Kreis Konstanz: Kein sicherer Hafen

Die Linke-Fraktion im Konstanzer Kreistag wollte den Landkreis zum sicheren Hafen für vor dem Ertrinken gerettete Geflüchtete machen. Dafür hatte sie auch Grüne und SPD gewinnen können: Bei der letzten Kreistags-Sitzung des Jahres am 9. 12. stand ein gemein­samer Antrag zur Abstimmung, der unter anderem fordert, auch über die staatliche Verteilungsquote hinaus „die schnelle und unkomplizierte Aufnahme und Unter­brin­gung von aus Seenot geretteten Menschen“ sicherzustellen. Doch das Ansinnen scheiterte am geschlossenen Widerstand von CDU, FDP, Freien Wählern und AfD.

Immer noch wird das Mittelmeer zum Grab für tausende Menschen, die auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung oder aus blanker Not versuchen, das vermeintlich sichere Europa zu erreichen. Doch die EU und ihre Mitgliedstaaten haben die Außengrenzen dicht gemacht, um möglichst viele der Hilfesuchenden an der Einreise zu hindern. Teil der rigiden Abschottungsmaßnahmen ist die faktische Einstellung der staatlichen Seenotrettung – nationale Regierungen und die EU-Administration nehmen das Massensterben damit billigend in Kauf.

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Die Empörung über die unmenschliche Flüchtlingsabwehr der angeblich den Menschenrechten und humanitären Grundsätzen verpflichteten Europäischen Union hatte im vergangenen Jahr auch in Deutschland Menschen zu Hundertausenden auf die Straße getrieben. Die daraus entstandene Seebrücke-Bewegung macht es sich seither zur Aufgabe, wenigstens den meist von zivilen Seenotrettungs-Missionen vor dem Ertrinken Geretteten eine Aufnahme- und Bleibeperspektive zu bieten. Mehr als 100 Städte und Kreise haben sich in Deutschland seitdem zu „sicheren Häfen“ erklärt – eine schallende Ohrfeige für die brutale Gangart des zuständigen Innenministers Seehofer, der auf offizielle Quoten pocht, an der Kriminalisierung ziviler SeenotretterInnen festhält und im Wechselspiel mit anderen aufnahmeunwilligen EU-Ländern versucht, humanitäre Hilfsmaßnahmen für die geretteten Menschen zu unterbinden.

Gerettete aufnehmen – zusätzlich zur Quote

Die dreiköpfige Fraktion der Linkspartei im Konstanzer Kreistag hatte das Thema schon kurz nach der Wahl im Sommer auf ihre politische Agenda gesetzt. „Angesichts der tausenden von Toten im Mittelmeer erscheint Handeln dringend geboten“, begründete Linke-Fraktionssprecherin Sibylle Röth am 9. 12. den Vorstoß ihrer Fraktion, und verwies auf das Beispiel mehrerer anderer Landkreise, die sich zu sicheren Häfen erklärt haben: „Angesichts dessen erscheint Handeln auch für uns möglich.“ Anknüpfen konnten die Kreislinken dabei zudem an eine Entscheidung des Konstanzer Gemeinderats, der sich auf Antrag der Linken Liste bereits im Oktober 2018 zum sicheren Hafen erklärt hatte.

Als Verbündete konnte die Linke-Fraktion die RatskollegInnen von Grünen und SPD ins Boot holen. Nach mehreren Vorbereitungsrunden einigte man sich schließlich auf einen sieben Punkte umfassenden Antrag, der den Landkreis unter anderem verpflichtet hätte, „zusätzlich zur Verteilungsquote“ Gerettete aufzunehmen, sich „öffentlich gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung“ zu positionieren und die Patenschaft für ein ziviles Seenotrettungsschiff zu übernehmen. Zudem sollte der Kreis demnach zusammen mit den Kreiskommunen „ein langfristiges Ankommen“ gewährleisten, „indem alle notwendigen Ressourcen für eine menschenwürdige Versorgung, insbesondere in den Bereichen Wohnen, medizinische Versorgung und Bildung zur Verfügung gestellt werden“.

Not gegen Elend ausgespielt

In der Debatte zeichnete sich dann aber schnell ab, dass der konservativ-liberale-rechte Block allenfalls bereit war, „Symbolpolitik zu beschließen“, so die Einschätzung von Linke-Kreisrätin Antje Behler. Tenor der Einlassungen von Freien Wählern, CDU und FDP: Solidarität sei prinzipiell eine gute Sache, die Anliegen des Antrags aber unrealistisch, weshalb eine Annahme die Glaubwürdigkeit des Gremiums aufs Spiel setze. Die CDU verstieg sich zu dem Argument, man könne nicht nur solidarisch mit den Flüchtlingen sein, die übers Wasser kämen, sondern müsse auch an jene denken, die gerade in Griechenland und der Türkei ausharren. Unfair sei es deshalb, Bootsflüchtlinge zu bevorzugen. Zynischer geht’s kaum: Unterlassene Hilfeleistung beim Massensterben im Mittelmehr damit zu rechtfertigen, den Zehntausenden, die dank des Flüchtlingsdeals ihrer Kanzlerin mit dem Diktator Erdogan unter übelsten Bedingungen in Lagern in der Türkei und dem Balkan vegetieren müssen, ginge es schließlich auch dreckig.

Sybille Röth, die den Antrag aus Sicht der Linken vorstellte, scheint so etwas kommen sehen zu haben: „Wer sagt, er teilt die Intention (des Antrags) …, es dürfe aber nicht vergessen werden, dass auch in den Flüchtlingslagern etwa in Griechenland unzumutbare Zustände herrschen, der benennt damit einen wichtigen Punkt – die Unzumutbarkeit der Dublin-Regelungen. Wenn die Konsequenz daraus jedoch sein soll, dass es ‚unfair‘ wäre, Bootsflüchtlinge aufzunehmen, solange man nicht zugleich allen anderen hilft, dann wird Not gegen Elend ausgespielt.“

Von ähnlicher Qualität auch eine Einlassung aus den Reihen der FDP, die mit Blick auf die Forderung zur Entkriminalisierung der Seenotrettung zur Vorsicht mahnte, nicht kriminellen Schlepperbanden in die Hände zu spielen. Als ob solche dubiosen Aktivitäten nicht gerade Konjunktur haben, weil die europäischen Staaten sich aus der Verantwortung gestohlen haben. Wer Kriminelle sucht, sollte den Blick auf Brüssel, Berlin, Rom und andere Hauptstädte richten.

Als schon ironisch müssen Einwendungen bezeichnet werden, die auf die Aufgabenverteilung zwischen Kreis (zuständig für die Erstaufnahme) und Kommunen (verantwortlich für die Unterbringung nach Abschluss des Asylverfahrens) abzielten: Ein Beschluss des Kreistags nütze nichts, weil letztlich die 25 Städte und Gemeinden im Kreisgebiet mit den Geflüchteten zu tun hätten. Genau umgekehrt argumentierten Skeptiker aus der gleichen politischen Ecke im Konstanzer Gemeinderat, als es dort um das Thema ging – darunter OB Burchardt, der im Kreistag als CDU-Fraktionsvorsitzer amtiert: Konstanz könne so etwas gar nicht beschließen, es sei Sache des Landkreises, der die neu angekommenen Menschen unterbringen müsse. Dazu noch einmal Röth: „Es ist nicht unser Ziel, die Aufgabenteilung in Frage zu stellen – aber es kann nicht das Ziel dieser Aufgabenteilung sein, dass man sich gegenseitig dabei blockiert, das für gut Erkannte umzusetzen.“

Patenschaft für ziviles Seenotrettungsschiff

Nach diesem Verlauf der Debatte war das Abstimmungsergebnis indes keine Überraschung mehr: Alle sieben Punkte, die nach einigem Verfahrenshickhack einzeln zur Abstimmung standen, wurden jeweils geschlossen von der bürgerlichen Mehrheit inklusive AfD abgelehnt. Beschlossen hat der Kreistag dann aber doch noch was: Die CDU-Fraktion zauberte nämlich auf die Schnelle eine eigene Vorlage aus dem Hut, die den Landkreis allerdings nur in einem Punkt zu wirklich mehr als wohlfeilen Absichtsbekundungen verpflichtet: Er „übernimmt die Patenschaft und finanzielle Unterstützung für ein ziviles Seenotrettungsschiff bzw. beteiligt sich daran.“ „Das ist unser Antrag minus die Punkte, die tatsächlich praktische Auswirkungen gehabt hätten“, bewertet das Linke-Kreisrätin Behler. Zugestimmt haben die UnterstützerInnen der „Sicherer Hafen“-Initiative dann doch, war die Unions-Vorlage schließlich immer noch besser als der Verwaltungs-Vorschlag, in dem außer Unverbindlichem gar nichts Zählbares drin stand.

J. Geiger

Bild: Demonstration für sichere Fluchtwege am 6. Juli 2019 in Konstanz (Foto: Seebrücke Konstanz)