menschen, die im ländlichen Raum wohnen, die von den Ambitionen der Umweltschützer nicht erreicht werden. Denn vor allem außerhalb der Städte wird die „Energiewende“ nicht so leicht umzusetzen sein, wie es sich die Bundesregierung, aber auch „Grüne“ und Klimabewegung wünschen würden. Bisher fehlt es an Alternativen, nicht nur für das Auto, wenn im Dorf kein Bus fährt. Die Politik fördert entsprechende Angebote, die einen Umstieg auf einen klimafreundlicheren Lebensstil erleichtern würden, bislang viel zu wenig.
Und so ist die Sorge groß, dass dem Geringverdiener die Anreize und Prämien, die für so manch klimafreundliche Maßnahme in Aussicht gestellt werden, nicht ausreichen dürften, um den Umstieg auf eine bessere Umweltbilanz des Einzelnen finanzieren zu können. Dass die „Grünen“ den Bogen in Sachen Umweltschutz möglicherweise überspannt haben, zeigt sich auch an der thüringischen Landtagswahl. Gerade in ihrer Paradedisziplin, der Klimapolitik, musste die Partei in den Befragungen der Bürger an Kompetenzwerten einbüßen. Um eine Spaltung der Bevölkerung an der wichtigsten Herausforderung der Gegenwart zu verhindern, bedarf es deshalb mehr als reine Symbol-Politik. Die Klimaschutzwende muss grundlegend sozial gestaltet werden. Angesichts der Dimension, die das Projekt mit sich bringt, müssen wir nicht nur die Frage stellen, ob die „schwarze Null“ tatsächlich von größerer Bedeutung sein kann als die solidarische Finanzierung dieser Mammut-Aufgabe.
Klimapaket darf Besserverdiener nicht entlasten!
Es ist daher an der Zeit, dass Parteien wie DIE LINKE mit eigenen Konzepten darauf hinwirken, dass „Schwarz-Rot“ mit ihrem Klimaprogramm nicht die Besserverdienenden weiter entlastet, sondern dass die gemeinsame Anstrengung, die Erderwärmung zu verlangsamen, nur miteinander erfolgen kann. Zudem müssen wir die Debatte wieder auf eine vernünftige Basis zurückführen. Zweifelsfrei drängt kaum ein anderes Problem in diesem Jahrhundert derart stark wie der Klimaschutz. Doch mit einer Hysterie und ständigen Rufen nach neuen Utopien werden die Menschen, die schon heute sozial abgehängt sind, in die Hände der AfD getrieben, die den menschgemachten Klimawandel völlig bestreitet und mit dieser Überzeugung diejenigen ködert, denen die Maßnahmenpakete der Politik zu schnell gehen und die sich insbesondere in der Frage nach den Kosten des Klimaschutzes für jeden Einzelnen vollends alleingelassen sehen.
Wir brauchen praktische Antworten, nicht erst dann, wenn die Ölheizung verboten wird. Zur Ehrlichkeit gehört in diesen Tagen nämlich auch, sich darüber bewusst zu werden, ob die zur Verfügung stehenden Energiesysteme in ihrer schlussendlichen Effizienz tatsächlich nachhaltiger sind als das von vielerlei Seiten zunehmend verdammte Heizöl. Und überhaupt: Was macht der Hausbesitzer, der aus Sicherheitsgründen keinen Gasanschluss möchte, dessen Dachfläche aber zu klein für eine sinnvolle Photovoltaik-Anlage ist und der nicht an das Fernwärmenetz angeschlossen werden kann? Ja, sicher gibt es Ausnahmen für derartige Fälle. Doch das Beispiel macht deutlich, wie kopflos manch politischer Vorschlag erfolgt, der zuvor weder durchdacht, noch auf seine Umsetzbarkeit getestet wurde.
Nicht vor Umverteilung zurückschrecken!
Wer umrüsten möchte, benötigt nicht nur Geld. Die Menschen brauchen Beratung bei sich vor Ort, wie sie ihren Alltag umweltfreundlicher gestalten können. Die Bürger hätten bereits viel früher mit den Möglichkeiten, Klimaschutz im Kleinen betreiben zu können, vertraut gemacht werden müssen. Die jetzige Vielzahl an Einschnitten in die Lebensgestaltung geht manchen Bevölkerungsteilen deshalb zu schnell, weil sie von der Masse an Änderungen, die die Gewohnheiten betreffen, völlig überfordert erscheinen. Wer die Menschen jedoch mitnehmen möchte, um die gesetzten Klimaziele erreichen zu können, der darf sich auch vor einer Umverteilung nicht scheuen und muss vor allem die Hauptverursacher der Schadstoffbelastung in die Verantwortung nehmen. Mit der momentanen Koalition kann man das wohl nicht durchsetzen. Denn schon jetzt wird deutlich, wer die Leidtragenden der momentanen Klimaschutzpolitik sein werden: Der Hauseigentümer, der vor riesigen Investitionen in Wärmedämmung, Heizung und Stromreduktion steht. Der Arbeitnehmer auf den Dörfern, für den kein Bus zur Arbeit fährt. Und auch der Haushalt eines Singles, der beim Einkauf im Supermarkt nicht um die Riesenportion umhinkommt, weil der Hersteller geschickt keine Ein-Portionen-Packung bereitstellt.
Es bedarf in diesen Tagen einer linken Stimme, die nicht ihre Ideologie durchboxt, sondern um die Notwendigkeit eines gesamtgesellschaftlichen Rückhalts weiß. Erst dann, wenn der Eindruck in der Bürgerschaft entsteht, die Kosten für den Klimaschutz werden fair von denen getragen, die von der bisherigen Umweltschutzpolitik mit viel CO2-Ausstoß profitiert haben, dürfte der Zuspruch für das notwendige Tempo eines rasanten Umdenkens auch tatsächlich steigen. Gerade Vernunft ist angesagt, wenn sich nicht wenige Teile der Einwohner Deutschlands übergangen fühlen. Ihnen bleiben wir noch immer Antworten schuldig, besonders im Hinblick auf die Fragen nach klimafreundlichen Lösungen, die trotz des Wissens um die Erderwärmung viel zu spät auf den Markt gekommen sind – oder deren Entwicklung weiterhin andauert. Die Erwartungshaltung der Regierungsparteien, dass sich der Mensch im Zweifel selbst zu helfen weiß, wenn es um neue Ideen für einen nachhaltigen Klimaschutz geht, ist polemisch und naiv gleichermaßen.
Unternehmen in die Pflicht nehmen!
Denn nicht nur Sahra Wagenknecht stellt fest, dass der Konsument das Klima nicht retten könne – viel eher bedürfe es des Einsatzes der Wirtschaft und der Politik. Der Blick von links aus macht klar, dass wir die Verbraucher in unserem Land nicht mit dem Großteil der Last auf ihren Schultern zurücklassen dürfen. Um einen Lebenswandel hin zu einem klimafreundlichen Verhalten zu erreichen, braucht es von Seiten der Unternehmen ein zügiges Handeln – sei es in der Packungsgröße von Lebensmitteln, bei energiearmen Antriebsformen oder Heizungen mit umweltschonenderen Brennwerten. Nur so kann die Nachfrage der Menschen gesteuert und eine Bereitschaft zu einem veränderten Verbrauch der Ressourcen erzielt werden. Solange sich aber nichts an der momentanen Mentalität der Industrie tut, bleibt vielen Konsumenten überhaupt keine Wahl, sich von CO2-intensiver Lebenshaltung zu entfernen.
Der Fokus einer linken Herangehensweise an den Klimaschutz muss von dem Willen geprägt sein, nicht diejenigen mit Verboten zu bestrafen, die auf Basis der momentanen technischen und wissenschaftlichen Fortschritte keinerlei Alternative zu ihren aktuellen Lebensstandards finden. Stattdessen muss besonders das dienstleistende und produzierende Gewerbe gesetzlich dazu verpflichtet werden, in die Klimafreundlichkeit des eigenen Betriebs zu investieren – welcher letztendlich Verantwortung dafür trägt, den Deutschen einen Umstieg zu mehr Umweltschutz überhaupt erst zu ermöglichen. Die Annahme, dass jeder Einzelne von uns zu einem besseren Klima beitragen könnte, scheint mir im Augenblick realitätsfern. Wir dürfen nicht „Schritt B“ vor „Schritt A“ gehen. Es braucht endlich konkrete Verpflichtungen für die deutsche Wirtschaft. Erst danach können wir von den Verbrauchern verlangen, dass sie den Weg des Klimaschutzes mitgehen.
Druck auf Politik aufrechterhalten
Eine solidarische Beteiligung an den Ausgaben für das „Klimapaket“, eine Umschichtung der finanziellen Verantwortlichkeiten vom einzelnen Bürger hin zu den ökonomischen Gewinnern einer klimaschädlichen Politik innerhalb der hiesigen Industrie und der Druck auf Politik und Produzenten, mithilfe von Alternativen in der Energieversorgung, der Nahrungsmittelproduktion und dem Verkehr die Grundlage für eine machbare Klimawende zu schaffen – diese Forderungen halte ich aus linker Perspektive für zwingend notwendig. Ich zweifle daran, ob die freitäglichen Protestkundgebungen hinreichend durchdacht hatten, dass sich die Gewohnheit von Menschen nicht von einem Tag auf den nächsten ändern lässt. Besonders dann nicht, wenn man auch im 21. Jahrhundert noch immer auf eine wenig nachhaltige Alltagsgestaltung angewiesen ist. Daher plädiere ich dafür, jene nicht länger zu geißeln, die auf Auto, Konsum oder Ölheizung nicht verzichten wollen. Stattdessen bedarf es einer direktdemokratischen Einmischung in die Politik, die zunächst den eigentlichen Klimasündern in unserem Land ins Gewissen reden muss, ehe sie die Menschen mit Gesetzen und Verboten überzieht, ohne dabei an den „Ist-Zustand“ zu denken, der kaum einladend wirkt, aktiv an einem Paradigmenwechsel zugunsten des Umweltschutzes zu partizipieren.
Dennis Riehle