„Der typische Ureinwohner“ kommt erst spät
Seit Ende Juni läuft im Kulturzentrum am Münster die Ausstellung „Der gefährliche See“ und wurde kürzlich wegen des großen und auch überregionalen Interesses bis zum 5. Januar 2020 verlängert. Hat der Besuchererfolg auch was mit den dramatischen Veränderungen in Zeiten des Klimawandels zu tun? Auch dazu befragten wir Museumsdirektor Tobias Engelsing.
seemoz: Die Ausstellung läuft nun schon seit Monaten. Wie fällt Ihr aktuelles Fazit aus?
Tobias Engelsing: Unser vorläufiges Fazit ist positiv: Die Geschichte des Wetters am Bodensee passt sehr gut zur aktuellen Sensibilität vieler Menschen im Umgang mit unseren Naturräumen. Das Interesse ist anhaltend groß. Und die, denen fünfmal Fleisch in der Woche auch weiterhin wichtiger ist, als das Klima, erreichen wir ohnehin nicht. In allen Gesprächen wird deutlich, dass die Menschen eine mutige und regulierende Politik z. B. zur Müllvermeidung, zum Umbau der Landwirtschaft oder zum Umsteuern in der Mobilität erwarten. Jeder nachdenkliche Mensch erkennt, dass die schönen Worte von der „Freiwilligkeit“ meist nur die Ignoranz gegenüber einer ernsthaften Umweltpolitik umschreiben.
seemoz: Und wie sehen die Besucherzahlen aus, Erwartungen erfüllt oder nicht?
Engelsing: Bislang hatten wir fast 13.000 Besucher in der Ausstellung „Der gefährliche See“. Die 10.000. Besucherin, eine Schweizerin aus einer Obersee-Gemeinde, hat ein Geschenk und einen Gutschein bekommen. Bis Ende der Ausstellung am 5. Januar dürften es wohl 16.000 Besucher werden. Die erste Auflage des Begleitbuchs ist fast vergriffen, auch das lief gut.
seemoz: Ist das normal oder was Besonderes für unsere Breiten?
Engelsing: Das ist ein sehr gutes Ergebnis für eine Sonderausstellung bei uns, zumal wir keine großen Werbeetats haben. Denn auch wenn die Konstanzer Umfragen zufolge angeblich viel mehr Kulturangebote wollen, ohne unsere ausländischen und auswärtigen Gäste sähen wir hier alt aus: Der typische Ureinwohner kommt vier Tage vor Ausstellungsende – wenn überhaupt. Aber im Ernst: Wenn man sieht, dass manche Museen am See nur 8000 Besucher im Jahr haben, sind wir sehr zufrieden mit dieser Sonderausstellung und mit unseren sonstigen Zahlen.
seemoz: Nehmen Besucher die Ausstellung als vorwiegend historisch-nostalgische Veranstaltung wahr oder wird hörbar über die Bezüge zur Gegenwart gesprochen?
Engelsing: Das Gästebuch und viele Gespräche belegen, dass viele Besucherinnen und Besucher nachdenklich werden, wenn ihnen klar wird, dass es wegen der fortschreitenden, auch menschengemachten Klimaerwärmung wohl so bald keine Seegfrörne mehr geben wird. In unseren Führungen wird der Umgang des Menschen auch mit der Natur am Bodensee immer thematisiert.
seemoz: Was zum Beispiel meinen Sie damit?
Engelsing: Na denken Sie an das eigentlich große, aber seit Jahren öffentlich kaum mehr diskutierte Thema der ungehinderten Zulassung immer größerer Motorjachten am See. Manche dieser schwimmenden Einfamilienhäuser saufen hunderte Liter Sprit an einem schönen Sommertag. Landratsämter, Kommunen, Private: alle verdienen an diesem Luxusbusiness mit, also wirft politisch niemand die Frage auf, ob diese Praxis dem See noch zuträglich ist. Welche Folgen hat denn der Klimawandel überhaupt für den idyllischen Bodensee?
Denn auch hier nehmen orkanartige Stürme, Starkregen oder extreme Trockenphasen zu, wie wir im vergangenen Jahr erleben konnten. Der Sauerstoffgehalt des Sees nimmt durch die kontinuierliche Erwärmung ab, das verändert die Lebensbedingungen für Tiere und Pflanzen. Unsere grenzüberschreitende Regionalpolitik sollte die Probleme angehen, auf die wir regional Einfluss haben.
seemoz: War ein verstärkter Besuch auch von Jugendlichen zu verzeichnen, die sich bspw. bei FridaysforFuture oder in Umweltverbänden engagieren?
Engelsing: Wir hatten dank unserer neuen Museumspädagogin und ihres tollen Teams mehr Schulklassen und Kindergruppen zu Gast, aber ein sehr „verstärkter Besuch“ ist das noch nicht. Die Klassen weiterführender Schulen kommen nur dann in ein Museum, wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer sehr engagiert sind, oder wenn das mit einem Projekttag verbunden werden kann. Darum bemühen wir uns mit speziellen Angeboten. Wegen einer Museumsführung von zwei Schulstunden nehmen aber nur wenige Lehrer den organisatorischen Aufwand auf sich, im voll vertakteten Schulalltag Freiräume zu schaffen.
seemoz: Sähe das anders aus, wenn Sie die Ausstellung beispielsweise voll digital gestalten würden, mit erweiterter Computer-Realität, Spezialbrillen, Raum- und Lichtinstallationen?
Engelsing: Das wird derzeit von den Leuten behauptet, die solche digitale Technik verkaufen wollen oder von solchen, die Museen halt schon immer öde fanden. Natürlich würden wir gerne etwas mehr digitale Medien einsetzen, doch das gibt weder die minimale technische Ausstattung des 600 Jahre alten Saales noch unser Etat her. Andererseits: Der „Zauber des Originals“ funktioniert noch immer, auch bei jüngeren Gästen, gerade weil jeder Mensch heute 24 Stunden lang von digitalen Bildern umgeben ist. Derzeit drehen wir für 2020 mit einer Filmemacherin aus Konstanz/Berlin neue Videoclips, die Museums-Geschichten online und für Medienstationen visualisieren werden.
seemoz: Was haben Sie gegen den stimmungsvollen alten Richentalsaal, Sie haben doch lange für diesen Ausstellungsraum gekämpft?
Engelsing: Das stimmt und wir sind froh, diese 400 Quadratmeter zu haben! Schauen Sie mal, was die Agentur Pragmadesign, unser Technischer Dienst und unsere Sammlungsleiterin in diesen Raum hineingezaubert haben, das ist eine wirklich anspruchsvolle Ausstellungsinszenierung. Aber wir haben wieder festgestellt, dass der denkmalgeschützte Saal für eine Sonderausstellung dieser thematischen Dimension einfach zu klein ist. Deshalb ist es gut, dass wir in den Kulturinstitutionen gemeinsam darüber nachdenken, wie wir etwa das innerstädtische „Kulturareal Wessenberg“ städtebaulich neu organisieren und ausbauen könnten.
seemoz: Kann man sagen, woher die BesucherInnen der Museen größtenteils kamen? Lag die Besucherzahl aus der benachbarten Schweiz 2019 über dem normalen Schnitt?
Engelsing: Das können wir so genau nicht sagen, weil wir nicht jeden Gast abfragen können, woher er kommt. Aber von unseren Shop-Leuten, aus dem Museumscafé und aus den Buchungen wissen wir, dass ungefähr ein Drittel unserer „Kundschaft“ aus der Schweiz stammt, unser regionaler Einzugsradius beträgt etwa 100 Kilometer. Dazu besuchen immer mehr Asiaten, Süd- und Osteuropäer und natürlich die gesamte englischsprachige Welt unsere Stadt und damit die Museen.
seemoz: Welche Fragen stellen Besucher oft?
Engelsing: Wo man gut echten Bodenseefisch essen kann und warum Konstanz so wenige öffentliche Toiletten und so wenig Blumenschmuck habe? Die historische Top-Frage lautet: Warum wurde die Stadt im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört?
Das Interview mit Tobias Engelsing führte Holger Reile
Das Bild zeigt den zugefrorenen Bodensee bei der letzten „Seegfrörne“ im Jahr 1963 (Quelle: Rosgartenmuseum)